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Hangzhou lockt mit seiner Tradition die Urlauber an

Hangzhou lockt mit seiner Tradition die Urlauber an

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Foto: Flickr
Schon für Marco Polo war Hangzhou die schönste Stadt der Welt. Auch heute reisen Urlauber in die chinesische Stadt, um die Traditionen kennenzulernen.

Essen. 

V

on Hangzhou haben 99 Prozent meiner deutschen Gäste noch nie gehört“, sagt unsere Stadtführerin Ma Kui, als wir am idyllischen Westsee entlangfahren. Prachtvolle Art-Deco-Häuser säumen die Straße, darunter das Sing-Sing-Hotel von 1913 und das alte, mittlerweile renovierte Shangri-La Hotel, in dem Nixon 1972 übernachtete, als er mit Mao zusammentraf. „Hangzhou war Maos Lieblingsstadt“, sagt Ma Kui, „in seinem Garten am Westsee hat er Kissinger und Nixon empfangen.“

Schon Marco Polo rühmte Hangzhou als „schönste Stadt der Welt“. Sie liegt an der Mündung des Quiantang-Flusses, den die Chinesen Zickzack-Fluss nennen, nur 200 Kilometer südlich von Schanghai. In Hangzhou, einer der sieben ehemaligen Kaiserstädte Chinas, wurde vor mehr als 2500 Jahren mit dem Bau des Kaiserkanals begonnen, der längsten von Menschenhand gebauten Wasserstraße der Welt. Als schiffbarer Transportweg von Handelsgütern hat der 1800 Kilometer lange Kanal heute jedoch weitgehend ausgedient.

Das Prunkstück von Hangzhou ist nicht das Fluss-Delta, sondern der Westsee mitten in der Stadt, der auch uns sofort verzaubert. Der Legende nach soll der See aus einer Perle, die vom Himmel fiel, entstanden sein. Tatsächlich ließen verschiedene Herrscher vor gut 1000 Jahren die Bucht des Qiantang-Flusses ausheben, und so bildete sich, aufgeteilt durch zwei Dämme, der Westsee. In ganz Asien ist dieser See berühmt. Seit 2011 ist er Weltkulturerbe und zieht jedes Jahr mehr als 40 Millionen Touristen an. Darunter sind die Deutschen nur eine kleine Minderheit.

60.000 Fahrräder stehen kostenlos zur Verfügung

Schon frühmorgens um halb Sieben ist die Uferpromenade am See entlang voller Leben. Überall ist Musik zu hören. Unter den Bäumen trainieren vor allem Ältere gruppenweise Schattenboxen, Tai Chi und Qi Gong zu meditativen Klängen. Anrührend die Tanzpaare im Pensionsalter, die sich hingebungsvoll zu Schmusemusik drehen, aber auch vor laut aufgedrehtem Rap nicht zurückschrecken. An den Kaipfosten sieht man einzelne Männer und Frauen, den Blick zur glitzernden Wasseroberfläche gerichtet, bei akrobatischen Dehnübungen. Viele sind mit Fahrrädern gekommen, im heutigen China durchaus ungewöhnlich.

Umweltschutz wird in der wohlhabenden Stadt Hangzhou sehr wichtig genommen, um Smog zu vermeiden. Deshalb stehen 60.000 kommunale Fahrräder kostenlos zur Verfügung, auch wir nutzen sie. Elektroautos und Elektromopeds sind hier im Gegensatz zu Deutschland weit verbreitet, Motorräder und Lkw dagegen im Stadtzentrum verboten. Der Autoverkehr auf der nur zweispurigen Straße am Westsee entlang wird nach geraden und ungeraden Endziffern der Kennzeichen beschränkt, um die uralten Bäume, die den See säumen, zu schützen. Manche Kampferbäume, sagt Ma Kui, seien 1000 Jahre alt. Im Herbst färbt sich der Ahorn rot und die Zimtbäume duften. Abends flanieren am Ufer unter den beleuchteten Platanen gern junge Pärchen Arm in Arm.

Hangzhou ist auch berühmt für seinen grünen Drachenbrunnentee, der an den Hängen des Seeufers in der feuchten Sanderde besonders gut gedeiht. Die Sträucher sind niedrig und bleiben immer grün. Nur die Spitzen werden geerntet: „Von März bis September 33 Mal“, erklärt Ma Kui. Zwischen den Teeplantagen sieht man frei laufende Hühner und Teehäuser, in denen die Einheimischen sonntags Karten oder Mahjong spielen.

In Hangzhou kann man vielerorts an Teezeremonien teilnehmen und dabei lernen, wie der Tee richtig, das heißt gesundheitsfördernd, zubereitet wird. Nach 1949 sei die Jahrhunderte alte Teekultur zunächst für lange Zeit abgebrochen, sagt Teemeisterin Pang Ying, Vizepräsidentin des örtlichen Komitees für Teestudien und Entwicklung. Erst seit der Öffnung Chinas und der wirtschaftlichen Entwicklung habe man wieder begonnen, „die Seele besser zu pflegen“.

Buddah-Figuren überlebten – Mao sei Dank

Jenseits des Sees, am Fuße des 168 Meter hohen Kalksteinhügels Feilai Feng, des „Herbeigeflogenen Gipfels“, befindet sich eines der ältesten und berühmtesten Klöster Chinas, das „Kloster der Seelenzuflucht“. Es heißt, ein indischer Mönch habe es schon im Jahr 326 gegründet. Die buddhistische Klosteranlage, in der zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert rund 3000 Mönche lebten, zieht bis heute Besucher an. An manchen Feiertagen kämen bis zu 100.000 Menschen, sagt Ma Kui, um in der Tempelhalle zu beten und an Zeremonien der Mönche teilzunehmen. Uns faszinieren besonders die uralten, in den Fels gehauenen 380 Steinreliefs und Skulpturen, darunter in einer Nische der lachende Buddha Maitreya aus dem Jahr 1100. „Während der Kulturrevolution hat man auf die Buddha-Figuren überall Mao-Bilder geklebt – deshalb sind sie erhalten geblieben“, berichtet Ma Kui und lacht.

In Hangzhou hat auch die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) einen besonderen Ort. Es ist die alte Apotheke Guang Xing Tang, einst das Privathaus eines Hofbeamten, das 2005 renoviert und wie ein Museum mit Geräten von früher eingerichtet wurde. Ein lebendiges Museum mit einer TCM-Klinik und angeschlossener Apotheke, in der täglich 30 bis 40 Patienten behandelt werden. Fotos der Ärzte samt Fachgebiet hängen an der Wand, die Patienten können sich „ihren“ Arzt aussuchen. „Wir untersuchen die Gesichtsfarbe, Augen, Zunge und Haut der Kranken und messen ihren Puls“, sagt die 35-jährige Ärztin Chen Hai Cing, die hier seit sieben Jahren praktiziert. Danach erhalten die Kranken ein Rezept, bei dem auch die im Garten wachsenden Heilkräuter der Apotheke einbezogen werden. „So funktioniert die chinesische Medizin seit ein paar Tausend Jahren“, kommentiert Ma Kui.

Am Ende landet man doch wieder am Westsee. In einem kleinen Boot schippern wir bei schönstem Sonnenschein an geschwungenen Brücken und künstlich aufgeschütteten Inseln vorbei. Der See ist voller Legenden. In ganz China ist die „Gebrochene Brücke“ berühmt, die so heißt, weil dort einst ein ungewöhnliches Liebespaar mit gebrochenem Herzen Abschied nahm. Heute lassen sich Hochzeitspaare auf der Brücke fotografieren, als Zeichen für echte Liebe. Jeden Abend findet im Westsee eine wundervolle Lightshow dieser tragischen Liebe statt – mit Tänzern, die über die Wasserfläche zu schweben scheinen, und einem Abschiedssong, der einem nicht wieder aus dem Ohr geht.