Kunsthaus in Schwedt: Airbrush, Pin-Up und Oldtimer-Rennen
Fassaden sind die Leinwand von Airbrush- und Graffiti-Künstlerin Leokadia Hateville. Sie hat mit Freunden die Schwedter Kunstbanausen gegründet.
Schwedt.
Wenn Besucher die „Grüne Villa“ in Schwedt (Uckermark) betreten, kommen sie meist aus dem Staunen nicht mehr heraus: Kräftige Farben, auffällige Ornament-Tapete, bunte alte Kacheln, verschnörkelte Türgriffe, großformatige Fotos. Der Ankömmling weiß nicht, wohin er zuerst schauen soll.
Künstlerin Leokadia Hateville beobachtet und freut das, ist doch der Überraschungseffekt gewollt. „Wir entführen die Leute quasi in eine andere Welt“, meint die kleine, zierliche Frau mit den großen Rehaugen und lächelt verschmitzt.
Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie als Airbrush- und Graffiti-Künstlerin. Nebenbei ist die an das märchenhafte Schneewittchen erinnernde Schwedterin – helle Haut, blutrote Lippen, langes, dunkles Haar – als Pin-up-Fotomodell tätig. Die wandlungsfähige Mitdreißigerin ist der Kopf des Trios in der „Grünen Villa“, das sich “ Kunstbanausen “ nennt. „Sie entwirft ihre Bilder, wir besorgen das Material, kleben ab und malen große Flächen aus“, beschreibt „Kunstbanause“ Stefan Lange seinen und den Part des Dritten im Bunde, André Sonnefeld.
Kleiner Bühne für andere Künstler
Noch nicht ganz fertig im Erdgeschoss der Villa ist ein großer Raum mit kleiner Bühne, dessen Holzbohlen in frischem Weinrot erstrahlen. „Wir möchten das Haus für andere Künstler öffnen, die hier ausstellen oder auch performen, vorlesen, etwas vortragen möchten“, sagt Leokadia. Auch Filmabende und Workshops sind geplant, sobald die Corona-Beschränkungen aufgehoben sind. Stuhlreihen wird es nicht geben, dafür gemütliche Sitzecken, beschreibt sie.
„Die Kunstbanausen sind eine echte und ziemlich einmalige Bereicherung für die Kulturlandschaft in der Uckermark. Hatevilles Kunst spricht für sich. Und ich bin gespannt auf die Grüne Villa“, sagt Anja Warning von der tmu Tourismus Marketing Uckermark GmbH. Generell sei im Landkreis derzeit viel Kleinkunst im Entstehen, toll auch für die zahlreichen Touristen, ist sie überzeugt.
Umbau in Eigenregie und große Eröffnungsfeier
Wie viel Leokadia und ihre Mitstreiter bisher in ihre „Grüne Villa“ investiert haben, sei schwer zu sagen, meint die Künstlerin. Die drei machen die meisten Renovierungs- und Umbauarbeiten selbst.
Was sie aber bereits wissen: Es soll einen große Eröffnungsfeier im Stil der Goldenen Zwanziger geben. „Damit ist auch der Dresscode für Besucher klar“, meint Leokadia, die angesichts des Klamottenfundus in ihrem bonbonfarbenen Ankleidezimmer keine Mühe haben dürfte, sich in eine feine Dame mit Fransen verziertem Hängerkleidchen, Federboa und Wasserwellen im Haar zu verwandeln. Die erste Etage der Villa ist ihr Reich – mit viel Farbe und Deko, aber stilsicher: getrocknete Blumen, ausgestopfte Tiere, Federn. Das schwarz-weiß gekachelte Bad mit frei stehender, altmodisch wirkender Wanne passt ins Bild.
2017 hatten die Künstlerin und ihre Mitstreiter die um 1920 erbaute Villa gekauft und die zuvor hellblaue Fassade anschließend in kräftiges Grün getaucht. Zuvor hatte das Schwedter Klinikum das Gebäude für Schulungen genutzt, nach Umbauten im eigenen Krankenhaus wurden die Räume in der Villa dann nicht mehr gebraucht. „Als wir begannen, das Haus zu sanieren, entdeckten wir im Dachgeschoss in drei Räumen Abhöranlagen der Staatssicherheit“, erzählt Lange. Dass die Villa zumindest teilweise vom Ministerium für Staatssicherheit genutzt worden war, sei schon zu DDR-Zeiten in der Stadt kein Geheimnis gewesen.
Freunde seit Kindertagen
Er und die anderen zwei „Kunstbanausen“, alle gebürtige Schwedter, kennen sich seit Kindertagen. Sonnefeld, genau wie Lange Bühnentechniker an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, wohnt unter dem Dach. Der 39 Jahre alte angehende Bühnenmeister Lange wird demnächst ins „sehr schöne“ Kellergeschoss ziehen, wie er beschreibt. „Die beiden sind meine Familie. Wir haben Höhen und Tiefen miteinander durchlebt und vertrauen uns blind“, sagt Leokadia über ihre beiden Freunde. Sie selbst träumt von einer Arbeit als Bühnenmalerin am Theater. Allerdings wäre das kein Beruf auf Dauer, schränkt sie ein. „Ich kann nicht jeden Tag dasselbe machen“, bekennt die Künstlerin, die ihr Alter ebenso geheim hält wie ihren bürgerlichen Namen.
Herzblut, Gründlichkeit und Detailtreue
Aktuell gibt sie Simson-Zweirädern oder „Schwalben“ ihre ursprüngliche Farbgestaltung zurück. Im Tabakmuseum des Schwedter Ortsteils Vierraden hat sie im vergangenen Jahr sämtliche altertümliche Landmaschinen abgeschliffen und neu lackiert. „Damit fing es an“, bestätigt Anett Wagner von den Städtischen Museen Schwedt. „Sie hat dann auch die Kulissen für unsere Zigarren-Sonderausstellung gestaltet und die Außenfassade mit einem Landschaftsbild verschönert – und zwar mit Herzblut, Gründlichkeit und Detailtreue. Wir sind sehr zufrieden“, lobt sie.
Dass der weibliche „Kunstbanause“ die schnelle Abwechslung liebt, beweist auch die Leidenschaft für Oldtimer-Rennen. Leokardias ganzer Stolz ist ein amerikanischer Chevrolet, Baujahr 1969, mit dem sie deutschlandweit zu Treffen und Rennen fährt. „Ich habe erst mit 23 den Führerschein gemacht und wollte dann immer mehr“, erklärt sie schulterzuckend. (dpa)