Ostern wird auf den Liparischen Inseln von seinen Bewohnern laut gefeiert. So ist es guter Brauch in Sizilien
Irgendetwas muss den Glocken von Lipari auf den Fersen sein, so hektisch scheppern sie in den Ostermorgen. Aus der kleinen italienischen Hafenstadt klingt ihr Läuten die Hänge der Vulkaninsel hinauf, wo der Tag noch in der milden Morgensonne schlummert. Zehn Uhr, nur noch zwei Stunden bis zum Beginn der großen Festtagsprozession.
Mario, der alte Mann, der jeden Tag den kleinen Gemüsegarten etwas unterhalb des Ferienbungalows beackert, bringt zur Feier des Tages frisch gepflückte Erbsen mit. Drei große Bauernhände voll packt er als Geschenk auf den Frühstückstisch – seine Art, die Fremden willkommen zu heißen, deren Sprache er nicht versteht.
„Buona Pasqua, frohe Ostern”, brummt er fast schüchtern. Die Nachbarn zur Linken haben sich und ihre Kinder schon herausgeputzt. Lackschuhe, Kleidchen, Schleifen im Haar. „Buona Pasqua!” rufen auch sie über den Gartenzaun. Dann geht es auf einem schmalen, mit dicken Feldsteinen ausgelegten Eselpfad zur Stadt hinunter. Großblättrige Kakteen säumen den Weg, Zitronenbäume und Wein, der nach den Wintermonaten gerade wieder versucht erste Blätter zur Welt zu bringen. In der Ferne ist schemenhaft der Ätna zu erkennen.
Etwa 40 Kilometer ist Lipari vom sizilianischen Hafenort Milazzo entfernt. Während die Griechen und Römer einst erzählten, dass auf der Inselgruppe im Tyrrhenischen Meer Äolus der Gott des Windes zuhause sei, gehen aktuelle Statistiken von rund 14 000 ganz irdischen Bewohnern aus, die sich auf sieben Eilande verteilen und seit den 90er Jahren überwiegend vom Tourismus leben. Große Hotels sucht man hier dennoch vergebens. Die meisten Urlauberbetten stehen in Privatpensionen.
In den Gassen von Lipari strömen Menschen zusammen. Sie tragen Nadelstreifen und Lederjacke, dicken Pelz oder hauchdünne Seide. Eine hochhackige Mittvierzigerin präsentiert sich selbstbewusst im Tiger-Shirt zur hautengen Jeans. Ostern ist wichtig hier auf den Liparischen Inseln, da zeigt man, was der Kleiderschrank zu bieten hat. Und Ostern ist laut. Sehr laut. Immer wieder knattern Vespa-Roller durch die Straßen. Auf dem Trittbrett dieser Lastenesel der Neuzeit finden bequem ein bis zwei Kinder Platz. Quer gestellt, die Pfoten nah beieinander, darf sogar der Schäferhund mitreisen.
Urlauber sind in dieser Jahreszeit noch in der Minderzahl. Zu unbeständig ist das Wetter in der Vorsaison. Wer trotzdem kommt, kann ein Stück echte italienische Lebensart genießen, gerade am Ostersonntag. Die kleinen Läden in dem 5000-Seelen-Ort haben auch an diesem hohen kirchlichen Feiertag ihre Türen geöffnet. Verkäufer bieten Melonen an, Knoblauch, Pfefferschoten und natürlich Kapern, die kein Einheimischer hier freiwillig in Essig ertränken würde. Meersalz alleine genügt, um die Blütenknospen haltbar zu machen, die vor allem auf der landwirtschaftlich geprägten Nachbarinsel Salina angebaut werden. Unten an der Marina Corta, dort, wo gewöhnlich die Reisenden mit Tragflügelbooten ankommen, stehen heute Carabinieri und Feuerwehrmänner in roten Overalls und versuchen den Menschenstrom zu dirigieren.
Ein Johlen geht durch die Menge. „Sie kommen!” Eine Madonna im Blumenbouquet wird begleitet von Fahnen und Kreuzen durch die Massen geschoben, etwas später trifft sie auf eine noch üppiger geschmückte, fast mannshohe Jesus-Statue.
Die bunten Holzjalousien der sandfarbenen Altstadthäuser sind fast ausnahmslos hochgezogen, auf den schmalen Balkonen drängen sich ganze Familien.
Plötzlich übertönt ein lauter Knall das Stimmengewirr. Es riecht nach Schwarzpulver. Dann noch ein Knall. Feuerwerk für die Madonna und den Gekreuzigten. Nichts fürs Auge, es ist ja helllichter Tag. Trotzdem wird jede Rakete überschwänglich beklatscht. Ein ohrenbetäubendes Spektakel. Zu allem beginnt noch ein Spielmannszug zu musizieren. Ihm nach zieht die Prozession durch die Via Garibaldi, hinauf zur Festungskirche.
Auf der Kaimauer sitzen Männer in Hemdsärmeln und Pudelmützen. Sie sehen aufs Meer zu den Booten. Der Lärm des Festzugs vergeht in den Gassen, eine Weile länger liegt noch der Feuerwerksgeruch in der Luft.