Natur pur statt Großstadt – Leben auf einer einsamen Insel
Keine Nachbarn, keine Geschäfte und kein fließendes Wasser. So lebt der Naturwart Conrad Marlow mit seiner Frau auf der ehemaligen Lotseninsel Ruden.
Ruden.
Einfach alles hinter sich lassen und den Rest des Lebens auf einer einsamen Insel verbringen – wer hat nicht schon einmal davon fantasiert? Für die meisten bleibt es jedoch bei dieser Träumerei. Nicht für Conrad Marlow. Der Naturwart und Hafenmeister lebt seit elf Jahren nur mit seiner Frau Ursula auf der ehemaligen Lotseninsel Ruden, knapp eine Stunde mit dem Boot von der Insel Usedom entfernt. Ohne Nachbarn, ohne Einkaufsmöglichkeiten, ohne fließendes Wasser.
Dafür aber mit umso mehr Natur. „Die Tiere verlieren irgendwann ihre Scheu“, sagt der 64-Jährige und zeigt den Touristen stolz die Fotos, die er von seinen tierischen Mitbewohnern geschossen hat. Strom erzeugt das Ehepaar notdürftig durch einen Generator, ihre Einkäufe werden zweimal täglich mit dem Schiff geliefert. Das Großstadtleben vermissen sie nicht. „In meinem Alter braucht man den ganzen Schnickschnack nicht mehr“, erklärt der Inselbesitzer bei seinem Rundgang. Einsam fühle er sich nicht, immerhin kommen jährlich Tausende Touristen, um ihn zu besuchen. „Und die ärztliche Versorgung ist mit dem Helikopter schneller als mit dem Krankenwagen in der Stadt“, scherzt er.
Das Leben auf Ruden ist simpler
Sich komplett von seinem alten Leben zu lösen, ist für die meisten vermutlich unvorstellbar. In Einklang mit der Umwelt zu kommen und für ein paar Tage den Alltagsstress hinter sich zu lassen, geht da schon um einiges leichter. Naturfreunde, die sich langfristiger entspannen möchten, können dies etwa am Riether Winkel unmittelbar an der deutsch-polnischen Grenze tun. Dort befindet sich Altwarp, das Dorf mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte Deutschlands – spärliche 34 Einwohner pro Quadratkilometer zählt man dort. Doch genau das ist es, was die Ortsansässigen und Besucher an der Gemeinde schätzen. „Wer die Einsamkeit sucht, wird sie hier auf jeden Fall finden“, sagt Friederike Güka. Geboren in Altwarp lebte die junge Frau während ihres Studiums in zahlreichen Großstädten, unter anderem in Bonn, Köln und im Ausland.
Letztlich zog es sie dann aber zurück in die Heimat. „Das Leben hier ist simpler, aber wir haben alles, was wir brauchen. Der ganze Stress ist nicht mehr so wichtig, und wenn die Leute hier zu Besuch sind, verbringen sie oft eine Woche in der Natur, nur um durchzuatmen“, erzählt sie. Während sie hauptberuflich in einer Zahnarztpraxis arbeitet, verwendet sie einen Großteil ihrer Zeit, um den Tourismus in ihrer Stadt anzukurbeln. „Gerade wenn man jung ist und selbst etwas aufbauen möchte, ist man hier mehr als willkommen.“
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Ulrike Siedl. Vor einigen Jahren gab sie ihr Leben im Ruhrpott auf, um in der Gemeinde Rieth am See, wenige Kilometer von Altwarp entfernt, einen Neustart zu wagen – Rieth zählt gerade mal rund 160 Einwohner. „Als ich hier das erste Mal ankam, wusste ich sofort: Das ist es, hier will ich leben“, schwärmt die gebürtige Essenerin. Heute ist Ulrike Inhaberin des Betriebs „Kreativurlaub Rieth“, bei dem Besucher bei Filz-, Töpfer- und Malerarbeiten ihre kreative Ader ausleben können. Sie ist nicht der einzige Ein-Mann-Betrieb im Dorf: Die meisten touristischen Einrichtungen werden von einer Person geleitet, die Inhaber kennen sich, nennen sich beim Vornamen, unterstützen sich gegenseitig. Auch Besucher können die aufgeschlossene Atmosphäre des Dorfes spüren: Die Anwohner grüßen sie herzlich, zeigen ihnen ihre Häuser. „So stelle ich mir Bullerbü vor“, hört man eine Touristin sagen – und tatsächlich erinnern die kleinen Backsteinhäuser und die liebevoll gestalteten Gärten an das Bilderbuchdorf aus Astrid Lindgrens Romanen.
Forscher und Kunstbegeisterte zieht es auf die Insel Vilm
Wer im Urlaub ein volles Programm und möglichst viel Sightseeing schätzt, wird hier nicht fündig. Zur Ruhe findet man jedoch allemal.
Wer dennoch von der Sehnsucht nach der unberührten Natur gepackt wird, kann diese in den zahlreichen Naturschutzgebieten Mecklenburg-Vorpommerns stillen. So beispielsweise auf der Insel Vilm nahe der Gemeinde Lauterbach auf Rügen. Nach einer knapp 20-minütigen Bootsfahrt darf diese auch von Touristen betreten werden, allerdings ausschließlich unter professioneller Führung. Anders als auf Ruden wohnt hier niemand: Die wenigen leerstehenden Gebäude auf der Insel werden lediglich für Seminare genutzt, abends bleiben sie meist unbewohnt.
Doch nicht nur Forscher zieht es nach Vilm: Auch für Kunstbegeisterte ist die Insel ein beliebtes Ziel. „Ich kenne ein Pärchen, die waren schon elfmal hier, immer zu verschiedenen Jahreszeiten. Besonders das Herbstlaub fasziniert die Fotografen“, sagt Tourführer Andreas Kuhfuß.
Unbefleckte Ecken Natur auf Vilm erhalten
Der Rundweg führt durch einen Waldpfad entlang der Küste. Während die Besucher den weichen Waldboden unter den Füßen spüren, hören sie das Brausen der Wellen, die in mehreren Metern Tiefe gegen die Brandung schlagen. Einige Besucher bekommen es leicht mit der Höhenangst zu tun – der Weg ist nicht abgesichert. Andreas erzählt, dass Wildschweine im Sommer für wenige Tage zum Urlaub auf die Insel schwimmen, dass vor einigen Jahren Maulwürfe als blinde Passagiere auf Vilm eingereist sind oder erklärt, warum man bei Gewitter keine Buchen suchen sollte – auch wenn das Sprichwort genau das empfiehlt.
Einige der Bereiche bleiben der Außenwelt vorenthalten, so die Nistplätze der Seeadler und Eisvögel. Diese möchte man mindestens 20 Jahre in Ruhe lassen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich neu anzusiedeln. Damit auch in Deutschland weiterhin einige unbefleckte Ecken Natur erhalten bleiben, widmen Menschen wie Conrad Marlow ihr Leben deren Schutz und Pflege. Gut, dass manche Männer eben doch Inseln sind.