Die Autorin Pia Volk reist mit ihrem sechsjährigen Sohn durch die Welt. Sie zeigt ihm fremde Kulturen fernab des Tourismus. Für gefährlich hält sie das nicht, nur für schwer planbar. „Sie brauchen nur eins: Vertrauen. In sich selbst und in ihr Kind.“
Essen.
Mama, was ist ein Aborigine?”, fragt Paul. Der sechsjährige Blondschopf steht an einer Bushaltestelle in Australien. Um ihn rum flanieren Menschen mit Hautfarben in allen Schattierungen: vom englischen schneeweiß über das südamerikanische rotbraun. Paul ist mein Sohn und wir verbrachten das Jahr 2010 in Australien – ein multikultureller Schmelztiegel, deren erste Bewohner die Aborigines waren. Doch die sieht man eher selten im Stadtbild.
Ich versuche zu erklären, was einen Aborigine ausmacht. „Meist haben sie eine dunklere Hautfarbe, aber nicht alle…“ Paul deutet auf einen Afrikaner. „Nein“, sage ich, „sie haben andere Haare“. Er zeigt auf einen Inder. Ich schüttel den Kopf. Er deutet auf braun gebrannte Europäer. Nein, nein, nein. „Ach, weißt du, eigentlich ist es gar nicht das Aussehen, was einen Aborigine ausmacht. Sondern das, woran sie glauben…“
Gemeinsam durch die Welt gereist
Dann erzähle ich ihm die Geschichte von der großen Regenbogenschlange, die über die Erde kroch, als es noch keine Berge, keine Seen, kein Gras und kein Meer gab. „Auch keine Kängurus?“, fragt Paul. „Nein, auch keine Kängurus!“, sage ich.
Mein Sohn hat mit mir die Welt bereist. Seinen Pass zieren Stempel aus den USA, Kanada und Thailand. Wir sind vom Mekong bis nach Bangkok gereist und haben uns in den vielen Tempeln wie Indiana Jones gefühlt. Im Outback von Australien sind wir in der Hitze dahin geschmolzen. Wir haben über Orang Utans auf Borneo gelacht, die Fischwelt von Palau bewundert, waren erschrocken von der Armut der Philippinos und der Organisiertheit der Japaner.
Urlaub ist dort, wo die Sonne scheint
Meist reisten wir abseits der Touristenpfade. Sie könnten mich für verantwortungslos halten. Unsere Flüge sind weit, wir bekommen Jetlags. Wir nehmen Busse ohne TÜV, essen in Garküchen ohne Hygienekontrollen, schlafen in Unterkünften ohne Notausgangsschilder. Aber dafür weiß Paul wie Vulkane stinken, wie das Gewusel in einem Korallenriff aussieht, kennt den Unterschied zwischen Waranen und Krokodilen und liebt Sushi zum Frühstück.
Urlaub ist dort, wo die Sonne scheint – mit dieser Idee bin ich aufgewachsen. Zum Urlaub ging es in eine Hotelenklave in einem beliebigen Teil der Welt, wo das Personal immer nett lächelt, die Speisen nicht zu scharf und nicht zu heiß sind, der Pool nicht zu warm und nicht zu kalt ist, der Strand nicht zu dreckig und die Verkäufer dort nicht zu nervig. Vor dem Hotel reihten sich die Taxis auf, deren Fahrer immer zu viel berechneten, die einen aber schon kannten, und die einen immer in die Clubs brachten, wo andere Deutsche, oder zumindest Engländer waren. In dieser Konstellation kann nichts schief gehen.
Sich lebendig fühlen
Außer, ein Vulkan spuckt Feuer – wie auf Island. Und man kommt vom Urlaubsort nicht mehr weg und die Hotels sind alle ausgebucht. Außer, die Bürger des Staates, von denen man nur die Taxifahrer kennt, beginnen zu rebellieren – wie in Tunesien oder Ägypten. Außer, man ist auf Bali, und wird vom „bali belly“ heimgesucht, einem Brechdurchfall, den sich dort viele Touristen einfangen. Dann ist man plötzlich ungewollt mittendrin im Abenteuer.
Aber man kann Geschichten erzählen. Man kann fluchen, jammern, meckern. Man kann aber auch mit den Schultern zucken, sich mit den anderen Gestrandeten anfreunden und der versammelten Kinderschar Geschichten erzählen. Und vielleicht kommen Sie dann zu dem Schluss: Urlaub ist nicht immer nur dort, wo die Sonne scheint. Urlaub ist dort, wo man sich wieder lebendig fühlt.
Opfergaben für die Götter und organisiertes Chaos
Da sitzt man also, muss mit dem organisierten Chaos diverser Flughäfen klar kommen, den Heilmethoden der Balinesen, mit Medikamenten und Opfergaben für die Götter. Und der Wut der Tunesier. Plötzlich fühlt sich diese Kultur ganz anders an. Man sitzt plötzlich nicht mehr nur im Publikum wie vor einer Bühne, wo orientalische Tänzerinnen Bauchtanz aufführen oder Schlangenbeschwörer auf ihrer Flöte dudeln.
Kulturen kann man nicht in einem Hotel erleben – das wahre Leben gibt es nur draußen auf der Straße. Wieso also nicht mal am Hoteltaxi vorbeilaufen, die Straße hinunter und eines der holprigen Sammeltaxis anhalten. Den Unterhaltungen Einheimischer in fremden Sprachen lauschen, ihrem Singsang, getrocknete Mangos mit ihnen teilen, und sich wunderen, warum sie ihre Hähne in geflochtenen Taschen durch die Gegend kutschieren.
Dem Nachwuchs vertrauen
Ich weiß, was Sie fragen werden: „Ist das nicht gefährlich? Rucksacktourismus mit Kind?“ Es ist doch so: Als Mutter muss man sich vor allem um eines kümmern: um die Sicherheit des Nachwuchses. Sicherheit und Rucksackreisen scheinen nach Ansicht vieler nicht zusammenzugehören. Man weiß morgens nicht, wo man abends schläft. Man weiß nicht, welche Leute einem begegnen. Busse haben keine Fahrpläne. Ein Tag ist angefüllt voller Unsicherheiten.
Aber diese Unsicherheiten sind nicht gefährlich, sie sind einfach nur schwer planbar. Ein Handy ist heutzutage das Tor zur Welt, wer seinem sozialen Netzwerk ständig mitteilt wo er ist, kann nur schwer verloren gehen. Es kann schön sein, das Leben auf sich zukommen zu lassen. Einfach mal loslassen, den Alltag, die Kontrolle, die Absehbarkeit. Lassen Sie sich überraschen! Sie brauchen nur eins: Vertrauen. In sich selbst und in ihr Kind. Da liegt wohl auch der Unterschied zwischen dem Reisen in geordneten Bahnen und den chaotischen Pfaden: Bei ersterem Vertrauen Sie dem Hotelpersonal, das auf Sie und ihren Nachwuchs aufpasst, bei letzterem Vertrauen Sie dem Nachwuchs selbst. Können Sie das? Dann könnten Sie auf einer Rucksackreise von ihrem Kleinen etwas Wichtiges lernen: Durch kindliche Neugierde Neues entdecken. Seien es Aborigines, Kängurusteaks oder die Regenbogenschlange.