Als Dr. Armin Langhorst, ein Schalker aus Leidenschaft, ausgerechnet bei Borussia Dortmund Mannschaftsarzt wird, weckt er das Misstrauen des damaligen BVB-Manager Michael Meier. Und dann war da noch die Anekdote von der Spritze auf der Autobahn.
Recklinghausen.
Eine Anekdote hat Armin Langhorst dann doch noch auf Lager, und die ist so gut, dass sie unbedingt sofort am Anfang dieser Geschichte erzählt werden muss – auch wenn sie gar nicht richtig zum Thema passt. Es ist die Geschichte von der Spritze auf der Autobahn.
Mitte der 90er Jahre, Armin Langhorst ist zu dieser Zeit Schalkes Vereinsarzt und Marc Wilmots sein wichtigster Patient. Eines Tages erhält der Doc einen Notruf aus Belgien: Wilmots hat sich beim Training seiner Nationalmannschaft verletzt, Langhorst müsse sofort vorbeikommen. „Geht nicht“, entgegnet der Doc, der 300 Kilometer entfernt in seiner vollen Praxis sitzt. Und dann fährt er doch nach Belgien, trifft sich mit Wilmots auf halber Strecke, packt auf einer Autobahnraststätte nahe Lüttich seinen Medizinkoffer aus – und setzt dem Fußballer hier die rettende Spritze. Die Behandlung findet im Auto des Schalke-Docs statt, Wilmots liegt quer auf dem Rücksitz.
Herrlich, diese Bundesliga. Aber eigentlich, wie gesagt, passt diese Episode ja gar nicht zum Thema dieser Folge aus 50 Jahren Bundesliga.
Wir sitzen im Restaurant des Vestischen Golfklubs in Recklinghausen, Armin Langhorst ist gerade von seiner Golfrunde zurückgekommen. Hier weiß jeder, dass Langhorst ein Schalker ist, und wer es nicht weiß, dem erzählt er die Geschichte von der Meisterschaft 1958, die er schon als kleiner Junge auf den Schultern seines Vaters miterlebt hat – damals beim Endspiel in Hannover. Heute weist er zur Sicherheit noch mal kurz auf diese Geschichte hin. Denn es geht darum, dass Langhorst, dieser Schalker aus Leidenschaft, in der Saison 1989/ 90 ausgerechnet der Vereinsarzt von Borussia Dortmund war. Ein Blauer auf der falschen Bank.
Der „schwarze Abt“ meldete sich
Gekommen ist er zu diesem Job, man kann es wohl so sagen, wie die Jungfrau zum Kinde. Jedenfalls hat er sich nicht beim BVB beworben, und es ist auch keine versteckte Kamera dabei, als sich Klaus Gerster eines Tages bei ihm meldet. Gerster ist zu dieser Zeit der Manager bei Borussia Dortmund – man nennt ihn den „schwarzen Abt“. Und Langhorst ist Mannschaftsarzt beim Oberligisten SpVg. Erkenschwick – seine Praxis in Marl-Sinsen suchen aber auch Fußballer von Borussia Dortmund und Schalke 04 auf. Irgendjemand muss ihn beim BVB empfohlen haben, und Langhorst, damals 43, nimmt die Offerte an. „Ich war jung und scharf darauf, in der Bundesliga zu arbeiten“, sagt der Doc – als wenn er sich dafür entschuldigen müsste… Zwei Wochen später meldet sich auch Schalkes Trainer Peter Neururer, aber da hat er schon beim Erzrivalen unterschrieben – „leider Gottes“ sei „der Peter“ zu spät dran gewesen.
Langhorst, der sich den Job beim BVB aus zeitlichen Gründen mit Harald Bartsch teilt, dem Chefarzt der Marler Paracelsus-Klinik, hat den Dortmundern von Anfang an gesagt, dass in seiner Praxis auch Schalker Spieler behandelt werden: Der erste ist Andreas Müller 1988. Was er den Dortmundern freilich lieber verschwiegen hat, ist seine Leidenschaft für Schalke. „Für mich“, sagt er, „war das nie ein Problem. Ich habe das trennen können, dass mein Herz für Schalke schlägt und ich zum BVB ein professionelles Verhältnis haben musste.“ Und die Borussen haben zunächst auch kein Problem mit ihrem neuen Doc. Weder Trainer Horst Köppel („ein braver, anständiger Kerl“), noch die Mannschaft mit überzeugten Borussen wie Nobby Dickel, Thomas Helmer und Michael Schulz.
Doch das ändert sich, als nach einem halben Jahr Michael Meier der neue Manager beim BVB wird. Der hat wohl irgendwie Lunte gerochen – auf jeden Fall hat Langhorst fortan den Eindruck, dass Meier und Präsident Gerd Niebaum ihm gegenüber nicht mehr mit offenen Karten spielen. Meier findet eine verstaubte Broschüre vom DFB, in der Langhorst zusätzlich auch noch als Schalker Mannschaftsarzt geführt wird – und spätestens da hört bei dem ehemaligen Klosterschüler die Freundschaft auf. Der Doc versucht das klarzustellen („ein Missverständnis“), doch er wird das Gefühl nicht mehr los, dass Meier jetzt nur noch einen Grund sucht, „um mich loszuwerden.“ Und den findet er im März 1990.
Gorlukowitsch in Russland wiederholt mit Cortison-Spritzen behandelt
Es ist die Zeit, in der die ersten Russen in Deutschland spielen: Schalke hat sich die Stürmer Sascha Borodjuk und Wladimir Ljuty geangelt, der BVB den eisenharten Verteidiger Sergej Gorlukowitsch. Der macht der Borussia freilich wenig Freude, weil er von seinen Länderspielreisen ständig mit Muskelverletzungen zurückkehrt. Langhorst geht der Sache auf den Grund und findet heraus, dass Gorlukowitsch in Russland wiederholt mit Cortison-Spritzen behandelt wird – ein Medikament, das heute auf der Doping-Liste steht. Und als er von einem Reporter gefragt wird, warum Gorlukowitsch immer wieder verletzt sei, macht Langhorst die falsche Behandlung durch die russischen Ärzte öffentlich – „ich wollte den Spieler schützen“. Doch Michael Meier fällt am nächsten Tag, als er die Zeitung liest, die Kaffeetasse aus der Hand.
Er bestellt Langhorst zum Rapport und tobt in seinem Büro: „Wie können Sie sich in der Öffentlichkeit so äußern? Das ist Rufschädigung.“ Das Vertrauen sei nun aber nachhaltig gestört. Langhorst, der den Job beim BVB inzwischen ohnehin satt hat, wittert Morgenluft und bittet auf der Stelle um Vertragsauflösung – Meier schlägt ein. Und zwei Tage später bekommt der Doc von Schalke das Angebot, auf der Stelle bei den Blauen einzusteigen. Schon beim nächsten Spiel in Saarbrücken ist er der Schalke-Doc und lacht sich ins Fäustchen: „Bei diesem Spiel habe ich mich das einzige Mal in meinem Leben direkt neben den Trainer gesetzt, damit mich die Dortmunder im Schalke-Dress im Fernsehen sehen konnten…“
Eine Zeitreise durch die Liga
Mehr als 22 Jahre ist das jetzt her, aber Langhorst erinnert sich daran, als wenn es gestern gewesen wäre. Er erzählt, wie Jahre später alles rausgekommen ist: Dass in Russland die Spieler mit Cortison behandelt wurden, was man bei der Borussia nicht wahrhaben wollte – „ich habe mich in Dortmund zutiefst ungerecht behandelt gefühlt.“ Er erzählt von seinen neun Jahren als Mannschaftsarzt auf Schalke, von Aleksandar Ristic („mit dem konnte ich überhaupt nicht“) und Günther Eichberg – wie eine Zeitreise durch die Bundesliga.
Heute ist Armin Langhorst Mitglied im Schalker Aufsichtsrat – er ist halt ein Blauer durch und durch. Und den Marc Wilmots, den hat er damals mit der Spritze auf der Autobahn wirklich fit bekommen. Er hat am nächsten Wochenende für Schalke gegen die Bayern gespielt.