Essen.
Die Essener Schwimmerin Sina Sutter zog sich selbst aus der Krise und geht jetzt bei der Europameisterschaft in Budapest auf Medaillenjagd.
„Da kommt ja unser Sternchen“, sagt Daniela Samulski und nimmt Sina Sutter in den Arm. Es ist noch früh am Morgen im Essener Schwimm-Leistungszentrum. Zu dieser Uhrzeit fühlt sich das Wasser noch kühler, noch nasser an. Aber die beiden Schwimmerinnen der Startgemeinschaft Essen haben längst ihr warmes Bett verlassen. Sie holen sich den letzten Schliff für die Europameisterschaften in Budapest, bei denen sie ab Montag auf Medaillenjagd gehen.
Daniela Samulski ist als Weltrekordlerin und Vize-Weltmeisterin nach dem Verzicht von Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen die Frontfrau des deutschen Nationalteams. Die 26-jährige Samulski ist der Star, die 19-jährige Sutter das Sternchen. Ein hoch begabtes Sternchen, das in Deutschland einige Nachwuchs-Titel und bei der Junioren-WM Silber holte, im letzten Jahr aber fast als Sternschnuppe verglüht wäre. Die Geschichte der Sina Sutter ist eine Parabel für die vielen Super-Talente, die auf dem Weg nach oben zahllose Hürden aus dem Weg räumen müssen. Im Sport und in der Schule werden Höchstleistungen gefordert, die Pubertät schüttelt die Gefühle durch. Viele geben auf, Sina Sutter stand auch kurz davor, doch die Essenerin biss sich durch und schrieb sich selbst ein Happy End ins Drehbuch. Im Juni bestand sie ihr Abitur, jetzt steht sie bei der EM vor ihrer sportlichen Reifeprüfung.
Sie hat keine einfache Zeit hinter sich. Schon mit 16 zog sie zuhause aus. Familiäre Probleme, Krankheit, Unlust. Kein Wunder, dass es auch im Schwimmbecken nicht mehr stromlinienförmig geradeaus ging. Im letzten Jahr zog ihr Trainer Henning Lambertz die Notbremse und nahm Sina zur Seite. „Sie ist ein sehr, sehr großes Talent, aber ihr fehlte die Konsequenz“, sagt Lambertz, „Frühtraining war nicht ihr liebstes Ding. Mal kam sie, mal nicht. Nachmittags traf sie sich manchmal lieber mit Freunden. Alles verständlich in diesem Alter, doch mit Hochleistungssport nicht vereinbar.“ Der Trainer versetzte sie in eine niedrigere Leistungsgruppe mit der Aufforderung: „Zeig mir, dass du wirklich willst.“
Ein Schock für die Schwimmerin. Sie grübelte über den Abschied vom Sport. Dann setzte sie sich eine Frist bis zum Sommer 2010. „Es wäre doof gewesen, so abzutreten“, erzählt sie. Stattdessen kniete sie sich richtig rein. Der neue Trainer Mitja Zastrow gab ihr neues Selbstwertgefühl, kümmerte sich um ihre Technik.
Das Frühtraining war zwar immer noch nicht ihr Ding, aber sie zog es durch. „Wenn du um 5.45 Uhr vor der Schule zum Training antanzen musst, das ist hart“, sagt sie, „ich bin nicht der Frühaufsteher, eher ein Morgenmuffel. Besonders im Winter ist es schrecklich. Die Kälte, die Dunkelheit. Aber nur so kommst du voran.“ Und wie. Während fast alle Schwimmer dieser Welt nach dem Verbot der High-Tech-Anzüge um Längen hinter ihren Bestleistungen zurückblieben, steigerte sich Sina Sutter über 100 Meter Schmetterling um 2,5 Sekunden. Längst hat sie Trainer Lambertz in seine Gruppe zurückgeholt. Ohne Ressentiments.
Starke Reaktion
„Sina hat eine starke Reaktion gezeigt“, sagt Lambertz. Und Horst Melzer, der sich im Essener Sport-Internat um Sina Sutter kümmerte, erklärt: „Sie ist im Sport erstklassig und im Leben selbständig geworden.“
Was hat sie aus der Zeit der Krise gelernt? „Ohne Training geht es halt nicht im Hochleistungssport“, antwortet Sina Sutter, „und die Familie ist ganz wichtig. Sonst bekommst du den Kopf nicht frei.“ Und dann verscheucht sie die Gedanken an die Vergangenheit und lächelt. Harmonie in der Familie, Abitur bestanden, EM-Teilnahme: Die Welt der Sina Sutter ist wieder in Ordnung.