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Ein Boss ist geboren

Ein Boss ist geboren

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Heute wird es ruhig sein auf dem Margarethenfriedhof in Essen-Frohnhausen. Wie immer. Ein Wind wird wehen, Menschen legen Blumen auf die Gräber. Doch ob es wirklich so ruhig bleibt? Auf dem Friedhof liegt auch das Grab von Helmut Rahn. Der „Boss“ wäre heute 79 Jahre alt geworden.

Da sind diese wenigen Sekunden, die Helmut Rahns Leben bestimmten, veränderten. Die eine ganze Fußball-Generation prägten. Die jeder Fußball-Knirps heute und in Zukunft schon im F-Jugend-Alter hört. Die Helmut Rahn unsterblich machen. 4. Juli 1954, 18.32 Uhr, Bern. Weltmeisterschafts-Finale Deutschland gegen Ungarn, Spielstand 2:2. Rahn bekommt den Ball, der Radioreporter Herbert Zimmermann brüllt: „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schiiießt.

TOR

TOR

TOR!“

Deutschland ist Weltmeister. Und Rahn hat das entscheidende Tor geschossen. Nicht wenige Experten behaupten bis heute, es sei das wichtigste Tor der deutschen Fußball-Geschichte gewesen.

Doch was für ein Mensch steckt eigentlich hinter dieser WM-Held-Hülle? Helmut Rahn ist ein Essener durch und durch. 1938 – mit neun Jahren – beginnt er seine Karriere beim SV Altenessen 1912, bleibt bis 1946. Es folgt ein Wechsel in die Landesliga zum SC Oelde 1909. In der Saison 1950/51 trägt Rahn für eine Saison das Trikot der Sportfreunde Katernberg. Seine erfolgreichste sportliche Zeit erlebt Rahn von 1951 bis 1959 bei Rot-Weiß Essen. 1953 gewinnt RWE den DFB-Pokal, wird 1955 deutscher Meister. Dazwischen liegt der WM-Triumph 1954. Rahn kehrt 1958 zur WM in Schweden ins Nationalteam zurück. Unter dem legendären Nationaltrainer Sepp Herberger bestreitet er 40 Länderspiele, schießt dabei 21 Tore. 1959 wird Rahn 30 und lässt danach seine Karriere ausklingen. Ein Angebot aus Argentinien hatte er bereits 1952 abgelehnt. 1959/60 trägt er das Trikot des 1. FC Köln, von 1960 bis 1963 spielt er in den Niederlanden beim FC Twente Enschede und von 1963 bis 1965 in der neugeschaffenen 1. Bundesliga beim Meidericher SV. Seine Bilanz: 19 Spiele, 7 Tore. Mit 36 verletzt sich Rahn am Knie, beendet seine Laufbahn.

Doch was passiert dann?

Helmut Rahn bekommt keine millionenschweren Werbeverträge. Lässt sich Auftritte in Talkshows nicht versilbern (Talkshows gibt’s ja auch noch nicht). Nimmt keine hochdotierten Trainer- oder Managerjobs an. Er hat keine Lust auf die Medienwelt. Fritz Walter, der Kapitän der WM-Elf 1954, sagt über Rahn: „Er ist ein kraftstrotzender und selbstbewusster Boss mit einem unerschöpflichen Vorrat an Blödsinn und Übermut.“ Noch während seiner aktiven Karriere überwiegt zuweilen der Übermut. 1957 fährt Rahn betrunken in eine Baugrube, wird festgenommen und prügelt sich mit den Polizisten. Nach 1965 versucht er sich in mehreren Berufen. Mit Bruder Hans ist er Gebrauchtwagenhändler, arbeitet danach als Repräsentant einer Entsorgungsfirma für Bauschutt. Und abends sitzt er immer wieder an den Theken in Essen, schlürft ein „Pilsken“ nach dem nächsten, erzählt „von früher“, von seinem Tor. Er wird ein alter Mann mit Alkoholproblemen, an den sich kaum jemand außerhalb von Essen erinnert. Nur Herbert Zimmermanns Stimme holt Rahn zurück ins Gedächtnis der Fußball-Fans, aber dass dieser Rahn noch lebt – wer weiß das schon noch!? Kurz vor seinem Tod zieht sich Rahn aus den Kneipen zurück, kümmert sich um seinen Schrebergarten und die Familie. Er stirbt am 14. August 2003 nach langer, schwerer Krankheit. Zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag. Viele kommen zur Beerdigung, ehemalige Mitspieler, Funktionäre, Essener.

Helmut Rahn liegt in der Stadt begraben, in der er geboren wurde, in der er lebte, spielt, alt wurde und schließlich starb. Die Essener haben ihrem „Boss“ ein Denkmal gesetzt. Es steht vor dem Georg-Melches-Stadion.