Am 20. November startet die WM 2022 in Katar. Innerhalb von weniger als einem Monat wird dann ermittelt, wer sich dann am 18. Dezember zum Weltmeister krönen darf. Doch in den vier Wochen, in denen der Ball in Katar rollt, geht es nicht nur um das Sportliche. Auch die Situation der Menschen im Gastgeberland muss zwangsläufig in den Vordergrund gerückt werden.
Über die politische Situation im Gastgeberland, die WM 2022 und den anstehenden Ski-Weltcup hat ARD-Kommentator Bernd Schmelzer im exklusiven Interview mit DERWESTEN gesprochen.
ARD-Kommentator Bernd Schmelzer im Interview
Kurz vor dem Start der Weltmeisterschaft hat ARD-Kommentator Bernd Schmelzer mit dieser Redaktion über die anstehenden Spiele, der Kritik am Turnier und den anschließenden Wettbewerben im Ski-Sport gesprochen.
Herr Schmelzer, Sie sind ein sehr erfahrener Reporter, trotzdem ist die WM für alle neu. Es ist eine Winter-WM und sie bringt viele Diskussionen mit sich. Freuen Sie sich trotz allem auf die WM in Katar?
Bernd Schmelzer: Ich bin nicht in Katar, ich bin in Mainz im Sendezentrum von der ARD und dem ZDF. Ich bin zwiegespalten, wie viele andere auch. Ich werde die Spiele trotzdem anschauen, weil ich sie anschauen muss (lacht). Ich würde sie aber auch so anschauen. Natürlich ist es jetzt gerade schwierig sich total entspannt auf ein Fußballspiel zu freuen, so wie man es früher gemacht hat. Bei anderen Weltmeisterschaften war es allerdings im Vorfeld auch nicht ganz einfach. Ich erinnere mal an Russland, oder die Diskussionen vor der WM in Brasilien. Da ging es um das Zika-Virus und um Menschen, die in den Favelas wohnen, die Ärmsten der Armen. Und trotzdem wurde der Regenwald abgeholzt, um ein Stadion mitten im Dschungel zu bauen. Bei fast allen der letzten Großveranstaltungen hat es sehr kontroverse Diskussionen im Vorfeld gegeben. In diesem Fall geht es glaube ich nochmal einen Tick weiter als bislang, das ist zumindest mein Gefühl. Deswegen bin ich auch sehr zwiegespalten.
Wir haben in den letzten Wochen in der Bundesliga gesehen, dass die meisten Fans auf den Tribünen mit Plakaten zum WM-Boykott aufrufen. Was halten Sie von solchen Boykott-Aufrufen? Finden Sie das ist der richtige Weg?
Ich finde, dass das der Vorteil von einem Land ist, in dem man seine Meinung zumindest in großen Teilen noch frei äußern kann. Deswegen hat jeder Fan das Recht dazu sich so zu positionieren. Wenn das seiner persönlichen Meinung entspricht, dann immer gerne. Ich selber glaube, dass das allerdings keinen großen Einfluss auf das Leben der Kataris haben wird. Trotzdem ist es natürlich eine Geste und eine Symbolik, die zeigen kann, dass wir anders leben und eine andere Vorstellung von einem menschlichen Miteinander haben. Deswegen empfinde ich das als durchaus positiv.
Wenn Sie nicht von Berufswegen für die WM eingesetzt werden würden, würden Sie dann privat Spiele gucken?
Ich würde mir privat sicher Spiele anschauen. Das sind zunächst mal alle Spiele der deutschen Mannschaft, weil sie mich einfach als Fan interessieren. Ich würde mir jedoch nicht alle Spiele anschauen, also deutlich weniger als bei vielen Welt- und Europameisterschaften zuvor. Wenn XY gegen AB spielt in der Vorrunde um 11 Uhr vormittags oder um 14 Uhr etwa. Diese Begegnungen hätten für mich keine Relevanz. Aber die Top-Spiele würde ich mir schon anschauen. Dafür bin ich zu viel Fan. Zumal mich bei einer Weltmeisterschaft hauptsächlich der Sport interessiert.
Sie haben vorhin ja schon kurz angedeutet, dass sie selbst nicht in Katar sein werden. Ist es schwierig, wenn man so weit von dem eigentlichen Geschehen ist eine Nähe zu schaffen oder dem Zuschauer zu vermitteln, wie es wie es wirklich auch vor Ort ist?
Ich könnte jetzt sicher keinen Kommentar sprechen. Das ist einfach nicht möglich. Wenn man nicht vor Ort ist, kann man es nicht kommentieren. Ich kann und werde begleitend berichten. Ich muss mich auf Bilder und Aussagen Dritter verlassen. Eine politische Einordnung ist deshalb annähernd unmöglich. Du hast keinen persönlichen Eindruck, du hast es nicht erlebt und du weißt nicht, wie die Menschen am Ort des Geschehens reagieren. Wie sollte man es dann etwas politisch einordnen können, maximal sehr vage. Ich sehe mich aus diesem Grund ausschließlich auf der Seite der Sport-Berichterstattung.
Aber die ARD hat ja Journalistinnen und Journalisten vor Ort, die das alles sehr genau beobachten und einordnen werden. Deswegen sind sie in Katar, um den Zuschauerinnen und Zuschauern das Gefühl zu vermitteln, wie es dort wirklich ist oder Hintergrundberichte erstellen.
WM 2022: Schmelzer sieht für Deutschland eine „große Chance“
Lassen wir uns auf das Sportliche blicken. Jetzt wissen wir mittlerweile, wie der deutsche Kader aussehen wird. Was glauben Sie, wer wird Weltmeister und hat Deutschland eine realistische Chance den Triumph von 2014 zu wiederholen?
Das ist so wie, als wenn Sie mich jetzt fragen würden, welche Lottozahlen am nächsten Wochenende gezogen werden. Da ist die Chance etwa genauso groß, dass im Vorfeld eines Turniers mit so kurzer Vorbereitung und kaum Vergleichsmöglichkeiten vorherzusagen. Eine WM, die irgendwie in einen Spielplan mit DFB-Pokal, Champions League und der Bundesliga reingepresst wurde. Ich glaube, dass es dieses Mal so viele Faktoren gibt, die einen Einfluss darauf haben. Das geht bei Verletzungen los, bei kleinen Wehwehchen, bei der Fitness und der Frage, wie die Spieler mit den klimatischen Bedingungen zurechtkommen werden. Es ist ganz schwer vorherzusagen. Wenn ich mir den Kader anschaue, hat Deutschland allerdings eine sehr große Chance weit zu kommen.
Dänemark war bei der EM 2021 die große Überraschung. Denken Sie, dass vielleicht eine Underdog-Mannschaft eine Chance hat?
Kann ich mir persönlich jetzt nicht vorstellen. Dass so ein richtiger Underdog vom Kaliber Katar oder Ecuador vorne mitmischt. Dafür sind gerade die europäischen Mannschaften und auch Brasilien und Argentinien viel zu stark. Das hat man auch bei den letzten Turnieren gesehen: Die ganz großen Überraschungen gibt es eigentlich nicht mehr. Und dieses Mal wird es sie auch nicht geben.
Bernd Schmelzer: „Das unterscheidet den Fußball vom Ski-Sport“
Sie werden die WM nicht komplett begleiten, da während der WM der Ski-Weltcup anfängt. Sie sind großer Ski-Fan. Hätten Sie den Ski-Weltcup der WM auch schon früher vorgezogen?
Bis einschließlich zum Halbfinale bin ich dabei, aber diese Frage hat sich im Endeffekt nicht gestellt. Die Rennen, die partiell parallel zur WM stattfinden, sind Rennen, die in Amerika zu deutscher Zeit zwischen 18 Uhr und 21 Uhr stattfinden. Die werden bei ARD und ZDF sowieso nicht live übertragen. Es wäre eine andere Situation gewesen, wenn es da über mehrere Wochenenden zu europäischen Zeiten Parallelveranstaltungen gegeben hätte. Das erste Parallelwochenende ist aber das Finalwochenende mit den Rennen in St. Moritz, Gröden und Alta Badia. Mein Herz hängt am Ski-Weltcup, weil es einfach eine wunderschöne Sportart ist und da wahnsinnig viele nette Menschen unterwegs sind, die ich seit vielen Jahren kenne. Ich tue mich übrigens ohnehin schwer mit der Winter-Weltmeisterschaft. Fußballspiele im Winter, wenn es kalt und ungemütlich im Stadion ist, halte ich ohnehin nur für begrenzt vergnügungssteuerpflichtig (lacht).
Wie kam Ihre Liebe zum Skisport zustande und ist Ihnen der Skisport oder der Fußball lieber?
‚Was ist beim Wintersport anders als beim Fußball?‘, ich glaube das wäre der richtige Ansatz. Der Wintersport ist immer noch ein bisschen mehr eine größere Familie. Gerade der Alpine-Skisport vermittelt dieses familiäres Gefühl, auch wenn durch den neuen Präsidenten Formel-1-artige Strukturen geschafft werden sollen, was etwa die Vermarktung angeht. Egal ob Sportlerinnen und Sportler oder Kolleginnen und Kollegen, wir haben einfach einen engeren Draht zueinander. Das hängt A damit zusammen, dass die gesamte Gruppe innerhalb des Ski-Weltcups kleiner ist und B, dass man sich jetzt schon über Jahrzehnte hinweg kennt. Maria Höfl-Riesch, Markus Wasmeier, Felix Neureuther, Armin Bittner, Frank Wörndl ganz egal, wen man trifft, aus welchen Bereichen auch immer, das sind alles Bekannte und im weitesten Sinne Freunde, mit denen du auch nach der aktiven Karriere immer noch Kontakt hast. Das ist im Fußball nicht so und das geht auch nicht. Wenn die Spieler mit jedem, der ihnen dreimal das Mikrofon hingehalten hat, noch Kontakt hätten, dann kämen sie nicht mehr dazu noch irgendwas mit ihren Familien zu machen. Das unterscheidet den Skisport vom Fußball.
Damit wären wir bei Ihrem Buch, was den Titel „Ja was macht er denn da?!“ trägt. Warum haben Sie ihrer Liebe zum Ski-Sport ein Buch gewidmet?
Die Idee mit dem Buch kam, weil mich wahnsinnig viele Zuschauerinnen und Zuschauer drauf angesprochen und gefragt haben, ob ich nicht mal ein Buch schreiben wolle, da ich so lange mit dem Skisport unterwegs und an so vielen Orten gewesen bin. Ich hätte doch spannende Menschen kennengelernt und sicher interessante Geschichten zu erzählen. Vor einem Jahr hat mich schließlich jemand angesprochen, der dieses Buch auf den Markt zu bringen wollte. Dann hat sich tatsächlich ein Verlag aus Österreich gemeldet. Der Verlagschef kannte mich von meinen Reportagen aus dem Winter. Vom Nightrace aus Schladming beispielsweise, das ich mit dem ehemaligen Weltklasse-Skifahrer aus Österreich, Rainer Schönfelder, seit vielen Jahren kommentiere. Und das ist ja auch interessant, dass ein österreichischer Verlag einem deutschen Autoren die Möglichkeit gibt, ein Buch über den Ski-Weltcup zu schreiben. Das ist das Ende der Piefke-Saga sozusagen (lacht). Insgesamt war es schön, sich nochmal mit den letzten drei Jahrzehnten auseinander zu setzen und das alles ganz alleine zu Papier zu bringen. Da bin ich schon ein wenig stolz drauf, dass mir das gelungen ist. Ich finde, das ist ein ganz tolles Buch geworden für jemanden der sich für den Ski-Sport interessiert.
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Was ist Ihre Lieblings-Anekdote aus diesen 30 Jahren?
Man hat mich schon mal gefragt, was mein Lieblingsrennen oder der Höhepunkt der Liveberichterstattung war. Aber das kann man so pauschal nicht sagen. Alles hat irgendwie ein Alleinstellungsmerkmal. Hermann Maier einst mit seinem Privatauto nach Hause fahren zu dürfen, von München nach Sölden ins Ötztal, in einer Nacht nach einem Studiobesuch beim Bayerischen Rundfunk, das war schon sehr besonders. Es ist aber auch unglaublich spektakulär gewesen, das Rennen von Thomas Dreßen zu übertragen, 2018 mit seinem Kitzbühelsieg, den Olympiasieg von Maria Höfl-Riesch, als die Einschaltquote höher war als einen Abend später bei ‚Wetten, dass‘. Das war extrem überraschend muss ich sagen (lacht). Mit Markus Wasmeier in einem Hotel zu übernachten und am nächsten Morgen über Schweizer-Ski-Fans zu kraxeln, die alle nach einer langen Partynacht vor den Zimmern lagen, das sind tolle Anekdoten. Felix Neureuther hat neben mir mal während einer Übertragung den Renndirektor angerufen bei der Weltmeisterschaft, weil er sich über die Kurssetzung beschweren wollte. Live in der Sendung. Da gibt es so viele Geschichten, aber die mit Hermann Maier ist sicherlich sehr besonders gewesen.