München.
Der Kopf ist kahl, der Kranz ist grau. Dann das verschmitzte Lächeln: Man könnte sagen, Hans Kessler wirkt wie ein freundlicher und durchaus verdienstvoller Herr in den besten Jahren. Hans Kessler ist Präsident des Fußball-Regionalligisten Darmstadt 98. Und neuerdings einer von mehreren Kronzeugen, die der FC Bayern München bemüht hat, um einen Teil seiner eigenen Fans davon zu überzeugen, dass Uli Hoeneß seinem Darmstädter Kollegen nicht unähnlich ist: freundlich und verdienstvoll nämlich.
Sechzig als Auslöser
Dass es überhaupt so weit kommen musste, ist schon erstaunlich. Beim Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach war Hoeneß aus der Südkurve heraus ungewöhnlich scharf angegriffen worden. Das hatte auch mit dem geplanten und in Teilen der Kurve angefeindeten Transfer des Schalker Nationalkeepers Manuel Neuer zu tun, der Auslöser war jedoch Hoeneß’ Entscheidung, dem hoch verschuldeten Nachbarn und alten Rivalen 1860 München die Schulden zu stunden.
Die Sechziger, sportlich längst zweitklassig, sind Untermieter des FC Bayern in der Arena. Bayern hat offene Forderungen von 2,1 Millionen Euro, doch als die Sechziger das Geld Ende Januar nicht fristgerecht zahlen konnten, gewährte Hoeneß einen Zahlungsaufschub bis Mitte Juli. Das hat ihm aus der Südkurve, dort, wo der Bayern-Fanclub „Schickeria“ den Ton angibt, den Vorwurf eingebracht, ein „Lügner“ zu sein.
Das hat, das konnte den FC Bayern nicht ruhen lassen. Rund ums Heimspiel gegen Leverkusen fuhr der Verein, so auch im Stadionheft, reihenweise Kronzeugen auf, die die Verdienste von Uli Hoeneß priesen, wahlweise auch sein soziales Engagement. Einer war Hans Kessler: Hoeneß hatte Darmstadt 2008 in höchster finanzieller Not mit einem Benefizspiel 200 000 Euro in die Kasse gespült.
Doch das Münchner Problem mit den Fans bleibt auch nach dem Aktions-Sonntag gegen Bayer. Dabei ist es weniger die widerborstige Schickeria, die den Rekordmeister alarmieren sollte. Die Forderung nach mehr Mitspracherecht, die hinter der Kritik an Hoeneß steckt, werden die Bayern ungerührt aussitzen können. Doch so wie die Schickeria über das Ziel hinaus geschossen war, so bemüht wirkte beim 5:1 gegen Leverkusen die Antwort von Fans und Verein.
Zarte Sprechchöre
Vor dem Spiel waren angeblich tausende Trikots mit dem Schriftzug „Mia san Uli“ verkauft worden, im Stadion war von den Hemden wenig zu sehen. Und die Hoeneß-Sprechchöre, die eine Stunde lang auf sich warten ließen, fielen nach nicht mal einer Minute in sich zusammen. Es fällt nicht schwer, sich auszumalen, welche optische und stimmliche Wucht die Fans in Dortmund oder auf Schalke in einer vergleichbaren Situation entfaltet hätten. Tatsächlich ist die Stimmung in der Münchener Arena sogar bei einem 5:1 eher gedämpft.
Man kann die Bayern ja um vieles beneiden. Ihr Operetten-Publikum im eigenen Stadion gehört nicht dazu.