Im Interview spricht Steffen Freund über den kommenden BVB-Gegner Tottenham Hotspur, bei dem er lange gearbeitet hat, das Revierderby und sein Teletubby-Kostüm.
Essen.
Steffen Freund wird gerne gehört. Wenn es um Fußball geht und wenn von London die Rede ist. Der 46 Jahre alte Ex-Profi freut sich besonders, wenn er über Fußball und London in direktem Zusammenhang sprechen darf. Also los: Am Donnerstag (19 Uhr, live bei Sky und in unserem Ticker) trifft Borussia Dortmund im Achtelfinal-Hinspiel der Europa League auf Tottenham Hotspur. Der einstige Mittelfeld-Kämpfer hat sowohl im Ruhrgebiet als auch beim Klub aus dem Londoner Norden gespielt, bei den Spurs bis 2015 drei Jahre als Co-Trainer gearbeitet. Das macht ihn zum geeigneten Gesprächspartner – auch wenn wir erst einmal auf einen anderen Verein zu sprechen kommen.
Herr Freund, man hat nicht mehr unbedingt im Hinterkopf, dass Sie 2004 Ihre Karriere ja bei Leicester City haben ausklingen lassen.
Steffen Freund: Genau. Ich weise derzeit bei Vorträgen sehr gerne darauf hin (lacht). Ich kann dann sagen, dass ich in Leicester und Tottenham gespielt habe – also beim aktuell Ersten und Zweiten.
Neben Dortmund und Schalke also nur bei den größten Vereinen.
Steffen Freund: Es ist schon ein Traditionsklub, wenn auch nicht mit den großen Fünf in England zu vergleichen. Leicester ist 2004 leider abgestiegen, ich habe noch eine halbe Saison versucht zu helfen. Zehn Jahre später sind sie endlich wieder in der Premier League und diese Saison durchgestartet.
Leicester führt mit fünf Punkten die Premier League an. Mit wem hätte der BVB im Achtelfinale mehr Probleme – mit dem Spitzenreiter oder Verfolger Tottenham?
Steffen Freund: Ich glaube, dass die Dortmunder es gegen Leicester einfacher hätten, auch wenn der Klub Meister wird und in die Champions League einzieht. City verfügt halt nicht über internationale Erfahrung wie Tottenham, der Kader ist nicht so breit aufgestellt, und der Fokus liegt jetzt natürlich auf der Meisterschaft. Das Spiel BVB gegen Tottenham ist für mich ein Finale – es ist kaum vorhersehbar, wer sich da durchsetzt.
Es heißt, der englische Fußball sei viel schneller als der der Bundesliga. Sie kommentieren fürs britische Fernsehen, sehen viele Spiele. Mal im Ernst, müsste es inzwischen nicht heißen: Der BVB spielt viel zu schnell für die Teams von der Insel?
Steffen Freund: Würde ich so nicht sagen. Dortmund spielt einen sehr modernen Umschaltfußball, Spieler wie Aubameyang, Reus und Mkhitaryan kommen unheimlich schnell zum Abschluss, wenn sie nach dem Ballgewinn die Räume haben. Das Spiel der englischen Mannschaften ist aber in der Gesamtheit nochmal schneller, es wird dort sehr hoch gepresst und ganz selten abgewartet.
Dennoch: Ist der BVB die Mannschaft, die es in der Europa League zu schlagen gilt?
Steffen Freund: Es war schon ein bisschen Ärger dabei, als ich in der ersten Reaktion nach der Auslosung auf Twitter vom Alptraum geschrieben habe. Beide Teams haben das Zeug, die Europa League zu gewinnen. Auf der anderen Seite ist auch Liverpool gegen Manchester United eine echte Hausnummer. Diese Frage würde ich lieber nach dem Achtelfinale gestellt bekommen.
Können wir gerne machen. Sie kennen Tottenham als Spieler und als Co-Trainer. Was unterscheidet die Hotspurs von anderen englischen Traditionsklubs?
Steffen Freund: Sie haben jetzt einen anderen Weg eingeschlagen, arbeiten mehr mit jungen englischen Talenten. Harry Kane ist ein unglaublich torgefährlicher Stürmer. Ryan Mason, Dele Alli haben jetzt den Durchbruch geschafft. Dazu erfahrene Führungsspieler wie Hugo Lloris, ein sehr handlungsschneller Torwart, Jan Vertonghen als Kopf der Abwehr (wird verletzt fehlen, d. Red.) und Christian Eriksen, der als Zehner jetzt sogar mit der Defensivarbeit beginnt – das ist schon eine sehr talentierte Mannschaft.
Sie hatten Kane bereits als Junioren-Nationalspieler im Training.
Steffen Freund: Sein Ehrgeiz war früh erkennbar, er wollte nach der U-19-EM gar keinen Urlaub machen. Erst konnte er sich noch nicht so durchsetzen, da hatte er mit Emmanuel Adebayor und Jermain Defoe internationale Klasse als Konkurrenz. Anschließend wurde noch Roberto Soldado dazu geholt. Er ist aber hartnäckig geblieben, wurde ausgeliehen und hat es mit seinem Ehrgeiz und seiner Aggressivität geschafft. Seine Entwicklung ist beeindruckend.
Es wird immer darüber geredet, welcher Bundesliga-Star als nächster nach England wechselt. Wäre Kane einer für den umgekehrten Weg zum BVB oder zu den Bayern?
Steffen Freund: Sportlich wäre das sicher eine Möglichkeit. Finanziell kann ihn sich aber außer Bayern München kein Bundesligist ab der nächsten Saison leisten. Dann greift in der Premier League der neue TV-Vertrag, und jeder Klub hat dann allein TV-Einnahmen von mehr als 100 Millionen Euro – das macht es den deutschen Vereinen schwer, einen Harry Kane zu verpflichten. Schalke und Dortmund vielleicht noch, aber generell wird eher die Tendenz sein, dass die Bundesliga ihre Topspieler verliert.
Sie wurden in Tottenham trotz nur vier Jahren als Spieler in die Hall of Fame aufgenommen. Wie haben Sie es geschafft, Kult zu werden?
Steffen Freund: Eigentlich genauso wie in Dortmund. Ich bin ja damals von Schalke gekommen, 93/94 war eine sehr durchwachsene Saison, auch wenn wir am Ende noch Vierter geworden sind. Ich habe es nicht einfach gehabt und mich dann doch mit viel Herz und Mut durchgesetzt. Das hat sich in Tottenham wiederholt. Vom Einsatz, Laufbereitschaft, Ehrgeiz und Siegeswillen her konnten da nicht viele mithalten. Das war schon dem Dortmunder Publikum sehr wichtig. Umso mehr hat es mich überrascht, dass ich in London bei der Philosophie, offensiv und dominant zu spielen, gut ankam. Ich stehe natürlich nicht für kreativen, schönen Fußball, das weiß ich. Aber alles zu geben, Bälle zu erobern, die Defensive zu organisieren, das war mein Spiel – und das würdigen auch die Fans.
Den letzten haben Sie vermutlich von sich überzeugt, als Sie 2015 zum Ligapokal-Finale gegen Chelsea mit dem Zug angereist sind und mit etlichen Tottenham-Anhängern gesungen haben.
Steffen Freund: So bin ich halt. In London ist immer Stau, also sitze ich auf dem Weg ins Wembleystadion nicht drei Stunden im Auto, sondern lieber eine halbe Stunde in der U-Bahn. Und wenn die Fans dort rufen, „Steffen Freund, sing einen Song“, soll ich dann aussteigen? Also habe ich mitgesungen und das gemacht, was mir schon als Spieler wichtig war: für die da zu sein, die den Klub lieben.
Sie standen sehr häufig auf dem Platz, wenn Dortmund gegen Schalke gespielt hat. Haben die vielen Revierderbys Ihren Wunsch bekräftigt, nach London zu wechseln, um dort möglichst oft die gleiche Spielatmosphäre zu erleben?
Steffen Freund: Das war ein schöner Bonus. Was ich in Dortmund und auf Schalke erlebt habe, bleibt haften. Jedes Jahr waren sechs Londoner Mannschaften in der Liga, es gab mindestens zehn Derbys – die habe ich alle genossen.
Obwohl Sie inzwischen in Potsdam wohnen, haben Sie noch immer eine hohe Affinität zu England. Und das nicht nur, wenn Sie als Teletubby verkleidet zur Dart-WM gehen.
Steffen Freund: Das stimmt (lacht). Ich liebe einfach London, habe dort sieben Jahre verbracht und viel erlebt. Mein Sohn Niklas lebt noch in der Stadt und genießt weiter die Weltstadt. Meine Frau Ilka und ich sind sehr froh, dass er und meine beiden Töchter Marleen und Heidi durch die Sprache viele Möglichkeiten bei ihrer Berufswahl haben werden. Darüber hinaus macht es mir viel Spaß, vom Fußball in England zu erzählen, den Menschen in Deutschland die Premier League nahezubringen. Ich nehme kein Blatt vor den Mund, wenn ich sage: Geht’s um England, muss man mich fragen. Ich habe dort fünf Jahre gespielt, war der erste deutsche Trainer in einem Premier-League-Team, wenn auch als Co, aber vor Felix Magath und Jürgen Klopp. Ich kenne die Spieler, die Liga und die Mentalität.
Ist es Ihr Ziel, dort auch zeitnah als verantwortlicher Coach zu arbeiten? Oder zieht es Sie eher in die Bundesliga?
Steffen Freund: Ich bin Fußball-Lehrer, und der nächste Schritt nach einem Co-Trainer-Job wäre sicher der eines Cheftrainers oder Sportdirektors. Das müsste aber weder in der höchsten Liga noch in irgendeinem bestimmten Land sein. In den drei Bundesligen gibt es zwar nur 108 Stellen für diese Jobs, und ich bin nicht blauäugig, aber ich weiß, dass irgendwann die Chance kommen wird.
Zur Not haben Sie sich ja schon ein anderes Standbein aufgebaut.
Steffen Freund: Das ist richtig, ich habe die Firma Opteamus gegründet. Durch meine Karriere und meine Erfahrung als Experte biete ich Vereinen und Verbänden Hilfe an – also konzeptionell Philosophien und Trainingsinhalte, denn sportlicher Erfolg ist planbar. Sehr oft ist es nicht möglich, eine hauptamtliche Stelle zu Verfügung zu stellen, durch meine Firma ist dies jetzt nicht mehr notwendig. Optimierungsfirmen allgemein sind heute doch in der Wirtschaft normal – warum dann nicht auch im Fußball“