Während der BVB beim Auswärtsspiel in Hannover sportlich die Weichen in die richtige Richtung gestellt hat, droht den Fans der Borussia Ungemach von anderer Stelle — aus Frankfurt, vom Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), schreibt Fan-Kolumnist Jens Matheuszik
Dortmund.
Pünktlich zum Spiel an der Leine wurden die Fans von Borussia Dortmund an die selbige gelegt: Der BVB wurde aufgrund von “Zuschauer-Vorkommnissen in drei Spielen” durch den DFB-Kontrollausschuss angeklagt und schlussendlich durch das Sportgericht verurteilt: Eine Geldstrafe in Höhe von 30.000 Euro ist zu zahlen, die gleiche Summe muss für Projekte und Maßnahmen gegen Gewaltprävention gezahlt werden. Das sind die beiden Bestandteile des Urteils, mit denen man als Verein, aber auch als Fan gut leben können dürfte.
Nicht, dass man das jetzt falsch versteht: Die zugrundeliegenden “Zuschauer-Vorkommnisse” sind im wahrsten Sinne des Wortes zu verurteilen. Wenn der BVB insgesamt jetzt 60.000 Euro Extrakosten hat, dann wird das den Verein sicherlich nicht umbringen (und real dürfte sich das mit manchen Preissteigerungen auch gut finanzieren lassen).
Gravierender ist jedoch der dritte Bestandteil des Urteils: Borussia Dortmund muss demzufolge ein “Meisterschaftsheimspiel unter teilweisem Ausschluss der Öffentlichkeit austragen und dabei sämtliche Stehplatzbereiche seiner Anhänger auf der Südtribüne schließen”. Doch dieser Strafbestandteil wird erstmal “nur” zur Bewährung ausgesetzt – für sieben Monate. Der DFB erklärt selber, dass dies nur dann angewandt wird, “wenn es innerhalb der Bewährungszeit zu einem schwerwiegenden Wiederholungsfall kommt.”
Schalke hat sich aller Dortmunder Ultras entledigt
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was ist ein schwerwiegender Wiederholungsfall? Bestraft wurde der BVB nicht nur für die – da ist man sich sicherlich einig – völlig zu recht abzulehnenden Ereignissen beim Derby auf Schalke in der Hinrunde. Hier wurden auch einzelne Täter bereits bestraft, wiewohl man sich auch leider fragen muss, ob die Verantwortlichen des FC Schalke 04 nicht die Chance genutzt haben, um sich auf Jahre hinweg der Anwesenheit Dortmunder Ultras zu entledigen. Die Kollegen von schwatzgelb.de haben in ihrer Aufarbeitung zum Derby aus der Hinrunde gut dargestellt, wie aus 55 Ordnungswidrigkeiten 500 Gewalttäter wurden.
Das rechtfertigt natürlich nicht, was einzelne tatsächliche Gewalttäter gemacht haben – aber die hat man doch schon nach eigenen Angaben selber ermittelt und mit rechtsstaatlichen Prinzipien kann man es nicht gutheißen, wenn die 500 Personen, deren pure Anwesenheit auf einem Bahnhof festgestellt wurde, fürderhin für fünf Jahre als Gewalttäter stigmatisiert werden.
BVB kontrolliert Banner
Neben den “Zuschauer-Vorkommnissen” auf Schalke war dann auch ein umstrittenes Banner beim Spiel gegen den 1. FC Nürnberg einer der Gründe für die Anklage gegen den BVB. Nicht ohne Grund werden inzwischen vom Verein die mitgebrachten Banner, die auf der Südtribüne präsentiert werden, kontrolliert, was jedoch schon beim Champions League-Spiel gegen Zenit St. Petersburg eher hämisch (natürlich stilecht per Banner) kommentiert wurde: “Hockenjos, Watzke & Co, lasst Euch doch in Watte packen, wenn wir wollen, kriegen wir alles rein. Gegen Zensur.” Es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass es beim BVB Banner gibt, mit denen sich jeder BVB-Fan identifizieren kann.
Ein weiteres “Zuschauer-Vorkommnis” war dann der – man möge die drastische Wortwahl entschuldigen – Idiot, der angesichts einer Schweigeminute beim Spiel gegen den HSV mal eben mit einem “Sieg Heil”-Ruf die Schweigeminute störte. Die verantwortliche Person bekam im Stadion sofort verbales Contra, der BVB verhängte ein Stadionverbot – und dennoch ist das jetzt eines der “Zuschauer-Vorkommnisse”, die der DFB bestrafen möchte.
Damoklesschwert schwebt über allen Fans auf der Südtribüne
Aufgrund der Bewährungsstrafe schwebt jetzt das Damoklesschwert über der Südtribüne und ihren mehr als 24.000 Besuchern, die vermutlich zum weitaus größten Teil mit den erwähnten “Zuschauer-Vorkommnissen” nichts zu tun haben. Sollte jedoch noch einmal ein verwirrter Idiot irgendwelchen Nazi-Scheiß lauthals kundtun, dann werden fast 24.000 friedliche BVB-Fans in Sippenhaft genommen. Ob den Verantwortlichen beim Sportgericht des DFB die feine Ironie bezüglich der Strafe und des “Zuschauer-Vorkommnisses” aufgefallen ist? Denn eigentlich gehört die Sippenhaft in unserem Land spätestens seit 1945 nicht mehr zu den verwendeten Methoden…
Oftmals wird dann gefordert, dass sich die “anderen” BVB-Fans entsprechend positionieren müssen, sich davon distanzieren sollen usw. – die Frage stellt sich aber: Wie soll man das denn noch mehr machen? In Hamburg erhielt der Verwirrte auf seinen störenden Zwischenruf mehrere „Nazis raus!“-Rufe und die stark alkoholisierte Person wurde durch die Polizei aus dem Block entfernt. Aber was hätten die anwesenden BVB-Fans denn noch machen sollen?
Wie sollen sich Fans überhaupt distanzieren?
Es ist immer sehr einfach, zu fordern, dass die friedlichen Fans (also die vermutlich mehr als 98% der Fans) sich dagegen aussprechen sollen, aber wie stellt sich der DFB das praktisch vor? Sobald ich als BVB-Fan beispielsweise auf der West- oder Osttribüne ein Banner sehe, was unter Umständen beim DFB als “Zuschauer-Vorkommnis” zählen könnte, soll ich dann meinen angestammten Sitzplatz verlassen und das ganze persönlich entfernen (woran mich aber die BVB-Ordner hindern werden, da ich ja den anderen Block nicht betreten kann)? Von den vergangenen “Banner-Vorfällen” weiß man auch, dass die unmittelbar dort stehenden Fans nicht immer wussten, was auf den Bannern draufstand.
Es geht sicherlich nicht darum, die sogenannten “Zuschauer Vorkommnisse” schönzureden. Das kann man ehrlich gesagt auch nicht. Aber man muss die Verhältnismäßigkeit wahren, die Sippenhaft ablehnen und vor allem die Rechtsstaatlichkeit wahren. Es wird immer gerne erwähnt, wie toll man beim BVB inzwischen mit den High Tech-Kameras ermitteln kann, welche Dreitagebart-Träger potentielle Kunden für einen Werbepartner von Jürgen Klopp sind. Damit hatte man in der Vergangenheit auch schon Erfolge bei der Ermittlung von konkreten Personen – und das sollte auch weiterhin der Weg sein, den man einschlagen sollte. Die Einzeltäter (und ja, statistisch gesehen sind es Einzeltäter!) soll man ruhig ermitteln. Die Personen, die der Meinung sind, dass Gewalt und Pyrotechnik im Stadion etwas zu suchen haben, soll man ruhig aus dem Verkehr ziehen – aber nicht mehr als 24.000 unschuldige Personen bestrafen!
Auf Raststätte Polizeiauto umgekippt
Übrigens: Man kann sich auch fragen, wie schlau einige BVB-Anhänger waren, die auf der Reise zum Hannover-Spiel auf einer A2-Raststätte den dort abgestellten Polizei-Bully umgekippt und beschädigt haben. Zwar waren keine Polizisten vor Ort davon betroffen (da es sich wohl um einen ausgemusterten Polizeiwagen handelte, der – ohne Motor – dort nur stand und durch die pure Anwesenheit wohl für Recht und Ordnung sorgen soll), dennoch fragt man sich, was in den Leuten vorgeht, die – kurz nach Bekanntwerden des DFB-Urteils – eine solche Aktion starten. Insofern kann man nur hoffen, dass die Polizei Hannover mit ihrem Aufruf nach Zeugen erfolgreich sein wird.
Jens Matheuszik (gibmich-diekirsche.de), 24. März