Enschede.
Welche Erfahrung haben sie aus ihrer Zeit in Bochum mitgenommen?Gertjan Verbeek: Dass es wichtig ist, mit der sportlichen Leitung auf einer Wellenlänge zu sein. Wenn das nicht mehr der Fall ist, muss man sich voneinander verabschieden. Ich habe noch immer guten Kontakt zu Christian Hochstätter, der leider inzwischen beurlaubt wurde. Wir haben zweieinhalb Jahre prima zusammengearbeitet. Es war nicht immer einfach, aber er war jemand, der stets hinter mir stand – auch in den Momenten, in denen es mal nicht gut lief. Letztendlich schaue ich mit sehr viel Freude auf meine Zeit beim VfL zurück.
Wann kam es zum Bruch in Bochum?
Verbeek: Nach zweieinhalb Jahren kommen einem einfach irgendwann Probleme entgegen: mit Spielern, Mitarbeitern, der Presse. Dann muss man eine gemeinsame Sprache im Verein sprechen, vor allem wenn es um die Profi-Mannschaft geht. Sobald Spieler merken, dass keine gemeinsame Linie gefahren wird, grätschen sie gleich zwischen die Fronten und es kann ganz schnell zu größeren Rissen kommen. Das konnte man leider ganz schnell sehen in Bochum. Ich bin nicht der einzige Trainer, der in dieser Saison dort gestolpert ist.
Seitdem sie weg sind, geht es sportlich abwärts beim VfL.
Verbeek: In der Tat.
Nochmals: Was führte letztendlich zu ihrer Entlassung?
Verbeek: Wir hatten nicht mehr dieselbe Idee. Ich bin dort für die Mission geholt worden, Bochum binnen drei Jahren wieder in die 1. Liga zu führen, am liebsten in zwei. Als wir in die dritte Saison hineingingen, hatten sich die Umstände allerdings so entwickelt, dass ich nicht mehr sagen konnte, wir können nach außen die Haltung vertreten, um den Aufstieg spielen zu werden. Ein Ziel muss realistisch sein, schließlich wird man Trainer daran gemessen.
Ihre Einschätzung hat sich bewahrheitet. Für den VfL ging es in dieser Saison abwärts.
Verbeek: Ich fand die Zielsetzung Aufstieg nicht mehr realistisch. Hochstätter hingegen fand, dass es darum gehen muss, um den Aufstieg mitzuspielen und das nach außen hin auch zu sagen, wahrscheinlich aber auch, weil der Aufsichtsrat entsprechend Stimmung gemacht hat. Das sah ich nicht. Wir hatten stets gut zusammengearbeitet und vieles hat sich gut entwickelt im Verein, aber damit war Hochstätter nicht einverstanden.
Das führte zum Bruch.
Verbeek: Danach waren wir nicht mehr auf einem Nenner. Wenn ich ein Saisonziel formuliere, muss ich dahinterstehen können. Hochstätter wollte einfach optimistisch in die Saison starten und schauen, wo das Schiff am Ende strandet. Ich war anderer Meinung und fand auch, dass man den Fans gegenüber ehrlich sein muss. Irgendwann standen auch unbequeme Entscheidungen an. Im Kader mussten neue Auswahlmöglichkeiten geschaffen werden. Das ist ein ganz professioneller Vorgang. Wir brauchten neue Spieler.
Waren Transfers ein Streitthema?
Verbeek: Wenn man um den Aufstieg spielen will, braucht man entsprechende Qualität im Kader. Das ist auch eine Geldfrage. Wenn man immer lange darauf wartet bis Spieler bei Erstligisten aussortiert werden, dann ist es Ende August. Es wurde sich auch sehr auf ablösefreie Spieler konzentriert. Man muss sich dann aber auch fragen: Warum kosten die Spieler keine Ablöse? Ja, auch da gab es irgendwann Meinungsverschiedenheiten.
Sie hatten andere Vorstellungen bei den Neueinkäufen?
Verbeek: Ja. Es gab Diskussionen, wie die Mannschaft verstärkt werden soll. Ich vertraue dem Scouting, darum ging es nicht. Aber wenn der Pool an Spielern sehr begrenzt ist, der in Frage kommt, dann handelt es sich meist nicht um die erste Wahl. Ich stelle infrage, ob diese Spieler einen voranbringen. Als Trainer hat man einen guten Blick darauf, welche Art von Spielern, aber auch welche Charaktere man braucht.
Ihre ehrliche, direkte Art wurde einerseits geschätzt, andererseits wirkten sie oft auch als ungemütlich. Nach außen hin wirkte es so, als hätten sie ihren Rausschmiss am Ende eventuell auch provoziert. Vor allem nach der Anekdote, um das verfrühte Training zum Start der Vorbereitung.
Verbeek: Meine manchmal nicht gute Außenwirkung hatte auch damit zu tun, dass Hochstätter seine Mitarbeiter beschützt. Pressesprecher Jens Fricke hatte bei der besagten Geschichte den Fehler gemacht in der Kommunikation mit dem Trainerteam. Hochstätter und ich wussten wann Training ist, wir hatten es gemeinsam überlegt. Er hatte Frickes Fehler irgendwann auch mitbekommen, es hatte ihn aber nicht sonderlich erschüttert. Normalerweise sprechen wir unser Training ja auch nicht so ab. Wenn man aber das erste Training nach der Sommerpause ansetzt, will man ja auch die Fans miteinbeziehen. Wir hätten ja auch einen Waldlauf machen können, wollten aber ein Training mit Zuschauern veranstalten.
Die Saisonvorbereitung begann mit einem Fehlstart. Wie haben sie diesen Tag des ersten Trainings erlebt?
Verbeek: Intern lief es so: Obwohl Fricke intern seinen Fehler zugab, kam Wilken Engelbracht und wiesen mich auf dem Rasen zurecht. Ich wusste nicht, was los war. Das war in der Tat schon ein Fehlstart. Mich hatte das wiederum nicht erschüttert, denn es gab im Vorfeld schon genug kleinere Vorfälle, nach denen ich meinte, wir müssen andere Kommunikationsstrukturen erschaffen. Das ist aber nicht passiert. Ich sage: Fehler können einmal passieren, aber dürfen nicht mehrere Male passieren. Für mich war dieser Vorfall eine weitere Bestätigung, dass manche Personen nicht auf dem richtigen Posten installiert waren und hätten verabschiedet werden müssen.
Gab es weitere Probleme mit der Vereinsführung?
Verbeek: Nein. Engelbracht handelte an dem Trainingstag einfach emotional. Er hatte sich nicht gut informiert und fand, ich sollte doch länger trainieren wegen der Fans. Das wollte ich nicht. Ich denke an meine Spieler. Wenn der Verein einen Fehler macht, muss er dafür geradestehen – und das auch gut kommunizieren.
Spätestens nach dem Krach um das verfrühte Training ging es nicht mehr weiter?
Verbeek: Vor der Sommerpause sprachen wir darüber, von welchen Spielern wir uns verabschieden wollen. Ich verstehe, dass das nicht immer alles funktioniert. Einige Spieler haben noch laufende Verträge. Aber man hat eine Wunschvorstellung und hofft, dass sie in den vier Wochen Pause über die Bühne geht. Davon ist nichts passiert.
Sie hatten also Hochstätter eine Streichliste gegeben und zum Trainingsauftakt waren die Spieler immer noch da?
Verbeek: Nach einer Sommerpause muss man ein Team neu aufbauen. Das geht schwierig, wenn dasselbe Material da ist, von dem man sich eigentlich gern verabschiedet hätte und man keine volle Brieftasche hat. Ein weiteres Problem in Bochum war auch: Wenn erst zum 1. September einige Spieler kommen und gehen, ist die Mannschaft erst dann zusammen, wenn die Saison schon läuft. Erst dann kann man eigentlich richtig miteinander arbeiten, aufbauen, doch in der 2. Liga sind dann schon mehrere Spieltage über die Bühne gegangen. Ein Gruppenprozess, das Teambuilding, fängt schon ab dem ersten Tag nach der Sommerpause an. Kommen wichtige Säulen für die Mannschaft erst später und herrscht viel Unsicherheit unter den Spielern was deren Zukunft angeht, erschwert das die Arbeit enorm. Vor allem, wenn man sich den Aufstieg als Ziel setzen will. Oben mitzuspielen geht nur unter perfekten Rahmenbedigungen. Da sind wir im Verein aneinandergeprallt.
Sie haben noch immer Kontakt mit Christian Hochstätter?
Verbeek: Ja.
Würden sie ihr Verhältnis als gut beschreiben?
Verbeek: Zu einem bestimmten Zeitpunkt muss er eine Entscheidung im geschäftlichen Interesse des VfL Bochum treffen. Es sagt genug über ihn als Fachmann aus, dass er diese Entscheidung der Trennung letztendlich so durchgezogen hat, obwohl wir persönlich ein prima Verhältnis untereinander hatten. Die Art und Weise, wie er mir mitgeteilt hat, dass sich unsere Wege besser trennen, zeugte von gegenseitigem Respekt.
Für viele mag dies überraschend klingen. Von außen konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie oft aneckten.
Verbeek: Hochstätter und ich haben deftige Diskussionen geführt. Aber nie gestritten. Unsere Fronten waren zu keinem Zeitpunkt verhärtet. Zweieinhalb Jahre haben wir gemeinsam den Karren gezogen in Bochum. Wir haben viel erreicht, Verbesserungen herbeigeführt, auch was die Fazilitäten angeht, die Professionalisierung vorangetrieben. Ich denke, dass wir das Maximale erreicht haben, was innerhalb unserer Möglichkeiten war. Leider war es nicht genug, um binnen drei Jahren aufzusteigen. Vielleicht muss der VfL Bochum zwischen so vielen finanzstarken NRW-Bundesligisten und in seinem alten Stadion seinen Anspruch auf Erstligazugehörigkeit mal in Frage stellen, wenn man die heutigen Entwicklungen im Profi-Fußballs betrachtet.
Verfolgen sie die Entwicklung des VfL Bochum noch?
Verbeek: Ja! Ich schaue am Wochenende immer zuerst, was beim VfL passiert ist. Ich finde es äußerst schade, dass es dort vorbeigegangen ist. Zudem sind dort noch viele Menschen beschäftigt, mit denen ich lange und gern zusammengearbeitet habe. Denen gönnt man das nicht, dass es jetzt gegen den Abstieg geht. So etwas geht immer zur Last der Mitarbeiter im Verein. Sollte der VfL absteigen wäre es eine Katastrophe für sie. Die verlieren ihre Arbeit. Auch so einige Spieler würde man verlieren.
Wie war ihr Verhältnis zur Mannschaft?
Verbeek: Man geht natürlich nicht mit allen Spielern durch die gleiche Tür, aber zu den meisten Spielern hatte ich ein gutes Verhältnis. Fußball-Mannschaften sind immer aufgeteilt in Dritteln: Ein Drittel mag dich, ein Drittel macht es nichts aus, dass du da bist und ein Drittel ist gegen dich. Das ist in jedem Klub gleich. Meist sind in der Anti-Fraktion Spieler, die frustriert sind, weil sie nicht spielen oder der Verein den Erwartungen hinterher hängt, aber auch weil sie das Vertrauen des Trainers nicht spüren. Das bekommt man aber, wenn man gute Leistungen zeigt. Es gibt immer Störenfriede. Aber ihr Journalisten wisst das auch: Bei denen braucht man nur klingeln und die Tür geht sofort auf. Ich würde nie sagen, der Draht zu meinen Spielern war perfekt, aber mit einem Großteil der Spieler kam ich gut klar. Und wenn ich sehe, wie viele Berater sich in letzter Zeit noch bei mir gemeldet haben, die in Bochum unzufrieden sind, und jetzt gern wieder unter mir arbeiten wollen, denke ich, dass meine Arbeitsweise ankam. Die Spieler merkten schließlich auch, dass sie sich verbessert haben. Das mögen Spieler. Ich finde, ich habe das Maximale aus dieser Mannschaft herausgeholt.
Verbeek kritisiert Kaiserslauterns Sportvorstand Martin Bader
Haben sie auch noch ein Herz für den 1. FC Nürnberg?
Verbeek: Dort habe ich viel kürzer gearbeitet. Nur sieben Monate. Die Arbeit war nicht so schön wie beim VfL.
Woran lag das?
Verbeek: In Bochum habe ich beim Verhältnis zu Christian Hochstätter absolute Führungsqualitäten gespürt und vorgefunden. In Nürnberg hingegen nie. Martin Bader? Hatte nicht meine DNA.
Unter solchen Umständen würden sie nie mehr eine Zusammenarbeit weiterführen, meinten sie.
Verbeek: Bader war ein Fähnlein im Winde. Nicht gut genug. Unberechenbar. Hatte keine Ahnung von Fußball. Das wäre weniger ein Problem, wenn er gewusst hätte, wie man einen Verein leitet. Wenn er sich aber einmischt, zum Beispiel rundum eines Trainingslagers oder ob man Straftraining ansetzt, nachdem man verloren hat, sind das Dinge, wo ich finde, dass sich so jemand nicht einmischen sollte. Das sollte man dem Trainer überlassen. Vertraut man dem Trainer nicht, dann muss man den Trainer entlassen. Das hat er letztendlich auch getan. Wenn ich sehe, mit welchen Erwartungen ich dorthin gegangen bin, habe ich ein schlechtes Gefühl davon übrig behalten. Wenn man mir drei Spiele vor Schluss das Vertrauen entzieht, wobei wir nur einen Punkt hätten holen müssen und ich schon der dritte Trainer war zu der Saison, das sagt dann sehr viel über Martin Bader aus. Über Mentalitätsunterschiede gesprochen: Was ich jetzt über Martin Bader gesagt habe, würde ein deutscher Trainer niemals tun. Die nennen niemals Namen und vor allem sprechen die nicht negativ über Menschen.
Sie sprechen die Kritikkultur an.
Verbeek: Nein, die gibt es nicht. In Deutschland wird einfach zu selten eine Wertung mitgeliefert in der Kommunikation. Ich muss sagen, dass ich Nürnberg eine wunderschöne Stadt fand. Habe gern dort gelebt. Die Menschen waren nett zu mir. Fantastische Fans. Wirklich. Ein Kult-Club. Als ich da war in der erste Liga und wir gegen den Abstieg gespielt haben, kamen regelmäßig 50.000 Menschen ins Stadion. Man merkt, dass der Verein in der Stadt lebt, der Region, ganz Deutschland Kult ist, ähnlich wie St. Pauli vielleicht. Es war eine großartige Erfahrung für mich. Die erste im Ausland. Auch dort gibt es Menschen, mit denen ich herzlich gern zusammengearbeitet habe. Aber auch dort habe ich gelernt, dass es wichtig ist, mit der Vereinsführung auf einer Wellenlänge zu sein. Das habe ich dort leider von Anfang an nicht gefühlt. Man sagte mir schon zu Beginn, wann würde auch mit anderen Trainern verhandeln. Letztendlich bin ich es dann geworden.
In Deutschland kennt man sie auch wegen ihrer selbstgebauten Holzhütte. Kommen sie überhaupt noch dazu, an ihr zu arbeiten? Was machen sie in ihrer Freizeit?
Verbeek: Sport mache ich ja jeden Tag. Ich bin Vater geworden. Wenn ich mal einen Tag frei habe, baue ich nichts. Zuletzt hatten wir einen Sturm, da musste ich einige Bäume im Wald fällen und Schäden beseitigen. Aber meine freie Zeit nutze ich, um den Nachwuchs zu sehen.
Verbeek erklärt den Abstiegskampf
Wie trainiert man eine Mannschaft, die gegen den Abstieg spielt, Herr Verbeek?
Gertjan Verbeek: Es ist schwer, eine Mannschaft jede Woche neu aufzubauen. Mentale Widerstandsfähigkeit ist gefragt. Den Spielern wird viel abverlangt, sie müssen viel einstecken. Manche gehen damit besser um als andere. Das hat mit Selbstvertrauen zu tun, doch genau das fehlt den Teams in den unteren Regionen. Man zeigt gute Ansätze, steht am Ende oft mit leeren Händen da, muss sich aber für die kommende Woche wieder aufrichten. Die Nerven sind durchaus der entscheidende Faktor im Kampf um die Klasse.
Der VfL steckt unten fest, Twente hat sie geholt, um den Abstieg aus der Eredivisie zu verhindern. Inwieweit passt man das Training an, wenn eine Mannschaft am Boden liegt?
Verbeek: Als Trainer muss man mit positiven Gedanken vorweggehen. Man will schließlich Spieler entwickeln. In so einer Phase kann man als Trainer zum Beispiel den Akzent auf Elemente legen, wo Spieler ihre Stärke haben. Jedes Erfolgserlebnis verleiht Selbstvertrauen – und das geht auch über Training. Meine Aufgabe ist es, Übungen zu kreieren, wo die individuellen Qualitäten der Einzelnen herausstechen können. Etwas gut zu machen, verleiht Freude. Es gibt eine Akzentverschiebung im Training, aber auch viel mehr Einzelgespräche finden statt. Man versucht, die Jungs zu erreichen, ihnen die Hand zu reichen, Ziele zu setzen, zu fokussieren, Gedanken zu lenken. Das sind mentale Kniffe, die man einsetzen kann, wenn man die Resultate verändern will.
Sie haben Vereine in den Niederlanden trainiert, waren danach mehrere Jahre in Deutschland und sind jetzt wieder in ihrer Heimat tätig. Wie unterschiedlich ist das Niveau zwischen den Bundesligen und der Eredivisie?
Verbeek: Am Ende bestätigen sich die bereits existierenden Vorurteile. Nach meiner Rückkehr habe ich erkannt, dass es in Deutschland schon ein stärkeres Denken in Hierarchien gibt, sei es bei der Position im Job oder altersbedingt. Man geht höflicher miteinander um, kritisiert nicht so schnell, vor allem nicht mit mehreren. In den Niederlanden ist man direkter. Man ergreift die Initiative. Das eine ist nicht besser als das andere, die Ansätze des Miteinanders sind nur anders.
Wie hat es mit der Verständigung im Fußball geklappt?
Verbeek: Deutsche sind disziplinierter, der deutsche Fußball viel physischer. Das hat aber auch mit dem Altersunterschied zu tun. Der war im Schnitt war in Bochum beispielsweise bestimmt zwei, drei Jahre höher als hier beim FC Twente. Schon im Training geht es härter zur Sache, um sich durchzusetzen. Die Deutschen haben einfach einen größeren Siegeswillen und wollen bei jeder Einheit, jedem Spielchen der Beste sein. Bei einem viertelstündigen Trainingsspielchen ist es auch in der allerletzten Minute wichtig, noch zu treffen. In den Niederlanden ist man auch mal nach zehn Minuten zufrieden und es geht darum, schön zu spielen. Hier muss nach Möglichkeit jede Einheit mit dem Ball sein, in Deutschland kann man auch mal einen Waldlauf machen. Wenn man bei einem Bundesligisten zehn Liegestütze fordert, machen das alle Spieler ohne mit der Wimper zu zucken. In den Niederlanden spürt man eher mal Widerstand, wenn ohne Ball gearbeitet wird.
Verbeek über den niederländischen Fußball
Wo würde der VfL Bochum in der Eredivisie stehen?
Verbeek: Schwer zu sagen. Ich habe mit Bochum mal gegen Twente getestet. Man konnte sehen, dass Twente technisch versierter spielte, aber der VfL in den Zweikämpfen sich körperlich mühelos durchsetzte. Das Spiel endete 0:0, aber eigentlich hätte sich der VfL durchsetzen müssen. Twente hatte, sehr Niederländisch, viel Ballbesitz, aber eben in der eigenen Hälfte, ohne Drang nach vorn. Bochum spielte direkter, auch mal den langen Ball – war deshalb aber auch mal schneller vorne. Durch das physische Übergewicht wurde Twente ordentlich zurückgedrängt. Bochum hat durch Einsatz, Kampf und Laufarbeit kompensiert, dass Twente eigentlich technisch besser war im Positionsspiel.
Oranje qualifizierte sich nicht für die WM, in Europa haben Eredivisie-Klubs den Anschluss verloren. Liegt das nur an der finanziellen Schere, die immer weiter auseinander geht oder auch daran, dass in der Jugendausbildung vielleicht zu sehr an alten Werten festgehalten wird?
Verbeek: Ich denke sogar, dass die Niederländer viel zu sehr abgewichen sind von der alten “Hollandse School”. Der Begriff scheint denjenigen nicht mehr so geläufig zu sein, die jetzt die Heranwachsenden trainieren. Für mich steht die “Hollandse School” für Kreativität, Initiative ergreifen, den Ball haben wollen, Selbstbestimmung, agieren statt reagieren. Davon sind wir weit abgerückt. Das ist keine Systemfrage, aber ich denke, dass Deutschland einen Schritt voraus ist, was das Spielen anderer Systeme angeht. Man schaut sich die individuellen Fähigkeiten der Spieler an. Den klassischen Rechts- oder Linksaußen gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es Linksfüßer, die gern auf rechts spielen, damit sie nach innen ziehen können. Die Arbeit in Deutschland mit Talenten ist dynamischer geworden und nicht mehr starr an Positionen gebunden.
Nach der EM 2000 hat sich der deutsche Fußball neu erfunden und die Nachwuchsförderung revolutioniert. Brauchen die Niederländer auch einen Umbruch?
Verbeek: Einige Vereine in Deutschland haben eine gute Jugendarbeit oder investieren ordentlich darin, vielen fehlt das Geld aber auch. Für Klubs mit bescheidenen Mitteln sind die großen Abstände zwischen den Orten in Deutschland ein Nachteil. Bochum hat das Glück, in einem Ballungsgebiet mit vielen Profivereinen zu sein und ist deswegen für Jugendspieler auch interessant. Bayern München hat es hingegen schwerer, hat deutlich weniger Profiklubs in der Region. In den Niederlanden ist es fantastisch: Ein kleines Land, gut zu bereisen, wo sich die besten Teams jede Woche messen können. Das ist nach wie vor die beste Schule für junge Talente.
Warum hinken die Niederländer in Sachen Talententwicklung seit Jahren hinterher?
Verbeek: Deutschland hat 80 Millionen Einwohner, die Niederlande 17. Es liegt in der Natur der Sache, dass dort mehr Talente herumlaufen. Wo die Niederländer jedoch weiter sind, ist die Zusammenarbeit mit den Schulen. 13-Jährige können hier viel leichter einen individuellen Stundenplan erhalten, um Leistungssport zu betreiben. Ich wollte in Deutschland 17-Jährige debütieren lassen und am Tag vorher mittrainieren lassen. Seitens der Schule wurde mir da jedoch ein Riegel vorgeschoben.
Beim FC Twente sind sie nicht nur Cheftrainer, sondern auch Sportlicher Leiter.
Verbeek: Und habe jetzt sehr viel mehr Arbeit. Man muss sich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren: das kurzfristige Tagesgeschäft – gerade, wenn es schlecht läuft bei den Profis. Dann aber auch die Langzeitplanung, den Betrieb FC Twente weiterentwickeln, nicht nur fußballerisch. Läuft es bei der ersten Mannschaft nicht gut, sind Veränderungen schwerer durchführbar. Die Menschen sind dann zurückhaltender und skeptischer, was neue Ideen angeht. Das ist nicht einfach.
Haben sie diese Doppelrolle unterschätzt?
Verbeek: Natürlich mache ich diesen Job nicht allein, sondern habe ein Team um mich herum: bei der ersten Mannschaft, der Jugendkoordination, einen technischen Direktor. Ich wurde geholt, um meine Erfahrung in den ganzen Verein einzubringen, die ich im In- und Ausland sammeln konnte. Twente hat lange stillgestanden und jetzt ist es so, dass wir mit weniger Personal mehr Arbeit verrichten.