Warum Mesut Özil bei der Nationalelf nun die Nummer 10 trägt
Im Interview hat Mesut Özil uns verraten, wie er seine veränderte Rolle im DFB-Team interpretiert.
Der Nationalspieler will sich nicht durch äußere Einflüsse beirren lassen.
Sein Ziel für die nächsten fünf Jahre: Gesund bleiben und erfolgreich Fußball spielen.
Düsseldorf.
Jetzt wird es wieder ernst: Mit dem Qualifikationsspiel in Norwegen am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) startet die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in den zweijährigen Zyklus, der 2018 in Russland erneut in weltmeisterlichem Gold enden soll. Ein Gespräch mit Deutschlands Spielmacher Mesut Özil über sich wandelnde Hierarchien, die Bedeutung von Gelassenheit und Kindheitserinnerungen.
Herr Özil, derzeit wird viel über den neuen Kapitän Manuel Neuer gesprochen. Sie kennen ihn länger als kaum ein anderer Nationalspieler. Was macht ihn aus?
Mesut Özil: Manu macht einfach sein Ding. Wir sind damals zusammen auf die gleiche Schule gegangen – er ein paar Klassen über mir. Danach sind wir uns in den verschiedenen Jugendmannschaften begegnet und später bei den Profis. Er ist immer derselbe geblieben, das ist immer noch der Manuel Neuer wie vor neun oder zehn Jahren. Er hat nie Familie und Freunde vergessen, das zeichnet ihn aus. Außerdem ist er ganz nebenbei der beste Torwart der Welt.
Nach den Rücktritten von Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski: Wie verändert sich die Hierarchie in der Nationalmannschaft?
Özil: Es wird immer Spieler geben, die nach großen Turnieren ihre Nationalmannschaftskarriere beenden. Verdiente Spieler sind gegangen, aber dann kommen neue dazu. Bei uns ist das so, dass wir sehr gelassen mit solchen Dingen umgehen. Die jungen Profis werden sehr schnell integriert und jeder von den Neuen im Team sagt, dass sie sich direkt sehr, sehr wohl fühlen im Kreise der Nationalmannschaft. Es ist eben nicht so, dass die Älteren Druck auf die Jüngeren aufbauen. Sie sollen sie selber sein, ihr Potenzial ausschöpfen und dann ist die Energie, die diese jungen Spieler mitbringen, sehr positiv. Deshalb spielen wir ja auch einen so erfolgreichen Fußball: weil wir aufeinander achten. Das ist seit Jahren so und sicher ein Verdienst von Joachim Löw.
Woher kommt diese Gelassenheit?
Özil: Ich glaube das hat mit der Mischung von Alt und Jung zu tun. Das vermischt sich zu etwas Gutem. Ich weiß noch, als ich damals in meinem ersten Profi-Jahr bei Schalke war. Da wurdest du als junger Spieler kaum mal massiert. Denn wenn du dich gerade hingelegt hattest, kam ein erfahrener Spieler an und sagte: „Wie alt bist du? 16? 17? Geh runter, ich werde jetzt massiert.“ Heutzutage ist das Verhältnis zwischen Jung und Alt lockerer und ich glaube, dass tut der Gemeinschaft gut. Manche junge Spieler kommen natürlich mit sehr viel Respekt zur Nationalmannschaft und sind erstmal zurückhaltend. Aber wenn man auf sie zugeht, dann ist das vom ersten Tag an ein angenehmes Verhältnis. Für die jungen Spieler ist das gut.
Wie hat sich Ihre Rolle verändert?
Özil: Als junger Spieler ist alles neu, man will sich durchsetzen und sich beweisen. Wenn man dann konstant seine Leistungen bringt, gehörst du automatisch zu den erfahrenen Spielern. Mein Ziel ist es, den jungen Spielern den Weg zu zeigen. Ich bin ihn ja auch gegangen. Als junger Spieler willst du dich beweisen, aber auch auf keinen Fall Fehler machen. Als erfahrener Spieler geht man dann hin und sagt: „Mach dein Spiel, du kannst ruhig Fehler machen. Wir sind als Mannschaft da.“ Das brauchen die. Gegen Finnland haben die Jungen ein tolles Spiel gemacht.
Sie waren der Spielmacher von Real Madrid und üben diese Rolle nun auch bei Arsenal aus, einem weiteren europäischen Schwergewicht. Wie fühlen Sie sich intern und extern wahrgenommen?
Özil: Ehrlich gesagt achte ich darauf nicht so sehr. Die Leute, die mich kennen, wissen genau, dass ich immer noch derselbe bin, jemand der zurückhaltend ist, der sein Ding macht, der Spaß daran hat, Fußball zu spielen und sich nicht beirren lässt durch äußere Einflüsse. Dein Traum geht in Erfüllung, wenn du bei solchen Vereinen tätig sein darfst. Ich wurde in Gelsenkirchen geboren, da hat man nicht mal eben die Möglichkeit, zu einem großen internationalen Klub zu gehen. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass ich glücklich darüber bin, wie sich im Laufe meiner Karriere alles entwickelt hat. Ich habe Spaß und genieße jeden Tag, an dem ich bei solch großen Klubs kicken darf. Das hat sich nie verändert, ich habe noch genau so viel Spaß am Fußball wie damals, als ich sieben war.
Seit dem Finnland-Spiel tragen sie nicht mehr die Rückennummer 8, sondern die 10. Was bedeutet Ihnen diese Nummer?
Özil: Das ist meine Lieblingsnummer. Große Spieler, die auf meiner Position als Spielmacher gespielt haben, haben die 10 getragen, Legenden wie Pele, Maradona, Zidane. Durch den Abschied von Lukas Podolski ist diese Nummer frei geworden – und ich habe mich sehr, sehr gefreut, dass ich sie nun wieder tragen konnte. Diese Nummer erinnert mich immer wieder auch an die Anfänge, wie ich als Jugendlicher im Verein diese Nummer getragen habe. Oder wenn wir Trikots gekauft haben von großen Vereinen, dann nie eines mit der Nummer 11 oder 9, sondern immer die 10. Die wollte ich immer sein und ich hatte diese Nummer bei allen Vereinen, wenn sie denn frei war. Das ist eine besondere Beziehung.
Welche Bilder hatten Sie im Kopf, als Sie das Trikot am Mittwoch erstmals getragen haben?
Özil: Als ich in die Kabine kam, musste ich daran denken, wie ich damals als Jugendlicher bei Rot-Weiss Essen, meinem ersten größeren Verein, diese Nummer trug. Sie wieder zu tragen – jetzt bei der Nationalmannschaft – war ein besonderer Moment für mich.
Apropos junge Jahre: Können Sie sich an das Sommertrainingslager 2005 erinnern?
Özil: Ich glaube nicht, warum?
Ihr damaliger Trainer in der Schalker Jugend hat erzählt, dass er sie gefragt habe, was Ihre Ziele seien. Sie sollen geantwortet haben: Erst Profi bei Schalke werden, dann zu Real Madrid oder Barcelona wechseln und dann zu Arsenal…
Özil: Jetzt, wo sie es sagen: das kann sein (lacht). Zu Arsenal habe ich definitiv eine besondere Beziehung, da spielten damals Thierry Henry und Dennis Bergkamp und später noch mit Jens Lehmann ein deutscher Torwart. Die waren spielerisch immer sehr, sehr gut. Da habe ich immer gedacht, dass das eine geile Mannschaft ist, für die ich gern mal spielen würde. Also habe ich meine Ziele wohl verwirklicht, was? (lacht)
Wenn Sie so gut darin sind, in die Zukunft zu schauen: was erhoffen Sie sich von den nächsten drei, vier, fünf Jahren?
Özil: Man wird ja auch älter und reifer. Mein erstes Ziel ist wirklich, gesund zu bleiben. Alles andere kommt sowieso, wie es kommt. Man muss immer hart an sich arbeiten, aber man kann letztlich nichts erzwingen. Ich versuche einfach, erfolgreich Fußball zu spielen und mein Leben zu genießen. Denn das, was ich tue, das liebe ich von ganzem Herzen.
In der englischen Premier League ist unglaublich viel Geld unterwegs. Die besten Trainer trainieren die besten Spieler. Wie fühlt sich der Alltag dort an?
Özil: Ich bin sehr, sehr glücklich dort. Die Stadt ist zum Leben überragend. Waren Sie schon mal dort?
Erfreulicherweise, ja.
Özil: Es ist leider sehr teuer, aber die Stadt ist überragend, es ist immer was los, was man unternehmen kann, wenn die Familie mal zu Besuch ist. Und die Liga ist meiner Meinung nach die stärkste Liga der Welt, weil es so ausgeglichen ist. Ich bin einfach froh, dort zu sein und für Arsenal zu spielen. Ich habe immer das Glück gehabt, in spielstarken Mannschaften zu spielen, in denen sozusagen auch ein bisschen gezaubert werden kann. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich habe neulich gelesen, dass ich nirgendwo länger als drei Jahre geblieben bin. Bei Arsenal gehe ich jetzt ins vierte Jahr. Das sagt schon was aus. Und durch das viele TV-Geld wird noch mehr investiert werden, wird es noch interessanter werden.
Was Özil dem Ex-Schalker Leroy Sané vor dem Wechsel gesagt hat
Haben Sie Ihrem Kumpel Leroy Sané zum Wechsel nach England geraten?
Özil: Nein, das kann ich nicht, ich kann ihm ja nicht raten, zu einem Verein zu gehen, über den ich nicht genug weiß, weil ich nicht für ihn spiele. Ich habe schon immer die Meinung vertreten, dass ich einem Spieler, der die Möglichkeit hat, ins Ausland zu gehen, raten würde, diese Erfahrung zu machen. Neue Aufgaben zu haben, neue Dinge kennenzulernen, das bringt einen als Spieler und Menschen weiter. Und: Ich weiß, was er für ein Potenzial hat. Ich habe ihm gesagt, dass es egal ist, wo er hingeht, weil er sich überall durchsetzen würde.
Welche Einflüsse haben Sie aus Ihrer Zeit in Spanien mitgebracht?
Özil: Die Spanier sind eher lässig. Am Anfang hat mich das verrückt gemacht, ich kenne ja deutsche Disziplin. Da heißt es: Morgen um zwei Uhr wird der Fernseher installiert und du weißt, dass um drei Uhr alles fertig ist. In Spanien läuft das alles etwas anders ab: zwei Uhr heißt da nicht immer zwei Uhr (lacht). Wenn man das erlebt hat, dann wird man auch als jemand mit türkischen Wurzeln noch etwas lockerer. Natürlich ist Disziplin wichtig, aber manche Dinge kann man nicht ändern, da hilft es locker zu bleiben und nicht so verbissen zu sein. Ich für mich habe da die richtige Einstellung gefunden. Jedenfalls komme ich damit sehr gut klar.
Sie spielen seit sechs Jahren im Ausland. Können Sie sich auch vorstellen, irgendwann zurück in die Bundesliga zu wechseln?
Özil: Das mit dem Ausland hat sich irgendwie so ergeben. Man sollte niemals nie sagen. Ich will nicht ausschließen, irgendwann wieder in der Bundesliga zu spielen, weil man nie weiß, was im Fußball so passiert. Die Jahre in der Bundesliga waren schön und erfolgreich, ich verfolge sie ja auch weiterhin. Aber jetzt irgendwas zu sagen, wäre respektlos gegenüber Arsenal und den Fans, denn ich habe ja noch zwei Jahre einen Vertrag dort. Den Rest werden wir sehen.