Veröffentlicht inSport

Isabell Werth: „Tierschutz sehe ich als Pflicht“

Isabell Werth: „Tierschutz sehe ich als Pflicht“

27897828--543x199.jpg
Foto: WAZ FotoPool

Rheinberg. 

Sechs Monate war Deutschlands erfolgreichste Dressurreiterin Isabell Werth wegen Dopings gesperrt. Im Interview spricht sie über ihre Verantwortung für ihre Pferde.

In Rheinberg am Niederrhein ist die Welt noch in Ordnung. Zumindest dort, wo Isabell Werth, Deutschlands erfolgreichste Dressurreiterin, wohnt. Weite Felder und Wiesen soweit das Auge reicht. Großzügige Anwesen mit imposanten Stallungen, wo Mensch und Pferd Tür an Tür leben. Hier ist Isabell Werth aufgewachsen, hier wohnt und arbeitet die fünffache Olympiasiegerin. Hier hat sie sich intensiv auf die Rückkehr in den Turniersport nach ihrer sechsmonatigen Dopingsperre vorbereitet.

Mit dem Start beim Internationalen Reitturnier am Wochenende in Dortmund macht sie den nächsten Schritt zurück in den Turnieralltag. Thorsten Schabelontraf die 40-jährige Dressur-Königin, die immer dann lächelte, wenn das Gespräch auf ihren fünf Monate alten Sohn Frederik kam. Und deren Gesichtszüge ernst und nachdenklich wurden, wenn es um ihren Dopingfall ging. Der hat seit dem vergangenen Sommer für viel Unruhe im idyllischen Rheinberger Landleben gesorgt. Und einen Schatten auf Werths beeindruckende Karriere geworfen.

Frau Werth, in Ihrem Büro steht ein Babybett. Hier, neben unserem Interviewtisch, ein Kinderwagen. Aber man hört und sieht nichts von Ihrem fünf Monate alten Sohn Frederik.

Isabell Werth: Er schläft gerade. Er ist ein unglaublich unkompliziertes Kind, das putzmunter am Tagesablauf teilnimmt, aber so, dass ich trotzdem meine Reiterei managen kann. Wenn Frederik Hofgeräusche und Pferde hört, fühlt er sich wohl, ein richtiges Bauernkind eben. Ich war darauf eingestellt, mein Leben zu ändern. Aber ich hatte mir das schwieriger vorgestellt. Toi, toi, toi, dass das so bleibt.

Sie sind vor der Geburt 40 Jahre alt geworden. Eine Gelegenheit, inne zu halten, zurückzublicken?

Werth: Die 40 ist für mich nur eine Zahl. Ich habe keine Probleme mit dem Alter. Meine Omi ist gerade 98 Jahre alt geworden. Die Luft ist hier also gesund, die Perspektive sehr gut. Allerdings war das letzte Jahr für mich sehr extrem. An meinem Geburtstag wurde meine Dopinggeschichte verhandelt, ich wurde gesperrt. Das war eine grausame Zeit. Ich habe wegen der Schwangerschaft zwar eh nicht geritten, aber müsste ich meinen Verdienstausfall beziffern, käme ein hoher sechsstelliger Betrag aus Preisgeldern, Anwaltskosten etc. zusammen.

Sie wurden für ein Dopingvergehen sechs Monate gesperrt. Können Sie den Fall aus Ihrer Sicht schildern?

Werth: Im Pferdesport wird zwischen Doping und Medikation unterschieden. So, wie ein Mensch hustet, kann auch ein Pferd eine Erkrankung oder eine Verletzung haben. Die wird tierärztlich behandelt, das entspricht den Tierschutzregeln. Mein Pferd Whisper hat ein Syndrom, das ihm beim Hufbeschlag Probleme macht. Diese Belastung wollten wir ihm mit einem Medikament erleichtern. Es sollte laut Hersteller und Tierarzt bis zum Wettkampf abgebaut sein. Das war aber nicht der Fall.

Sie hätten die Medikation anzeigen müssen.

Werth: Ich wähnte mich sicher, sah keine Notwendigkeit, habe nicht nachgefragt. Ich habe einer Fehlinformation vertraut, wobei sich der Tierarzt selbst 100 Prozent sicher war. Es war ein Tierarztfehler, nicht mehr und nicht weniger. Und den habe ich zu verantworten. Es ist etwas passiert, von dem ich nie geglaubt habe, dass es passieren würde. Ich hatte höchstens mal Angst, dass wir ein Hustenmittel vertauschen oder dass im Heu oder im Zusatzfutter Substanzen sind, die positiv auf Doping getestet werden. Wir werden ja ständig kontrolliert. Da ist noch nie etwas passiert.

Wäre eine Null-Lösung, die bei und vor Wettkämpfen eine Medikation verbietet, sinnvoll, um Fälle wie ihren auszuschließen?

Werth: Wir haben die schwierige Situation, ja das Dilemma, dass es national die Null-Lösung im Wettkampf gibt, aber meiner Meinung nach die Notwendigkeit besteht, Erkrankungen bei einem Pferd zu behandeln. Ein Pferd darf im Wettkampf nicht von Medikamenten beeinflusst werden. Aber wir müssen zwischen Nachweisbarkeit und Wirkung unterscheiden. Wir reden nicht von Werten wie 0,2 sondern 0,0000002. Ein Beispiel: Wenn Sie heute ein Glas Wein trinken, kann man das in zwei Wochen noch nachweisen. Sie werden zustimmen, dass es dann keine Wirkung mehr zeigt.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrem Fall?

Werth: Wir müssen alles noch mehr hinterfragen und brauchen klare Listen, Rechtssicherheit und einheitliche Entscheidungen. National gilt die Null-Lösung, international entscheidet ein Tierarzt anhand einer Medikationserklärung, ob ein Pferd starten darf oder nicht. Das Problem ist: Sie fragen drei Tierärzte und bekommen drei Meinungen, die Abbauzeiten sind nicht eindeutig. Ich habe Untersuchungsergebnisse bekommen, laut denen das Medikament bei Whisper nach sechs Tagen, nach drei Wochen und nach drei ­Monaten abgebaut sein sollte. Es müssen Grenzen und Grenzwerte festlegt werden. Das erfordert Forschung und Studien. Und beides ist teuer. Die Diskussion ist überfällig und wir brauchen eine Lösung. Sonst hat die ­Öffentlichkeit den Eindruck, es wird am Pferd manipuliert.

Die Gefahr ist, dass Grenzwerte ausgereizt werden.

Werth: Reiter sind sicher nicht besser oder schlechter als der Rest der Gesellschaft. Aber man darf nicht immer vom Schlechtesten ausgehen. Ich will ein gesundes, ein leistungsfähiges, ein wettkampfstarkes Pferd, das Spaß am Sport hat. Wir gehen da nicht an Grenzen, mir geht es um Langfristigkeit, um Fitness, um Gesundheit. Ohne diesen Ansatz hätte ich in den letzten 20 Jahren nicht mit so vielen Pferden erfolgreich sein können. Fabienne ist 29 Jahre alt geworden, Gigolo, das erfolgreichste Pferd der Nachkriegsgeschichte, 27 Jahre. Er konnte zehn Jahre seine Rente genießen. Tierschutz sehe ich als Pflicht. Nichts anderes war das bei Whisper. Aber es hatte fatale Folgen.

Hat Ihr Fall so zumindest einen guten Aspekt? Das Regelwerk könnte eindeutiger werden.

Werth: Das Regelwerk kann gerne scharf sein. Ich bin nicht fürs Bagatellisieren, will keine Schlupflöcher. Ich will nur Richtwerte. Ich stehe nach wie vor für sauberen Sport und faire Leistung. Ich liebe meine Pferde, will für sie das Optimale tun und das Optimale aus ihnen herausholen. Ich reite nicht seit 30 Jahren, um am Ende des Tages einen Wimpel zu bekommen. Ich will auch Pferde nicht einkaufen, um schnellen Erfolg zu haben. Ich liebe es mit ihnen zu zusammenzuarbeiten, sie auszubilden. Dafür habe ich gearbeitet. Dafür arbeite ich weiterhin täglich. Dafür stehe ich.