Essen.
Sie war die pelzbehangene resolute Dame in der Tränenecke neben dem schönsten Gesicht des Sozialismus. Triumphierend oder mürrisch – die eindeutige Mimik von Jutta Müller verriet binnen weniger Sekunden, ob die erfolgreichste Eiskunstlauf-Trainerin der Geschichte mit Katarina Witt zufrieden war. 19 Jahre nach ihrem letzten gemeinsamen Wettkampf mit der zweimaligen Olympiasiegerin feiert die Ehrenbürgerin von Chemnitz am Freitag ihren 85. Geburtstag.
Auch wenn es stiller um sie geworden ist, die Besuche in den beiden Eishallen am Küchwald sind nach wie vor ihr Jungbrunnen. Mehrmals wöchentlich beobachtet Müller die Nachwuchsläufer aus dem C- und D-Kader, nur aufs Eis traut sie sich nicht mehr so recht. Ihre fachliche Einschätzung aber nimmt sie vor: „Bei den Kindern sieht man jeden Tag Fortschritte, mehr als bei den Großen.“
Mit denen allerdings hat sie Großes erreicht. 55 internationale Medaillen zwischen 1966 und 1990 haben die Statistiker gezählt. Im übergroßen Schatten von Katarina Witt sind Namen wie der von Jutta Müllers Tochter Gabriele Seyfert sowie von Sonja Morgenstern, Jan Hoffmann und Anett Pötzsch untrennbar mit ihr verbunden.
Eine Feier im kleinen Kreis
Müllers 85. Geburtstag wird im kleinen Kreis gefeiert. Zum 80. vor fünf Jahren waren noch alle Stars von einst ins Rathaus geeilt, wo ihre einstige Betreuerin als Ehrenbürgerin von Chemnitz geehrt wurde.
Ein Ruhm, den sie nach wie vor ganz selbstlos teilt: „Ohne meine Schüler wären all diese sportlichen Erfolge ja gar nicht möglich gewesen.“ Ein Kompliment, das Hoffmann zurückgibt: „Was ich erreicht habe, habe ich zu 75 Prozent Frau Müller zu verdanken.“
Vergessen ist längst die Enttäuschung darüber, dass die Deutsche Eislauf-Union Jutta Müller nach dem Vollzug der deutschen Einheit die kalte Schulter zeigte, sie als Betreuerin von Katarina Witt allerdings zähneknirschend ins deutsche Olympia-Team für Lillehammer 1994 eingliedern musste. „Natürlich war ich ein Kind des alten Systems, aber ich hätte mehr Verständnis dafür erwartet, dass ich mich während des Umbruchs in vielen Dingen neu zurechfinden musste“, sagt Müller.
Im Rückblick räumt sie außerdem durchaus ein, dass ihr Verhältnis zu ihrer Meisterschülerin – vorsichtig gesagt – starken Schwankungen unterworfen war. Erst kürzlich erzählte die Witt als Gast in einer ARD-Show, woran sie stets gemerkt habe, das etwas im Argen lag. Dann nämlich habe die Trainerin auf das sonst übliche „Kati“ in der Anrede verzichtet. „Ihr ganz laut und deutlich ausgesprochenes ‘Katarina’ habe ich heute noch im Ohr“, verriet Witt.
Derlei Wogen haben sich mittlerweile längst geglättet. „Früher war es Hassliebe, jetzt ist es eine verständnisvolle Gemeinsamkeit unter Erwachsenen“, sagt Witt.
Doch selbst dann, wenn zwischen Trainerin und Meisterschülerin wieder einmal die Funken sprühten, ein Ausbrechen aus dem DDR-System wäre für die linientreue Sportlehrerin Jutta Müller, Parteimitglied der SED, nie in Frage gekommen: „Mein Beruf war die Arbeit mit den Sportlern. Und viel schöner als Eisrevue und Geld war es, zu erleben, wie aus Kindern weltbekannte Läufer wurden. Ich glaube nicht, dass ich etwas verpasst habe.“