Essen.
Er ist der Quotenkönig aller Torschützenlisten. Nach dem Ende seiner gigantischen Fußballkarriere fand Gerd Müller keinen Halt. Bis ihn die Bayern auffingen. Heute feiert er seinen 65. Geburtstag.
Das Bild, das er damals abgab, war ein bedauernswertes. Er holte beim Training der Profis des FC Bayern München die verschossenen Bälle zurück. Er!
Dass er das jemals nötig haben würde.
Aber Gerd Müller war sich nicht zu schade dafür in jenem Januar 1991, im Gegenteil: Er empfand es als Wohltat, wieder eine Aufgabe zu haben. Sein Leben hatte einer Sturzfahrt geglichen, bevor ihn seine ehemaligen Mitspieler auffingen. Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge holten ihn in die Bayern-Familie zurück, vermittelten ihm eine Therapie, beschäftigten ihn im Trainerstab. „Das war mein Glück, alleine hätte ich es nicht geschafft“, sagt er.
Die Nutzlosigkeit des Nichtstuns hatte den größten Torjäger der Fußball-Geschichte ins Abseits gestellt. Er hatte seine Karriere in Fort Lauderdale ausklingen lassen, dort in Florida auch ein Steakhaus eröffnet. Doch die einzige Welt, in der er sich auskannte, war von weißen Kreidelinien begrenzt – das Privatgeschäft führte in die Pleite. Und überhaupt: Was sollte er, der eher Unbeholfene, in den USA? „Die ewige Sonne ging mir am Ende auf den Geist“, sagte er. Wahre Wärme hatte ihm gefehlt, Freunde, Bekannte. Vom Heimweh geplagt, zog Gerd Müller mit Ehefrau Uschi und Tochter Nicole nach München zurück. Und begann sich zu langweilen.
Der Alkohol wurde zum Tröster.
In München hätte er leicht wieder Anschluss finden und ein Sicherheitsnetz knüpfen können. Aber er war nicht der Typ, der auf Leute zuging, er wollte seine Ruhe. Scheu, Scham, Angst, er wusste Gründe, um nichts zu unternehmen. „Ich war froh, wenn keine Journalisten anriefen, und vor Partys hat es mir immer gegraust“, erzählte er später. „Ich hab’ lieber mit Rentnern Schafskopf gespielt.“
65 wird er an diesem Mittwoch, jetzt könnte er selbst Rentner sein. Noch immer arbeitet Gerd Müller beim FC Bayern, als Co-Trainer von Hermann Gerland bei der in der Dritten Liga spielenden zweiten Mannschaft. Nach wie vor ist er froh darüber, nicht in Reihe eins stehen zu müssen. Aber mittlerweile verkriecht er sich nicht mehr, neuerdings ist er sogar in einem Milch-Werbespot zu sehen, gemeinsam mit Thomas Müller, dem Shooting-Star des Jahres, dem WM-Torschützenkönig von Südafrika, der sich wegen des Namens viele unfaire Vergleiche gefallen lassen muss. Denn Gerd Müllers Leistungen sind kaum kopierbar, bisher blieb der Quotenkönig aller Torschützenlisten unerreicht. 68 Treffer in nur 62 Länderspielen, 40 Tore in einer Bundesligasaison – wer soll das nachmachen?
Es waren aber nicht nur die beeindruckenden Zahlen, die ihn zur Legende werden ließen, es war vor allem diese unvergleichliche Art der Torproduktion. Noch heute ist anerkennend von einem typischen Müller-Tor die Rede, wenn ein Stürmer den Gegenspieler mit dem Allerwertesten auf Distanz hält, sich unerwartet schnell dreht und dann kompromisslos einschießt. Wie Gerd der Große bei seinem wichtigsten Treffer: dem entscheidenden 2:1 gegen Holland im WM-Finale 1974.
Am Anfang verspottet
„Bomber der Nation“ – das klingt so kriegerisch, ist aber nur ein harmlos gemeinter Ehrentitel wie „kleines dickes Müller“. So nannte ihn Tschik Cajkovski, sein erster Bayern-Trainer, der zur Begrüßung des 1964 aus Nördlingen nach München gekommenen Neulings noch spöttisch gefragt hatte: „Was soll ich mit einem Gewichtheber?“ Präsident Wilhelm Neudecker insistierte damals: „Wenn Sie den mit den dicken Hax’n nicht aufstellen, gehe ich nie wieder auf einen Fußballplatz!“ Zum Debüt traf Gerd Müller dann gleich zweimal.
Wie wird man diesem bescheidenen Mann gerecht? Franz Beckenbauer, von Beruf Lichtgestalt, ist es gelungen. „Ohne die Tore von Gerd Müller würden wir beim FC Bayern heute immer noch in dem Holzhäusl an der Säbener Straße sitzen“, hat er gesagt.