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Klitschko-Gegner Pianeta aus Gelsenkirchen braucht kein Mitleid

Pianeta reißt sich gegen Klitschko „den Arsch auf“

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Interview mit Boxer Francesco Pianeta Foto: Jakob Studnar
Francesco Pianeta war ganz unten. Er hatte Krebs, er hatte Schulden. Aber der Gelsenkirchener Boxer stand wieder auf und kämpft am 4. Mai in Mannheim gegen Weltmeister Wladimir Klitschko um den Titel. Im Interview spricht der Schwergewichtler über seine Krankheit, seine Karriere und die Klitschkos.

Gelsenkirchen. 

Francesco Pianeta trägt ein weißes Sweatshirt, unter dem Stoff zeichnen sich seine Muskeln ab. Der 28-jährige Boxprofi aus Gelsenkirchen ist jemand, den man nachts im dunklen Wald gerne an seiner Seite hätte. Der Schwergewichtler sitzt im Stadtteil Horst im Eiscafe San Marco, in dem seine Frau Concetta arbeitet, rührt Honig in seinen Tee und lächelt. Am 4. Mai erfüllt sich sein Traum: Er boxt in Mannheim gegen Weltmeister Wladimir Klitschko um den Titel. Dabei war Pianeta vor drei Jahren noch ganz unten, sein Arzt hatte ihm gesagt: „Sie haben Hoden-Krebs.“

Aus heiterem Himmel?

Francesco Pianeta: Nicht so ganz, ich hatte schon ein paar Monate zuvor gefühlt, dass etwas nicht stimmt. Meine Frau hat gesagt: Los, zum Arzt, mach, mach, mach! Aber ich habe es in die Länge gezogen. Wir hatten damals in Berlin im Training einen Lauf- und einen Schlagtest, den wollte ich noch mitmachen, erst danach bin ich zum Arzt gegangen.

Ein Schock?

Pianeta: Ein totaler Schock. Der Arzt war sehr kühl zu mir, aber das liegt wohl daran, dass er bestimmt jeden Tag viele Patienten hat. Er hat sofort das Geschwür ertastet und gesagt: „Wir operieren, dann sehen wir, ob gutartig oder bösartig.“ Die OP wurde für Montag angesetzt, und ich habe erst später im Auto realisiert, was los ist, dann kamen die Tränen.

Die Operation folgte sofort?

Pianeta: Ja, schon am Montag danach. Ich weiß noch, dass ich aus der Narkose aufwachte, und der Assistenzarzt vor meinem Bett stand. Ich fragte: „Gutartig oder bösartig?“ Er sagt. „Bösartig.“ Ich musste wieder weinen und bin mitten im Weinen wieder eingeschlafen.

Der Beruf als Profiboxer war damit erledigt?

Pianeta: Für die erste Zeit schon. Ich hatte höllische Schmerzen. Solche Schmerzen kenne ich vom Boxen überhaupt nicht. Aber ich wollte nicht, dass meine Familie etwas erfährt und habe allen erzählt, dass ich einen Leistenbruch hätte.

So eine Geschichte lässt sich durchhalten?

Pianeta: Ich habe es nicht durchgehalten. Der Arzt riet mir zur Wahrheit, da ich die folgende Chemo-Therapie nicht verheimlichen könnte. Also habe ich die ganze Familie zusammen gerufen und ihnen gesagt: Ich habe euch angelogen. Ich habe keinen Leistenbruch, ich habe Krebs.

Die Reaktionen?

Pianeta: Mein Mutter hat ihre Hände vors Gesicht geschlagen und immer wieder gefragt: „Warum mein Junge? Warum mein Junge?“ Da wusste ich, dass die Wahrheit in diesem Moment ein Fehler war. Ich hätte bei der Leistenbruch-Geschichte bleiben sollen.

Warum?

Pianeta: Weil ich kein Typ bin, der Mitleid braucht. Ich wäre da alleine durchgekommen. Ich bin schließlich auch Vater und weiß, dass Eltern gerne den Schmerz für ihre Kinder ertragen würden. Diese Situation hätte ich meiner Mutter lieber nicht zugemutet. Aber es wurde alles noch schlimmer.

Noch schlimmer?

Pianeta: Im Krankenhaus haben sie mir die erste Chemo-Therapie verpasst. Ich habe Angst vor Spritzen, und sie haben mit einer Nadel, die so groß und dick wie ein Zahnstocher war, versucht, die Arterie in meinem Hals zu erwischen. Fünf Versuche, alle fünf daneben. Aber das waren ja nur die Äußerlichkeiten.

Und die inneren Dinge?

Pianeta: Vor der zweiten Chemo-Therapie fuhr ich nachts im Auto nach Hause zurück, habe mir in die Haare gefasst, und hatte ein ganzes Büschel in der Hand. Zuhause habe ich meine Frau geweckt, und wir haben überlegt. Der Plan: Am nächsten Morgen zum Friseur und alles abrasieren.

Haben Sie das gemacht?

Pianeta. Ja, und ich habe gesagt, dass ich eine Wette verloren hätte. Als die Haare ab waren, kam ein Kumpel rein und sagt. Du siehst ja aus, als wenn du Krebs hättest. Das sollte ein Scherz sein, aber mir blieb die Luft weg.

Francesco Pianeta über „große menschliche Enttäuschungen“ 

Wie lange war für Sie Pause im Sport?

Pianeta: Acht Monate hat es gedauert, bis ich wieder im Ring stand. In der Zeit habe ich große menschliche Enttäuschungen erlebt, an die ich vorher nie gedacht hätte.

Was ist passiert?

Pianeta: Ich war damals beim Sauerland-Stall unter Vertrag, und dort haben sie mich einfach fallen lassen. Auch Trainer Ulli Wegner, dem ich vorher vertraut hatte. Niemand vom Büro hat bei mir angerufen, ich bekam kein Geld mehr, nichts. Ich habe gemerkt, dass ich weder Mensch noch Boxer bin, sondern einfach nur eine Ware.

Wie haben Sie sich monatelang ohne Geld durchgeschlagen?

Pianeta: Ich hatte Glück, dass ich damals in einer Wohnung von meinem Box-Kollegen Arthur Abraham lebte. Ich habe fünf Monate keine Miete zahlen können, aber er hat nichts gesagt. Dann hat mir ein Freund Geld geliehen, und mein Schwiegervater hat uns unterstützt.

In dieser Situation haben Sie versucht, zurück in den Ring zu kommen?

Pianeta: Richtig, ich war psychisch und körperlich am Ende, aber ich wollte unbedingt zurück. Das ist doch mein Beruf. Ich hatte einen Kampf in Mülheim, wurde aber krank und musste mich nur noch übergeben. Aber der Sauerland-Stall setzte mich unter Druck. Kein Boxen, kein Geld. Es war in Mülheim das erste Mal, dass mein Sohn mit seinen fünf Jahren am Ring saß. Ich war krank, hörte immer nur seine Rufe „Papa, Papa“, und es war furchtbar. Irgendwie habe ich gewonnen, aber ich war am Boden zerstört. Kein Geld, keine Zukunft, krank.

Mittlerweile lachen Sie wieder.

Pianeta: Zum Glück. Damals hätte ich jeden für verrückt erklärt, der mir gesagt hätte: Du boxt irgendwann gegen Wladimir Klitschko. Aber ich habe mit viel Ärger und einem Rechtsanwalt den Absprung, die Kündigung bei Sauerland in Berlin geschafft und bin zum SES-Boxstall nach Magdeburg gekommen. Dort kümmert sich das ganze Team um alle Boxer und um mich. Eine zweite Familie. Ohne diese zweite Familie gäbe es keinen Kampf gegen Klitschko.

Würden Sie diese drei schlimmen Jahre noch einmal durchleben, um diese Chance zu bekommen?

Pianeta: Das würde ich, denn ohne die Erfahrungen aus dieser Zeit wäre ich nicht dort, wo ich jetzt bin. Ich bin verdammt froh, dass es uns wieder gut geht, und jetzt kann ich mich auf mein großes Ziel konzentrieren: Den Kampf gegen Wladimir Klitschko.

Ihr Selbstbewusstsein dafür ist groß, Sie haben angekündigt: „Ich reiße Wladimir Klitschko den Arsch auf!“

Pianeta: So einen Quatsch würde ich nie erzählen, ich bin kein Großmaul. In Wahrheit habe ich gesagt. „Für die Chance, gegen den Weltmeister zu boxen, reiße ich mir den Arsch auf!“

Klingt ganz anders.

Pianeta: Stimmt, aber das wollte keiner mehr wissen, das falsche Zitat einer Agentur war in der Welt.

Haben Sie den eine Sieg-Chance?

Pianeta: Die habe ich, und werde alles versuchen, sie zu nutzen. Im vergangenen Jahr war ich Sparringspartner von Wladimir, da habe ich einiges gesehen, das ich nutzen kann.

Was?

Pianeta: Werde ich jetzt nicht verraten. Aber damals war noch Emanuel Steward Trainer von Wladimir. Er sagte nach dem Sparring zu mir: „Du wirst der nächste Weltmeister!“ Dann wollte er ein Foto mit sich und mit mir. Steward ist einer der ganz großen Box-Trainer gewesen, und mir lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter. Wladimir hat die Sache mit dem Foto mitbekommen, und danach durfte ich nicht mehr zum Sparring kommen. Angeblich habe ich nicht gepasst. Jetzt sehen wir uns im Ring wieder, noch besser.