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Modelndes Schach-Genie Carlsen kann Weltmeister werden

Modelndes Schach-Genie Carlsen kann Weltmeister werden

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Magnus Carlsen and Liv Tyler Foto: getty
Der 22-jährige Norweger Magnus Carlsen ist zwar der Herausforderer um die Schachkrone, der 43-jährige Schach-Weltmeister Viswanathan Anand ist jedoch krasser Außenseiter. Carlsen hat die Normalität im Schach längst aufgehoben.

Essen. 

Als der russische Großmeister Wladimir Kramnik nach den schachlichen Fähigkeiten von Magnus Carlsen gefragt wurde, antwortete er: „Er ist nahe dran, aber Gott ist er nicht.“ Viswanathan Anand begab sich ebenfalls in himmlische Sphären, um Carlsens Leistungen im königlichen Spiel zu beschreiben: „Jetzt muss er nur noch über Wasser laufen.“

Kramnik und Anand wissen, wovon sie sprechen. Der Russe entthronte im Jahr 2000 Garri Kasparow als Schach-Weltmeister, ehe er sieben Jahre später seinen Titel gegen Anand verlor. Ab Donnerstag muss der Inder in seiner Heimatstadt Chennai um die Schach-Krone fürchten, denn dann muss er seinen Titel ausgerechnet gegen den Fast-Gott verteidigen.

Normalerweise trägt der Weltmeister die Favoritenbürde, das ist auf den 64 Feldern nicht anders als auf dem grünen Rasen. Aber Carlsen hat die Normalität im Schach längst aufgehoben. Im Alter von 13 Jahren wurde der Norweger Großmeister.

Zum Vergleich: Der legendäre Bobby Fischer war 15, Kasparow sogar 17 Jahre alt, als er die erforderlichen Normen für die Verleihung des Großmeister-Titels erfüllte. Mit 19 setzte sich Carlsen an die Spitze der Weltrangliste. Und mit 22 will er jetzt den Titel.

Schach-Legende Kasparow schwärmt von Carlsen

Nicht nur Kasparow hält Carlsen für den haushohen Favoriten. „Magnus ist die Zukunft des Schachs“, sagte Kasparow in einem FAZ-Interview. „Aber das wird kein Spaziergang. Anand hat sehr viel Erfahrung.“ Der Inder könnte mit 43 Jahren Carlsens Vater sein.

Aber die beiden Protagonisten trennen viel mehr als nur die 21 Jahre Lebenszeit. Der Inder wird zwar wegen seiner Herkunft der „Tiger von Madras“ genannt, doch Anand ist alles andere als ein Raubtier. Er würde mit seinen konventionellen Anzügen und seiner randlosen Brille hinter jeden Bankschalter passen. Anand ist ein akribischer Arbeiter, der sich in den vergangenen sechs Monaten zurückgezogen hat. Einen großen Teil der Zeit verbrachte er im hessischen Bad Soden.

Carlsen beschreibt sich selbst als chaotisch

Mit hochkarätigen Großmeistern bereitete er sich dort fast rund um die Uhr vor. Ihre Identität ist streng geheim, denn deren bekannte Vorlieben bei Eröffnungszügen ließe einen Rückschluss zu, mit welchen Neuerungen Anand seinen Herausforderer auf dem Brett vor unlösbare Probleme stellen will.

Mit Hilfe von Computerprogrammen hat der Weltmeister alle Partien von Carlsen analysiert, um dessen Schwächen zu finden und dann in den WM-Partien zu möglichst vielen Siegen zu verwerten.

Ohne Computer geht auch in der Vorbereitung des Norwegers nichts. Aber trotz seines jugendlichen Alters spielt die High-Tech-Unterstützung eine geringere Rolle als bei Anand. Carlsen bezeichnet sich selbst als Chaoten, der dazu neige, faul zu sein. Deshalb spielt er anders als seine Konkurrenten.

Vorliebe für komplizierte Stellungen

Während Anand und andere Weltklassespieler monatelang neue Züge austüfteln, in der Hoffnung, dass sie diese dann auch im Ernstfall auf dem Brett anwenden können, vertraut Carlsen mehr seiner Intuition. Je komplizierter die Stellung, desto wohler fühlt er sich.

Seine große Stärke ist, dass er sich auch aus scheinbar aussichtsloser Lage retten kann. Der frühere Spitzenspieler Lubomir Kavalek nannte Carlsen schon vor fast zehn Jahren „Schach-Mozart“, weil Magnus so leicht geniale Züge auf das Brett zauberte wie Wolfgang Amadeus Noten auf das Papier.

In einem Spiegel-Interview wurde Carlsen mal gefragt, ob er ein schlampiges Genie sei. „Ein Genie bin ich nicht“, antwortete er. „Schlampig? Vielleicht. Wenn ich mich gut fühle, trainiere ich viel. Fühle ich mich schlecht, lasse ich es bleiben. Arbeiten nach Stundenplan macht mir keinen Spaß. Systematisches Lernen würde mich umbringen.“

Jahreseinkommen liegt über einer Million Euro

Alles andere als normal ist jedoch sein fotografisches Gedächtnis. Mit zwei Jahren verblüffte er die Familie beim Puzzeln, mit fünf Jahren kannte er alle Hauptstädte der Welt auswendig. Mit Schach begann er ernsthaft erst mit neun Jahren.

Als Ausgleich zum stundenlangen Brüten über komplizierte Stellungen versuchte er sich als Skispringer. Bis vor kurzem spielt er in seiner Heimatstadt Lommedalen in einer Fußball-Mannschaft.

Sollte Carlsen den Titel holen, erhält er 60 Prozent des Preisgelds von 2,55 Millionen Euro. Aber Carlsen ist eh schon der Krösus der Schachspieler. Sein Jahreseinkommen wird auf über eine Million Euro geschätzt.

Nicht zuletzt, weil er für das Modelabel G-Star modelt. Jetzt geht er aber nicht gemeinsam mit Liv Tyler über den Laufsteg, jetzt ist es ein anderes Brett, das für ihn die Welt bedeutet.