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Mit Rauschebart und Gummikörper – Karatemeister Hideo Ochi

Rauschebart und Gummikörper – Karatemeister Hideo Ochi

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Foto: WAZ FotoPool
Hideo Ochi ist eine lebende Legende des Karatesports. Er führte Deutschland zum EM-Titel. Um ihn zu sehen, kommen am Samstag zig Kämpfer nach Bottrop.

Bottrop. 

Ganz so hoch wie auf dem gerahmten Foto an der Wand geht es heute nicht mehr hinaus. Auf dem Schwarz-Weiß-Bild sieht man einen jungen Mann mit entschlossenem Blick. Er scheint zu fliegen, sein Fuß befindet sich auf Kopfhöhe des Gegners. „Ja, das bin ich“, sagt der alte Mann mit dem weißen Rauschebart, der die Tür des Karatedojos in Bottrop geöffnet hatte und nun langsam auf einen Stuhl zuschlurft.

Das Foto stammt aus dem Jahr 1960, da war Hideo Ochi 20 Jahre alt. Mittlerweile ist er 75, doch hat er an Strahlkraft nicht verloren. Am Samstag lädt er in Bottrop zum jährlichen JKA-Cup, einem der größten Karateturniere Deutschlands. Hunderte Kämpfer aus der ganzen Republik und aus angrenzenden Ländern werden antreten, um am Ende von ihm eine Medaille überreicht zu bekommen. Von Hideo Ochi, einen der renommiertesten Karatelehrer der Welt. Einem der wenigen „Grand Champions“ dieser Sportart. Dem langjährigen Karate-Bundestrainer, dem Träger des Bundesverdienstkreuzes. Von einer lebenden Legende.

Pausezeit ist Karatezeit

Doch selbst Legenden müssen auf ihren Arzt hören. „Ich darf nicht mehr ganz so viel machen, nicht mehr so tief in die Hocke gehen“, sagt Ochi und lächelt. Es ist ein verschmitztes Lächeln. Denn völlig ohne Karate – das geht nicht. Ochi bekam vor zwei Jahren zwei neue Hüftgelenke. Zuletzt standen deshalb häufig Rehaübungen statt Karatetraining auf dem Tagesplan.

Doch Ochi wäre nicht Ochi, würde er nicht regelmäßig das Erlernte auffrischen. Jene Bewegungen, die er als 14-Jähriger kennenlernte und während seines Studiums in Tokio verfeinerte. Bei seinen täglichen Waldspaziergängen legte er deshalb auch während der Reha immer wieder Pausen ein – Karatezeit.

Hideo Ochi lacht viel. Eigentlich unterbricht er seine Erzählungen ständig, um laut loszulachen oder schelmisch zu kichern. Dass er aber auch ganz anders kann, beweisen wieder Fotos, die er zur Hand nimmt.

Einer der besten Karatekämpfer Japans

1966 kämpfte er bei den JKA-Meisterschaften (Alljapanische Meisterschaften) gegen den Südafrikaner Stan Schmidt, einen Hünen von zwei Metern Größe. Ochi, mit seinen 1,65 Metern im Vergleich ein Zwerg, demonstriert seine damalige Taktik. Arm des Gegners anheben, ein ansatzloser Schlag in die Rippen, Ende. Ochis Faust schnellt bei dieser Erzählung nach vorn. Das Auge des Gegenübers kommt kaum mit. 75 Jahre ist er alt – und noch immer ist der alte Mann schnell. Verdammt schnell.

Diese Schnelligkeit ebnete ihm einst den Weg, einer der besten Karatekämpfer Japans zu werden. Er war klein, aber agil, trickreich und geschmeidig. „Wie ein Gummiball“, sagte Gegner Stan Schmidt nach dem Kampf. Zwischen 1965 und 1969 holte Ochi mehrere Titel bei den JKA-Meisterschaften. 1970 wurde er nach Deutschland beordert, um hier Cheftrainer des Deutschen Karate-Bundes zu werden. Nicht mehr als eine Tasche und seinen Karateanzug hatte er dabei, als er damals aus dem Flugzeug stieg, um seinen ersten Lehrgang in Krefeld abzuhalten. 1973 zog er mit Ehefrau Tomie nach Bottrop.

Bewahrung der Tradition

„Anfangs war es schwer für mich, aber ich habe die Deutschen sofort gemocht. Sie sind sehr geradeaus, das ist schön“, sagt Ochi. Steil geradeaus ging es für ihn auch als Bundestrainer. Europameister 1971, 1972 und 1975, Vizeweltmeister 1975 und 1980. Vom Deutschen Karate-Verband trennte er sich 1993 und gründete den Deutschen JKA-Karate Bund (DJKB), weil er das traditionelle Karate erhalten und nicht ausschließlich den Weg des modernen „Sportkarates“ gehen wollte. Noch heute ist Ochi der Cheftrainer dieses Verbandes, wird seine Schüler am Samstag beim verbandseigenen JKA-Cup in der Bottroper Dieter-Renz-Halle mit Stolz vom Mattenrand aus beobachten. Fliegen wie auf den alten Fotos – das überlässt er mittlerweile anderen.