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SV Darmstadt 98 vollendet das Lilien-Märchen mit Bundesliga-Aufstieg

Darmstadt 98 vollendet das Lilien-Märchen mit dem Aufstieg

Tobias Kempe schoss den SV Darmstadt 98 mit seinem Freistoßtreffer in die 1. Bundesliga., Dirk Schuster führte Darmstadt 98 als Trainer in die 1. Bundesliga., Bei der Aufstiegsfeier des SV Darmstadt 98 feierte auch "Johnny" Heimes mit.
Tobias Kempe schoss den SV Darmstadt 98 mit seinem Freistoßtreffer in die 1. Bundesliga., Dirk Schuster führte Darmstadt 98 als Trainer in die 1. Bundesliga., Bei der Aufstiegsfeier des SV Darmstadt 98 feierte auch "Johnny" Heimes mit. Foto: Foto: dpa
Darmstadt 98 schaffte mit dem Aufstieg das Wunder vom Böllenfalltor. Auch ein kleiner Etat und ein marodes Stadion konnten den Durchmarsch der Lilien in die 1. Bundesliga nicht stoppen.

Darmstadt. 

Nach dem Aufstiegs-Wunder verfielen alle beim SV Darmstadt 98 in einen kollektiven Glücksrausch. Dritte Liga, Zweite Liga, Erste Liga – der märchenhafte Durchmarsch in die deutsche Fußball-Glitzerwelt mit Traumspielen gegen Bayern München oder Eintracht Frankfurt elektrisierte nach dem umjubelten 1:0-Heimsieg gegen den FC St. Pauli Spieler, Macher und Fans der Südhessen.

„Wahrscheinlich werden wir erst merken, was passiert ist, wenn uns Arjen Robben in der nächsten Saison sieben Knoten in die Beine gespielt hat“, witzelte Mittelfeldspieler Florian Jungwirth. Das marode Böllenfalltor-Stadion wollen die sensationellen „Uffsteiger“ für die hohen Besuche aus München, Dortmund oder Wolfsburg extra herausputzen. „Wenn der Pep (Guardiola) kommt, werden wir hier schon noch mal durchwischen“, scherzte Präsident Rüdiger Fritsch, dessen Brillenbügel am Sonntag im Party-Trubel zu Bruch gegangen war. „Vor zwei Jahren waren wir sportlich noch am Boden“, sinnierte er.

Lilien feiern den Bundesliga-Aufstieg in der City von Darmstadt

„Unglaublich“, „Wahnsinn“, „einfach geil“ – nach dem wichtigsten Sieg des Jahres war vor allem Trainer Dirk Schuster, der Vater des Erfolgsmärchens, fix und fertig. „Die Jungs haben bis aufs Blut jede Woche alles gegeben“, lobte Schuster seine Helden. Zum Ober-Helden krönte sich vor 16 150 Zuschauern Tobias Kempe mit seinem Freistoßtor in der 71. Spielminute. Danach startete eine Open-End-Party, die am Montag mit einer Aufstiegsfeier im Stadtzentrum den Höhepunkt fand.

„Und schon wieder aufgestiegen SVD“, sangen die Spieler, als sie sich am Montagvormittag ins Goldene Buch der Stadt eintrugen – zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. „Wenn Ihr uns noch mehr solche Geschenke macht, müssen wir noch ein paar Seiten einkleben“, sagte Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne). Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) übergab dem Aufsteiger einen Scheck des Landes in Höhe von 98 000 Euro – 50 000 für den neuen Rasentrainingsplatz und 48 000 für das Fanprojekt des Vereins. „Das ist eine tolle Serie“, sagte er. „Dritter in der 3. Liga, Zweiter in der 2. Liga, danach wären die Lilien jetzt Bayern-Jäger“, fügte er hinzu. „Deutscher Meister wird nur der SVD“, stimmte die Mannschaft darauf an.

„Mir geht es gerade eiskalt den Rücken runter“, sagte Kapitän Aytac Sulu, als ihm gut 12 000 feiernde Anhänger auf der Bühne auf dem Karolinenplatz im Stadtzentrum zujubelten. Tobias Kempe, der die „Lilien“ mit seinem Freistoßtor in der 71. Minute nach 33 Jahren wieder zurück in die Bundesliga geschossen hatte, trug eine blau- weiße Irokesen-Perücke, die Stimme war allerdings völlig ruiniert.

Trainer Dirk Schuster verpasste den Autokorso

Nachdem bereits am Sonntag ausgiebig gefeiert wurde, waren Spieler und Verantwortliche am Montagmorgen sichtlich gezeichnet. Trainer Dirk Schuster verpasste den Beginn des Autokorsos am Stadion. „Der Trainer ist noch auf Spielbeobachtung“, scherzte sein Assistent Sascha Franz. Schuster selbst gestand später unumwunden: „Ich war voll gestern Abend.“

Sonnenbrillen waren neben den blauen „Uffsteiger“-T-Shirts das Hauptaccessoire. „Jeder von uns hat mindestens 3,5 Promille“, erklärte Keeper Christian Mathenia mit schwerer Zunge. Doch für Erholung bleibt der Mannschaft keine Zeit: Noch am Montagnachmittag brach sie für zwei Tage zum Feiern nach Mallorca auf.

So schrieb Darmstadt 98 das Märchen vom Bundesliga-Aufstieg

Die sensationelle Entwicklung des SV Darmstadt 98 in den vergangenen Jahren wird gerne mit dem Etikett „Wunder“ versehen. Doch sie ist auch das Ergebnis harter, disziplinierter Arbeit und großer Begeisterungsfähigkeit. Das zeigt ein Blick auf die zentralen Bausteine des Erfolgs.

Der Trainer:

Dirk Schuster übernahm die „Lilien“ als Tabellenletzter der 3. Liga und führte sie innerhalb von zweieinhalb Jahren in die Bundesliga. Er ist der Vater des Erfolges, formte aus gescheiterten oder ausrangierten Spielern ein geschlossenes Team. Sein erklärtes Ziel, einen Bundesligisten zu trainieren, hat der ehemalige Nationalspieler nun erreicht. Seinen Vertrag in Darmstadt hatte er zusammen mit seinem Co-Trainer Sascha Franz und Torwarttrainer Dimo Wache schon einige Wochen vor dem Aufstieg verlängert.

Das Präsidium:

Vereinspräsident Rüdiger Fritsch und sein kleines Team führen den Verein mit ruhiger Hand. Seit der Insolvenz im Jahr 2008 lautet das Credo: Wir geben nicht mehr Geld aus, als wir einnehmen. Ein simples, aber wirkungsvolles Erfolgsrezept. Die Kompetenzen sind klar abgesteckt. Das weiß auch Trainer Schuster zu schätzen, dem niemand in die sportlichen Belange hineinredet.

Die Fans:

Spätestens seit dem spektakulären Zweitliga-Aufstieg in der Relegation gegen Arminia Bielefeld herrscht in Darmstadt Euphorie. Der Heimbereich des Stadions war zuletzt immer ausverkauft, die Anhänger sorgen mit gewaltiger Geräuschkulisse und originellen Choreografien für viel Stimmung und pushen die Mannschaft nach vorne. Auch auswärts begleiten inzwischen mehrere Tausend Fans das Team.

Das Stadion:

Das Böllenfalltor-Stadion mit seinen 16 150 Plätzen ist stimmungsvoll – aber auch marode. Die Instandhaltungskosten sind immens, die für die Vermarktung so wichtigen VIP-Logen sucht man vergebens, die Kabinen und sanitären Einrichtungen sind von heutigen Standards weit entfernt und auch für den Medienansturm in der Bundesliga ist die Arena nicht gerüstet. Auf Dauer ist der Verein so nicht konkurrenzfähig. Ein Neubau an gleicher Stelle ist deswegen schon seit zwei Jahren in Planung. Wann die neue Arena kommt, steht aber in den Sternen. Bürgermeister Jochen Partsch (Grüne) versprach kürzlich die Fertigstellung bis 2018. Die kurzfristigen Auflagen der DFL für die Bundesliga sind nach Auskunft des Vereins aber erfüllbar.

Der Kader:

Das Team glänzt mit Geschlossenheit. Einen herausragenden Star gibt es nicht. In der vergangenen Saison gelang es, bis auf Keeper Jan Zimmermann alle Stammspieler zu halten. Das sieht derzeit anders aus. Bei Hanno Behrens wurden die Vertragsverhandlungen bereits vor einigen Wochen für gescheitert erklärt. Abwehrspieler Leon Balogun zuckte nach dem Aufstieg mit den Schultern, als er nach seiner Zukunft gefragt wurde. Auch der Vertrag von Innenverteidiger Romain Brégerie läuft aus. Besonders in der Offensive müssen die „Lilien“ nachbessern, um in der Bundesliga mithalten zu können. (dpa)

Der krebskranke „Johnny“ Heimes und die „Lilien“ 

Der junge Mann im Rollstuhl ist von der Krankheit schwer gezeichnet. Aschfahl, mit tiefen Ringen unter den Augen sitzt Jonathan „Johnny“ Heimes am Montag auf der Bühne zwischen den Spielern des SV Darmstadt 98, die gerade den Durchmarsch in die Bundesliga feiern. Trotzdem gehört er dazu, mit seiner Aktion „DUMUSSTKÄMPFEN“ schlägt er ein Brücke zwischen dem Sport und krebskranken Kindern. „Ohne Dich wären wir gar nicht hier“, sagte „Lilien“-Kapitän Aytac Sulu am Montag.

Heimes stammt wie Andrea Petkovic aus dem TEC Darmstadt, war hessischer Jugendmeister im Tennis, Experten prophezeiten ihm eine große Karriere. Doch dann kam der Krebs. Mit 14 wurde bei ihm ein bösartiger Tumor im Kleinhirn entdeckt. Seit über zehn Jahren kämpft er gegen die Krankheit, die immer wieder zurückkommt.

Heimes kämpft aber nicht nur um sein eigenes Leben, sondern auch für andere Krebskranke. Dazu verkauft er Motivationsbändchen aus Silikon mit dem Motto „DUMUSSTKÄMPFEN – Es ist noch nichts verloren“. Mehr als 150 000 Euro sind so mittlerweile schon zugunsten des Vereins Hilfe für krebskranke Kinder Frankfurt zusammengekommen.

Das Armband gab Heimes auch den Kickern des SV Darmstadt 98 im vergangenen Jahr zu den Relegationsspielen gegen Arminia Bielefeld mit – und die „Lilien“ machten im Rückspiel tatsächlich noch eine 1:3-Heimniederlage wett und stiegen auf. Spätestens seitdem ist Heimes Glücksbringer des Vereins.