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„Ich lache jeden Tag, das Essen ist ganz gut“: Marcel Heßes Brief an seinen Vater macht sprachlos

„Ich lache jeden Tag, das Essen ist ganz gut“: Marcel Heßes Brief an seinen Vater macht sprachlos

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Foto: dpa

Bochum. 

Es ist das erste Mal, das ein Blick auf das frei wird, was Marcel Heße durch den Kopf gehen mag.

Die Frage, warum Heße zuerst den neunjährigen Jaden und dann seinen Bekannten Christopher brutal getötet hat, ist auch am vierten Verhandlungstag vor dem Landgericht Bochum noch immer unbeantwortet.

Doch dann verliest Richter Stefan Culemann einen Brief, der sprachlos macht.

Die „große Wiese Internet“

Marcel Heße hat ihn aus dem Gefängnis heraus an seine Familie geschrieben, adressiert ist er an den Vater. Aber: „Jeder von euch“ soll ihn lesen, steht darin. Es soll eine Art Erklärung für das sein, was er Anfang März getan hat. Der Versuch, als Zuhörer der verqueren Logik zu folgen, ist beinahe schmerzhaft.

„Über die Taten an sich muss ich ja nicht mehr schreiben“, heißt es in dem Brief. Es gehe vielmehr um ihn selbst und den Grund für seinen Suizidversuch.

Was dann folgt, sind die Memoiren eines Mörders. „Ich fange mal mit der vierten Klasse an“, schreibt Heße. Da habe er die „große Wiese Internet“ entdeckt: „Hier konnte ich tun, was ich wollte“.

Was er dort fand, sei wesentlich besser gewesen, als Schule – oder mit Menschen zu reden. Er habe im Internet über Quantenphysik und Atome lesen können, was viel interessanter als Matheunterricht gewesen sei.

Schule ist wie „stundenlang einer gestrichenen Wand beim Trocknen zuzusehen“

Der Zwang, zur Schule zu gehen, sei immer unerträglicher geworden – auch wegen der Mitschüler. Die hätten sich für das neueste iPhone oder Schuhe interessiert, statt wie er virtuelle Drachen im Internet zu jagen.

Schule war für ihn, „wie stundenlang einer gestrichenen Wand beim Trocknen zuzusehen, während der Teufel mich mit faulen Eiern und Ziegelsteinen bewirft“, schreibt er kryptisch.

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Die Aussicht auf einen aus seiner Sicht langweiligen Beruf habe ihn deprimiert – er wolle nicht „zehn Stunden hirntot“ den Tag verbringen. Er habe gesehen, was so eine Arbeit aus Menschen mache: „Papa hat Glasknochen. Mutter: schwerbehindert“.

„Lebt mal jahrelang in Armut“

„Auch das mit dem Geld: Teure Schuhe, Frauen, Autos? Lebt mal jahrelang in Armut. Ich habe mein Geld nur für Essen und Bücher ausgegeben. Damit ich nicht an Mutters Essen sterbe“, heißt es in dem Brief.

Zur Bundeswehr wäre er aber gern gegangen. Dort hätte er seinen „Abenteuerlust befriedigen“ können. Doch er wurde abgelehnt, unter anderem weil er bei einem Techniktest schlecht abschnitt.

Er hätte die Wut und die Angst ertragen können, aber dann sei seine Mutter umgezogen und in der neuen Wohnung habe es erstmal kein Internet gegeben. Die Aussicht, ohne seine geliebten virtuellen Welten auskommen zu müssen, habe sich angefühlt, „als würden die Wände immer näher kommen“.

Ein „geschmackloser Scherz“

Irgendwann habe er beschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch der Plan misslang – und hier zeigt sich das zynische Weltbild des mutmaßlichen Doppelmörders: „Mangelndes Technikverständnis verwehrt mir den Zutritt zur Bundeswehr und zum Jenseits. Wenn das mal kein geschmackloser Scherz ist“, schreibt Heße.

Und dann blitzt ganz kurz so etwas wie Bedauern auf. Inzwischen habe er eingesehen, dass es eine Alternative gegeben hätte. Er hätte sich als Künstler versuchen können, oder Buchautor. Vielleicht Bibliothekar. „Hätte ich das mal gemacht. Aber es hat noch keiner eine Zeitmaschine erfunden.“

Über die Mordtaten verliert er dabei indes kaum ein Wort. Auch die Familien der Opfer erwähnt er nicht. Er dreht sich immer wieder nur um sich selbst. Nach dem, was er getan hat, müsse er nicht mehr so tun, als wäre er ein „engagierter … Wasauchimmer“. In Wahrheit sei er faul und träge und kein Fan des Kapitalismus. Er wolle „kein Teil einer Maschine sein, die jeden kleinstampft, der kein Teil von ihr sein will“.

„Ich lache jeden Tag, das Essen ist ganz gut“

Nichts weiter als altkluge vermeintliche Weisheiten, wie sie viele Teenager haben mögen, die an Weltschmerz leiden, sich unverstanden fühlen. Doch Heße nahm sie offenbar als Anlass zum Morden.

Und dann erzählt er noch kurz von seinem Leben im Gefängnis – wie man vielleicht als Junge in einer Postkarte von der Klassenfahrt berichtet. „Ich lache jeden Tag, das Essen ist ganz gut“, heißt es im Brief.