Bochum.
Draußen beginnt Orkan „Friederike“ laut zu toben, als es drinnen im Gerichtssaal A.0.10 des Landgerichts Bochum plötzlich ganz ruhig wird.
Etwas völlig Neues passierte am Donnerstag im Prozess gegen den mutmaßlichen Doppelmörder Marcel Heße: Erstmals zeigte Heße so etwas wie Reue für seine Taten. Im März 2017 hat der damals 19-Jährige zuerst den neunjährigen Nachbarsjungen Jaden und einen Tag später den 22 Jahre alten Christopher überaus brutal getötet. Später hatte er sich seiner Taten im Internet gerühmt.
Marcel Heße: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen“
In einem Brief vom 10. Januar, den Richter Stefan Culemann verlas, schreibt Marcel Heße an seine Mutter: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen.“ Das erste Mal sei ihm klar geworden, was er angerichtet habe, als er Christophers Mutter im Zeugenstand gesehen habe.
„Ich sah eine Mutter, die nur ihren Sohn zurückwollte“, so Heße. „Wenn ich daran denke, schnürt es mir die Kehle zu.“
Stille im Zuschauerraum. Denn das Bemerkenswerte an der späten Reue: In Gesprächen mit Psychologen und Polizisten hatte Heße zuvor stets emotionslos und detailverliebt über seine Taten gesprochen. Als „eiskalt“ hatten ihn die Ermittler kurz nach der Festnahme beschrieben. Der Brief, in dem Heße nun Emotionen und Bedauern schildert, passt kaum zu seinem bisherigen Verhalten.
Lebenslange Freiheitsstrafe möglich
Am psychologischen Gutachten ändere der Inhalt des Briefes erst einmal nichts, sagte Psychologin Sabine Nowara, die das Gericht als eine von zwei Gutachterinnen berät. „Schwierig ist, dass wir die Intention von Marcel Heße nicht kennen, so lange wir darüber mit ihm nicht gesprochen haben.“
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Am Donnerstag gab es noch eine weitere Überraschung im Mordprozess. Die Gutachterinnen Sabine Nowara und Astrid Rudel haben dem Gericht ein Urteil nach Erwachsenenstrafrecht empfohlen. Eine Reifeverzögerung sehen sie bei Heße nicht. Damit könnte Marcel Heße zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden.
Verteidiger zweifelt an Gutachterinnen
Die Psychologin und die Psychiaterin hatten Heße eine gefestigte Persönlichkeit bescheinigt. Sie sind der Ansicht, dass Heße sein Leben vor der Tat insgesamt geltenden Regeln und Normen unterstellt habe.
Heßes Verteidiger Michael Emde zog die Einschätzung der Gutachterinnen in Zweifel. „Über jemanden, der über einen längeren Zeitraum einfach gar nicht mehr in die Schule gegangen, würde ich nicht sagen, dass er sich Regeln und Normen unterstellt.“ Er glaube, die Gutachterinnen hätten sich auf eine bestimmte Position festgelegt, von der sie sich nicht mehr abrücken ließen.
Sollte das Gericht der Empfehlung folgen, wäre das ein extrem seltener Fall. Heße war zum Tatzeitpunkt 19, meist werden so junge Täter nach Jugendstrafrecht verurteilt.
Das Urteil wird für den 31. Januar erwartet.