Bochum.
Das Gefühl, dass das alles einfach nicht wahr sein kann, bleibt. Jedes Mal, wenn Marcel Heße den Saal im Landgericht Bochum betritt, fragt man sich unweigerlich: Dieser schmale, blasse Junge soll kaltblütig und brutal das neun Jahre alte Kind seiner Nachbarn und seinen eigenen Freund (22) getötet haben?
Es sieht alles danach aus. Heße hatte bereits am ersten Prozesstag bekanntgeben lassen, dass er die Tat nicht bestreitet. Was nach wie vor irritiert: Völlig unbeteiligt sitzt Heße neben seinem Anwalt, den Blick nach unten gerichtet schaut er irgendwo ins Nichts.
Was für ein Mensch ist Marcel Heße?
Von Prozessbeginn stehen die Fragen quälend im Raum: Was für ein Mensch ist Marcel Heße? Wieso hat er die grausamen Morde begangen?
Am Donnerstag waren die Psychologin Sabine N. und die Psychiaterin Astrid R. als Zeuginnen geladen. Die Aussagen der Gutachterinnen wurde mit Spannung erwartet. Denn ihre Einschätzung über Heßes geistigen Gesundheitszustand kann sich auf das Urteil auswirken und birgt vielleicht eine Antwort auf die Frage: Wie tickt Marcel Heße?
Fähigkeit zur Empathie beeinträchtigt
N. und Rudel haben Heße mehrmals in der JVA besucht. Sie beschreiben Heße als höflichen und kooperativen Menschen. Umso mehr irritiert der Bericht der Gutachterinnen, dass Heße ihnen gewissermaßen im Plauderton und höchst lebhaft von seinen Taten erzählte.
Heße macht Stichbewegungen, während er von den Taten erzählt
Mit Stichbewegungen habe er seine Schilderung, wie er seine Opfer umbrachte, untermalt.
Schon in der Schule sei Heße immer wieder verhaltensauffällig und aggressiv gewesen. Ein Schulschwänzer, der ganze Nächte mit Computerspielen verbrachte.
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Er sei durchschnittlich intelligent, zeige keine Wahrnehmungsstörungen. Seine Fähigkeit zur Empathie sei allerdings beeinträchtigt, in andere Menschen könne er sich nur schlecht hineinversetzen.
Heße habe bereits früh narzisstische Züge gezeigt, halte sich für besser als andere, sagt Sabine N.: „Derartige Züge können sich dann herausbilden, wenn Kinder sich nicht angenommen oder geliebt fühlen.“
Sadistisch gegenüber Tieren
Auffällig: Als Kind habe sich Heße bisweilen sadistisch gegenüber Tieren verhalten. Einem toten Hamster habe er noch einmal das Genick gebrochen. Im Gespräch mit den Gutachterinnen habe er auf die Frage, warum er das getan habe mit einer Gegenfrage geantwortet: „Können Tiere Schmerz emfpinden?“
Die Gutachterinnen vervollständigen das Bild vom empathielosen Sonderling, das in den vergangenen Prozesstagen nach und nach entstanden ist.
Die Diagnose der Gutachterinnen: Marcel Heße hat eine dissoziale Persönlichkeitsstörung – was nicht deute, dass er an einer psychischen Störung krankhaften Ausmaßes leide. „Der Angeklagte war in der Lage, sein Verhalten zu kontrollieren“, so Sabine N. am Donnerstag. Damit ist er von den Gutachterinnen als voll schuldfähig eingestuft worden.
Das könnte sich später auch auf das Urteil auswirken, das nach bisherigem Stand am 25. Januar erwartet. Ob dem Angeklagten dann die ganze Härte des Gesetzes droht ist allerdings nicht klar. Denn noch ist nicht sicher, ob Marcel Heße nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht behandelt wird. (mit dpa)