Der 8. August 2022 wirkt in Dortmund immer noch nach: Der 16-jährige Flüchtling Mouhamed Dramé wurde durch Schüsse aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet (>> hier mehr dazu).
Hätte dieses tödliche Drama verhindert werden können? Oder handelten die Polizisten in Notwehr? Seit Dezember 2023 wird vor dem Landgericht Dortmund im Prozess Mouhamed Dramé verhandelt. Fünf Polizisten – zwei Frauen und drei Männer, darunter der Einsatzleiter – sitzen auf der Anklagebank.
Am Mittwoch (17. April) wollen zwei der beschuldigten Beamten erstmals zu den Vorwürfen aussagen – ein Polizist und der Einsatzleiter. Das kündigten deren Verteidiger an. Ein weiterer Polizist will am darauffolgenden Verhandlungstag aussagen. Jetzt kam es zur Aussage von Einsatzleiter Thorsten H.
Dortmund: Brisante Aussagen im Mouhamed-D.-Prozess
Bisher stellt sich der 8. August 2022 wie folgt dar: Mitarbeiter einer Jugendhilfeeinrichtung hatten die Polizei gerufen, weil der 16-jährige Mouhamed Dramé aus dem Senegal sich ein Küchenmesser gegen den Bauch hielt – vermutlich in der Absicht, sich selbst zu töten.
Als der Jugendliche auf Ansprache der Polizisten nicht reagierte, griffen die Beamten zum Pfefferspray. Als er sich dann weiter auf die Beamten zubewegte, kamen zwei Taser zum Einsatz – bis es dann schließlich zu den tödlichen Schüssen aus einer Maschinenpistole kam.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft haben es in sich: Dem MP-Schützen wird Totschlag vorgeworfen, drei Kollegen sind wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, der Einsatzleiter wegen der Anstiftung dazu.
Einsatzleiter vor Gericht: „Soll ich warten, bis sich Herr Dramé das Messer in den Bauch rammt“
Wie die „Ruhr Nachrichten“ berichtet, hat der Einsatzleiter Thorsten H. jetzt vor dem Landgericht Dortmund ausgesagt. H. verzichtete auf eine Einlassung seines Anwalts und beantworte die aufkommenden Fragen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage selbst. Er habe die Gefahr gesehen, dass Mouhamed Dramé sich selbst hätte verletzten können, so wie er mit dem Messer an der Wand gesessen haben soll.
Daher sah H. keine Möglichkeit mehr länger zu warten und entschied sich für ein schnelles Handeln. Die Nebenklage fragte daraufhin, ob man die Lage nicht hätte statisch halten können. „Was soll ich an dieser Lage statisch halten? […] Soll ich warten, bis sich Herr Dramé das Messer in den Bauch rammt und zwölf Polizisten stehen dort herum und haben nichts gemacht?“
Einsatzleiter hat nicht mit dem Tod gerechnet
Bei dieser Frage wirkte H. wohl aufgebracht. Des Weiteren kam es bei H. zu Unstimmigkeiten in seiner Erinnerung, als die Staatsanwaltschaft danach fragte, wo Mouhamed Dramé nach den Schüssen liegen geblieben ist. Die Schilderung von H., dass Mouhamed Dramé neben einer Kollegin zu Fall gekommen ist, passte nicht zu den Schilderungen von anderen Zeugen.
Der Einsatzleiter gab bekannt, dass es nach dem Einsatz einen Austausch mit Kollegen gegeben habe. „Wir hatten für uns den Eindruck, dass der Einsatz gut gelaufen war.“ Erst auf Nachfrage des vorsitzenden Richters ergänzte er: „Natürlich nicht mit dem Endergebnis.“
Als H. davon erfuhr, dass Mouhamed Dramé verstorben ist, sei der Einsatzleiter erschrocken gewesen. „Ich war entsetzt, dass das passiert ist. Ich hatte nicht damit gerechnet. Ich hatte nicht gedacht, dass jemand bei einem Gesicht- und Schultertreffer bei sofortiger Versorgung verstirbt.“
Solidaritätskreis vorab mit schweren Vorwürfen
Der Solidaritätskreis „Justice4Mouhamed“ störte sich vor allem am Zeitpunkt der Aussagen. „Die Einlassungen der Angeklagten kommen spät. Das überrascht uns nicht. Denn wir gehen davon aus, dass die Polizistinnen auf der Anklagebank jede Möglichkeit nutzen, sich in ihrer Sichtweise auf ihren tödlichen Einsatz vor 1,5 Jahren bestmöglich vorzubereiten“, meint die Kreissprecherin Bo. „Die späten Einlassungen gehören zur Verteidigungsstrategie.“
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Eine Unterstützerin des Solidaritätskreises beklagte zudem, dass den Hinterbliebenen von Mouhamed D. während der Verhandlung nicht die notwendige Aufmerksamkeit geschenkt wurde. „Es ist klar, dass Strafprozesse keinen Wert auf zwischenmenschliche Gesten legen – warum auch. Es geht um Rechtsprechung. Dass die Hinterbliebenen aber keines Blickes gewürdigt und in ihrem Anliegen und Schmerz nicht gesehen werden, ist nur schwer auszuhalten.“
Mouhameds Bruder Sidy Dramé fand noch deutlichere Worte: „Wir rechnen mit gut
vorbereiteten Aussagen seitens der Polizisten, welche in unserer Erwartung keinen Beitrag dazu leisten werden, die Realität des Geschehenen abzubilden.“ (mit dpa)
>>Anmerkung der Redaktion<<
Zum Schutz der betroffenen Familien berichten wir normalerweise nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit.
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