Clan-Kriminalität: Polizei deckt erstaunliche Verbindungen der Libanesen-Clans auf
Die Behörden verstärken ihren Kampf gegen kriminelle Clans im Revier
Seit Juni arbeiten in Duisburg zwei „Staatsanwälte vor Ort“
Nun zeigt sich: Die Libanesen-Clans haben erstaunliche Verbindungen zu anderen Gruppierungen
Duisburg.
Schon über die Zahl der Begriffe kann man staunen: Libanesen-Clans, Araber-Clans, kurdisch-arabische Clans – Einigkeit darüber, wie man sie denn nun nennen muss, gibt es nicht.
Der Grund ist klar: Clan-Kriminalität im Ruhrgebiet und ihre Bekämpfung ist kein Schwarz-Weiß-Thema. Seit gut einem Jahr haben die Behörden den kriminellen Clans den Kampf angesagt, die Ankündigungen klingen nach Kriegserklärung: man will „Strukturen zerschlagen“ und „Clankriminalität austrocknen.“
Clan-Kriminalität: „Es gibt weitere Gruppen“
Bislang war vornehmlich von arabischen Familien die Rede. Jetzt wurde bekannt, dass die Sicherheitsbehörden aber auch eine ganz andere Klientel im Fokus haben, wie NRW-Justizminister Peter Biesenbach auf einer Pressekonferenz am Donnerstag in Düsseldorf sagte. „Es gibt eine weitere Gruppe. Wir beobachten rumänische und bulgarische Familienclans, deren Aktivität wird zunehmend stärker.“
Vor allem in Duisburg, aber auch in Essen, sind kriminelle Aktivitäten einzelner osteuropäischer Großfamilien bekannt. Neu ist: Offenbar arbeiten diese Clansteilweise mit den Libanesen-Clans zusammen. „Es gibt Querverbindungen zu den kurdisch-arabischen Clans“, so Biesenbach.
Kriminelle Clans: „Einschreiten, bevor sich Strukturen vertiefen“
Nun müsse man „rechtzeitig einschreiten, damit sich diese Querverbindungen nicht weiter vertiefen.“ In Duisburg hat man bereits einen Anfang gemacht: Seit Juni arbeiten im Duisburger Norden zwei Spezial-Staatsanwälte. Vom Erfolg ist man derart überzeugt, dass das Modell „Staatsanwälte vor Ort“ in Essen inzwischen adaptiert wurde.
Die beiden Staatsanwälte kümmern sich ausschließlich um Fälle von Clan-Kriminalität. Eine erste Bilanz zeigt: Die Ermittler waren fleißig. Insgesamt 258 Ermittlungsverfahren gegen Clan-Kriminelle wurden seit Juni eingeleitet.
Clan-Kriminalität: Angesägte Schrotflinte auf der Drogenplantage
Die meisten betreffen Verstöße gegen das Waffengesetz, Drogenhandel, Urkundenfälschung und Raubdelikte. Bei Razzien fanden die Ermittler abgesägte Schrotflinten, Pistolen, Messer – unter anderem in einer riesigen Marihuana-Plantage.
„Offenbar braucht man für eine gesunde Gartenpflege auch Schrotflinten“, bemerkte Duisburgs Oberstaatsanwalt Stefan Müller bei der Pressekonferenz trocken.
„Gefängnisstrafe ist für kriminelle Clan-Mitglieder ein Orden“
Außerdem ermitteln die Staatsanwälte wegen Verbreitung pornographischer Schriften, antisemitischer Äußerungen, Steuerhinterziehung, Betrug und Geldwäsche.
Das lohnt sich zumindest finanziell: Bislang konnten die Behörden 685.000 Euro arrestieren, indem sie den Clans an deren Vermögen gingen. „655.000 Euro konnten wir sichern, 622.200 Euro durch Zwangshypotheken und 32.800 Euro durch Pfändungen von Bargeld oder Konten.“
Nach Ansicht des Justizministers ein herber Schlag gegen die Clans: „Eine Gefängnisstrafe ist in diesen Kreisen fast ein Orden. Aber wenn wir ihnen das Geld entziehen, stören wir dieClansempfindlich.“
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258 Ermittlungsverfahren haben die beiden Staatsanwälte „vor Ort“ in Duisburg gegen Clankriminalität eingeleitet. Hier ein Auszug aus der Bilanz:
Körperverletzung
30
Diebstahl und Unterschlagung
27
Betrug
31
Drogenkriminalität
39
Geldwäsche
6
Verstöße gegen das Waffengesetz, Raub, Urkundenfälschung u.a.
111
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Kampf gegen Araber-Clans: „Wir wissen schlicht mehr“
Indes: Verurteilungen gab es bislang noch keine. Kritiker halten den Behörden vor, reinen Aktionismus ohne konkrete Ergebnisse zu betreiben. Oberstaatsanwalt Stefan Müller versicherte dagegen: „Im laufenden Jahr wird es die ersten Urteile geben.“ Und NRW-Justizminister Peter Biesenbach betonte: „Es geht darum, Strukturen zu erkennen und die Clans immer wieder zu stören.“
Peter Müller von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf sagte: „Es ist bereits jetzt spürbar, dass durch die Arbeit der beiden Staatsanwälte in Duisburg die Informationslage eine andere ist, als vorher. Wir wissen schlicht mehr.“ Man habe viel mehr Kenntnisse über einschlägige Familien und deren Verflechtungen untereinander.
Die Polizei geht von 70 relevanten türkisch-, kurdisch- und arabischstämmigen Clans mit rund 2800 Mitgliedern in Duisburg aus. 890 von ihnen seien bereits polizeilich in Erscheinung getreten.
Clan-Razzia: Respektlosigkeit gegenüber Polizei
Immer wieder treten einzelne Clanmitglieder respektlos gegenüber Polizisten auf, zuletzt Anfang Januar bei einer Razzia in Duisburg und Dinslaken.
Die Polizeibeamten durchsuchten dort Shishabars und Wohnungen wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Waffengesetz. „Ein Mann aus der Szene fuhr mit seinem Auto vorbei und beschimpfte die Polizisten, rief ‚Hurensöhne‘ und ‚Bastarde’“, erzählt Oberstaatsanwalt Stefan Müller.
Eine eher blöde Idee. Als die Beamten den Mann stoppten und sein Auto untersuchten, fanden sie größere Mengen Kokain. „Jetzt sitzt er in Untersuchungshaft“, so Müller.
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Woher kommen die Clans?
Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien.
Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
Etwa 100 Clans beobachtet das LKA in NRW. Zwischen 2016 und 2018 sind laut LKA in NRW 14.225 Delikte erfasst worden, die im Zusammenhang mit Clankriminalität stehen.
6449 Tatverdächtige wurden zwischen 2016 und 2018 ausgemacht, jede fünfte Person ist eine Frau. Die allermeisten Verdächtigen (2177) gab es in Essen, gefolgt von Recklinghausen (648) und Gelsenkirchen (570).
Die Clan-Kriminellen leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.
Mhallami kamen aus der Türkei
Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus
Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländern verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.