Prof. Dr. Dirk Syndram arbeitet seit 23 Jahren in Dresden. Im Interview spricht der gebürtige Duisburger über die sächsische Mentalität und Wutbürger.
Duisburg.
Prof. Dr. Dirk Syndram ist stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden. Fast sein halbes Leben hat der gebürtige (Duisburg-)Homberger in der sächsischen Hauptstadt verbracht – und grübelt über die jüngsten Entwicklungen.
Herr Prof. Dirk Syndram, ist man als gebürtiger Duisburg-Homberger nach 23 Jahren Dresdener?
Dirk Syndram: Man ist entweder sofort von Dresden begeistert – oder man ist nie von Dresden begeistert. Ich bin vor 23 Jahren als Direktor des Grünen Gewölbes hierher gekommen. Da ist man der Geschichte Dresdens und Sachsens verpflichtet. Mein Arbeitgeber ist gewissermaßen August der Starke.
Fühlen Sie sich denn aufgenommen?
Syndram: Den größten Ritterschlag bekam ich vor acht Jahren, obwohl ich nicht sächsisch spreche und mir die Lebenserfahrung der Menschen aus der DDR fehlt. Ich war kommissarisch Generaldirektor, bevor Hartmut Fischer kam, der ehemalige Leiter des Folkwang-Museums. In dieser Zeit hielt mich draußen vor dem Schloss eine Radfahrerin an und sagte: Wie schade, dass Sie nicht Generaldirektor bleiben können – dann wäre das wenigstens einer von uns.
Gibt es so etwas wie eine spezifische Dresdener Mentalität?
Syndram: Es gibt eine Dresden-Tradition seit dem 18. Jahrhundert, vielleicht seit dem 16. Jahrhundert. Die Dresdener trauern immer noch wegen der Zerstörung. Und damit meinen sie nicht nur den Bombenhagel des 13. Februars 1945, sondern die preußischen Kanonen die 1760 ihr schönes Canaletto-Dresden zerschossen haben. Hinzu kommt die dritte Zerstörung durch die Ideologie der DDR. Dresden war ja weniger zerstört als Hamburg oder Aachen. Doch die DDR wollte das feudale Dresden nicht wieder aufbauen.
Erklärt sich daraus diese Wucht von Pegida, die hier zu Hochzeiten fast 20 000 Menschen auf die Straßen trieb, und im Westen nur ein paar hundert Rechtsradikale mobilisiert?
Syndram: Ich kenne keine Stadt, die so intensiv über das trauert, was schon 70 Jahre zurückliegt. Als wir vor wenigen Jahren die Türckische Cammer wieder einrichteten, hieß es, es sei doch schön, dass nach der Zerstörung was zurückkäme. Und wenn man aus dem Fenster schaut, sieht man eine wunderschöne, wiederaufgebaute Stadt, die fast wie ein Kreuzfahrtschiff wirkt, wie ein Luxusliner.
Pegida ist also nicht aus der Trauer oder dem Verlust zu erklären?
Syndram: Es ist ein Phänomen der östlichen Bundesländer. Die Frustration durch „die da oben“ ist ja durch die Jahre der DDR eingeübt. Dass die Presse eine „Lügenpresse“ sein soll, kennt man aus der Zeit vor 1989. Genauso wie das Topos, dass die in Berlin ja nichts mitkriegen. Da können die Pegida-Macher anknüpfen.
Wir im Westen haben Demokratie eingeübt mit Aufschwung, mit Aufstiegschancen – und hier im Osten eben nicht?
Syndram: Das ist etwas sehr Deutsches, diese Angst: vor Verlust, vor Veränderung. Vor fünf Jahren wäre Pegida gegen Griechenland marschiert, wegen der Angst, dass das Geld da vernichtet wird. Es ist die Angst davor, dass alles, die eigene Existenz, erneut in Frage gestellt wird. Es kommt noch eines hinzu: Dresden ist konservativ. Konservativ heißt: Etwas bewahren. Man bewahrt, was man für gut hält. Dieser Gedanke speiste ja auch den Aufbau der Frauenkirche. Hier sind die Investoren gescheitert, die hier Hochhäuser bauen wollten.
Aber wie kommt es, dass Pegida so weit in andere Kreise hineinreicht?
Syndram: Was mich bei Pegida auch persönlich verwirrt hat, dass ich nicht wusste, was die wollten. Da waren welche dabei, die waren gegen TV-Gebühren oder gegen die Art, wie Asylbewerber behandelt werden. Oder sie hatten das Gefühl, man dürfe über manche Probleme aus politischer Korrektheit nicht sprechen. Die sagen dann: Das hatten wir früher auch. Es gibt viel Frust bei jenen, die da mitmarschieren. Aber es gibt auch Frust bei denen, die erleben müssen, wie ihre schöne Stadt zum Aufmarschgebiet für Pegida wird.
Dennoch, wie kommt der Ost-West-Unterschied bei Pegida zustande?
Syndram: Wir haben in der Bundesrepublik die Demokratie langsam geübt. Ich kenne noch die heftigen Zeiten der 68er und die 70er, wo die RAF zu einer Bedrohung unserer Gesellschaft wurde. Hier hat man eine viel kürzere Zeit, um Demokratie einzuüben. Es war ja ein Beitritt und keine Wiedervereinigung. Alles, auf das man sich verlassen hatte, war 1990 plötzlich nicht mehr da. Warten Sie mal ab! Pegida ist ein Katalysator für das, was kommen wird. Wir machen ja weiter mit der Demokratie. Und vielleicht kommen wir ja ins Reden.
Das heißt: Hier fehlt es an Streitkultur?
Syndram: Sicher. Streitkultur und Selbstbewusstsein, das muss man auch einüben. Ich bin froh, dass jetzt Kommunikation beginnt. Pegida ist auch ein Problem der Vermittlung von Politik. Deswegen bin ich froh, dass die Landeszentrale für politische Bildung den Raum für Gespräche geöffnet hat. Man kann sagen, mit Extremisten setze ich mich nicht an einen Tisch. Aber bei Pegida laufen Menschen mit, mit denen Sie ein Bier trinken würden, auch wenn Sie nicht in allen Punkten deren Meinung teilen. Erinnern wir uns: Erst im Jahr 2000 hat Jürgen Rüttgers in NRW noch im Wahlkampf gesagt: „Kinder statt Inder“ – das wäre heute ein Slogan der Pegida.