Nur wenige können noch aus eigener Erfahrung davon berichten, die meisten erinnern sich an Erzählungen, viele haben es in der Schule im Geschichtsunterricht gehört. Doch wie war es wirklich zur Zeit des Nationalsozialismus im zweiten Weltkrieg? Und wie haben sich die Menschen damals in Duisburg gefühlt?
+++ Duisburg: Millionen-Projekt für Problemviertel! +++
Tagebucheinträge, Briefe und die Chronik der Stadt Duisburg geben Aufschluss darüber. Diese haben drei Menschen aus dem Ruhrgebiet zu einem Live-Hörspiel zusammengetragen, das sie im Jugendzentrum Zitrone in Hamborn uraufführten. DER WESTEN war vor Ort und hat mit dem freien Autor und Projektleiter Ralf Koss gesprochen.
Duisburg kämpft „gegen das Vergessen“
Passend zum Internationalen Tag des Friedens, dem 21. September, kamen an der Kalthoffstraße Ralf Koss vom Förderverein mit seiner Lebenspartnerin Marion Basteck und Kischog Thevatasan vom Jungs eV (Projekt Heroes) zusammen. Sie erzählten Geschichten, teils von ihren eigenen Eltern (Briefe, Tagebücher), und verbanden diese mit Fakten, Schriften und Liedern aus der Zeit.
Hier die Erinnerungen dreier Duisburger:
„Duisburg war platt.“
Vom 14. auf den 15. Oktober 1944 startet der „große Angriff auf Duisburg“. Eine Frau erinnert sich daran, wie sie damals im Keller der Schneiderei ihrer Mutter sitzt. Wären sie nur 15 Minuten früher aus dem Laden gegangen und in die U-Bahn gestiegen – wer weiß, ob sie dann noch davon hätte erzählen können.
„Ich erinnere mich nicht mehr, wirklich Angst gehabt zu haben.“
Eine andere Frau sitzt bei ihrer Nachbarin im Keller, als die Bomben fallen. Eine landet direkt im Krankenhaus nebenan. Sie muss schreckliche Angst gehabt haben, kann sich später aber nicht mehr daran erinnern.
„Es war so schlimm, ich kann es nicht beschreiben“
Erinnerungen eines Jungen, der mitsamt seiner Familie von SS-Soldaten im Lkw verschickt werden soll. „Dann kamen die Russen.“ Plötzlich flüchten die Soldaten und die Insassen begeben sich auf eine lange Wanderung. Wenn Soldaten in Sicht kommen oder Bomben fallen, legen sie sich flach auf den Boden und bewegen sich nicht. Links und rechts sieht der Junge Tote in Gräben liegen.
Diese Zeitzeugenberichte bereiteten den Zuhörern Gänsehaut. Schließlich befand sich im Zuschauerraum niemand, der sich aus erster Hand an diese Zeit erinnern konnte.
Duisburg: 22.000 Tote im 2. Weltkrieg
Anhand zweier Lieder beschrieb Herr Koss die divergierende Stimmung in Deutschland und in Duisburg:
„Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“
Lale Andersen, 1942
„Erst geht der Hitler und dann die Partei“, sangen die Gegner des totalitären Regimes den Nazischlager im Geheimen. Etliche starben in der „Nacht der langen Messer“, in der sich Adolf Hitler seiner Feinde entledigte. Warum allerdings in der „Chronik der Stadt Duisburg“ von Stadtarchivar Walter Ring nichts über die Gegenwehr bei Hitlers Machtergreifung 1933 stand, beschäftigte Herrn Koss. Denn offensichtlich hatten die Bürger moralische Bedenken bezüglich seiner Methoden und Ansichten.
„Davon geht die Welt nicht unter“
Zarah Leander, 1942
Dieses Lied verlieh dem Hörspiel von Koss seinen Titel und blieb auch 1945 nach der Niederlage Deutschlands und dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch aktuell. Denn die Deutschen wollten lieber nach vorne blicken und nicht zurück, erzählte Herr Koss. Sie setzten sich nicht mit ihrer eigenen Schuld auseinander. Im Krieg und in den Konzentrationslagern waren damals 22.000 Duisburger umgekommen.
77 Jahre nach Kriegsende – „Es ist nie abgeschlossen“
Hier spannte Ralf Koss einen „Bogen zur Gegenwart“. Denn er sähe aktuell „eine identische Haltung“ wie damals vor 1933. Rechtsextreme werden lauter und die Geschichte scheint sich mit Blick auf die Ukraine zu wiederholen.
„Sage Nein!“
Hannes Wader, Konstantin Wecker und Reinhard Mey, 2003
„Welche Haltung nimmt jeder Einzelne im Umgang mit propagandistisch sprechenden Politikern ein?“, warf Koss die alles entscheidende Frage in den Raum. Denn er ist sich sicher, ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung können autoritäre und faschistische Regime keine Macht erlangen. Dann könne auch kein Björn Höcke (AfD) unsere Demokratie zerstören. Darum sei die Erinnerungskultur so unverzichtbar.
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„Es ist nie abgeschlossen, das Trauma“, erzählte im Anschluss an die Vorstellung auch ein Mann aus dem Publikum. Volker Köhler, heute Rentner und früher Bergmann in der Zeche Walsum, wisse, wie wichtig es sei, „Gegen das Vergessen“ anzukämpfen. Er selbst war noch etwas zu jung, um sich wirklich an die Jahre zwischen 1930 und 1945 zu erinnern. Darum fand er besonders den Bezug zu seiner Heimatstadt und die Verbindung mit den Liedern der Zeit „einzigartig“. Und auch der Leiter des Jugendzentrums, Holger Venghaus, freute sich, am Ende der Vorstellung wieder ein bisschen Kultur in den Duisburger Norden gebracht zu haben.
Dieser Artikel erschien am 21. September 2022 und nun erneut anlässlich des Weltfriedenstages.