Wochenlang hat ein Clan-Krieg das Ruhrgebiet in diesem Sommer in Atem gehalten. Auf eine wilde Massenschlägerei in Castrop-Rauxel folgte ein zweiter Showdown am Salzmarkt in Essen. Hunderte Syrer und Libanesen prügelten dort am 16. Juni aufeinander ein, einige von ihnen bewaffnet mit Baseballschlägern, Dachlatten und Messern (mehr dazu hier).
Die Polizei Essen handelte schnell, konnte die rivalisierenden Clans auseinandertreiben und 169 Beteiligte einkesseln. Doch jetzt ist klar: Jeder einzelne von ihnen kommt einfach so davon. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Essen sind im Sande verlaufen. Ein Armutszeugnis für die Justiz.
Essen: Justiz im Clan-Krieg offenbar machtlos
Friedensrichter vermitteln zwischen verfeindeten Clans und umgehen somit die Wege des Rechtsstaats. Beteiligte schweigen, Zeugen erschienen nicht zu Vernehmungen und anhand der Video-Aufzeichnungen konnte laut der Essener Staatsanwaltschaft keinem Beteiligten eine Straftat zweifelsfrei nachgewiesen werden.
Deshalb seien alle Ermittlungen eingestellt wurden. Ein Schock für Essener, die von der Gewalt-Eskalation vor den Augen von Frauen und Kindern zutiefst erschrocken waren und sind. Denn immer wieder kommt es auch in den Wochen nach der Eskalation am Salzmarkt zu Tumulten auf offener Straße – zuletzt Montagnacht in Steele.
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Mit der Einstellung aller Ermittlungen sendet die Justiz nun ein fatales Zeichen. Es erweckt den Eindruck, dass den Behörden die Mittel fehlen, solche offen ausgetragenen Konflikte zu verhindern oder zumindest zu bestrafen. Können sich aggressive Gewalttäter etwa zusammenrotten und ungestraft Straßenkämpfe in Essen austragen?
Selbst Thomas Kufen fand dafür in einem Brandbrief an das Justizministerium NRW ungewöhnlich scharfe Worte. Es sei für die Menschen in Essen „schwer zu verstehen, dass im Nachgang der Tumulte keines der eingeleiteten Strafverfahren Aussicht auf Erfolg hat“, so der Essener Oberbürgermeister. Und weiter: „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass keine Zuordnung, keine Ahndung, beispielsweise von Körperverletzungen, dem Tragen von Waffen oder Landfriedensbruch, möglich ist, die es offenkundig gab.“
Staatsanwaltschaft Essen erteilt Absage
Kufen forderte, die Ermittlungen erneut aufzunehmen. Dem erteilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen auf Nachfrage von DER WESTEN eine Absage. Es seien keine härteren Ermittlungsmaßnahmen möglich. Es seien Vorwürfe von besonders schweren Straftaten nötig, um etwa Handydaten auszuwerten. Die Vorwürfe (Landfriedensbruch, schwere Körperverletzungen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) würden so ein Vorgehen nicht rechtfertigen. Selbst die Verletzungen einiger Beamten im Dienst reicht dabei offenbar nicht aus, um die Justiz umzustimmen. Ein weiterer Schlag ins Gesicht der Einsatzkräfte.
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Die offensichtliche Machtlosigkeit der Justiz dürfte auch das Vertrauen mancher Essener in den Rechtsstaat erschüttern. Es sind Fälle wie diese, die in der Vergangenheit viele Wähler in die Arme von Rechtspopulisten gedrängt haben. Deren Parolen zielen in solchen Fällen auf augenscheinlich einfache Lösungen ab („Straftäter abschieben“).
Es ist klar, dass die Realität komplexer ist. Dass dieser Fall aber überhaupt keine Folgen nach sich zieht, stimmt schon bedenklich. Und dabei hilft auch die Maßnahme von Thomas Kufen nichts, auch Ordnungskräfte der Stadt Essen mit Bodycams auszustatten. Die seien nach Einschätzung der Polizei Essen in solchen Fällen nutzlos, weil sie über größere Distanzen keine brauchbaren Bilder produzieren. Was bleibt ist ein Gefühl der Unsicherheit und Clan-Mitglieder, die sich ins Fäustchen lachen.