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Esther Bejarano hat das KZ Auschwitz überlebt – heute macht sie Hip-Hop

Esther Bejarano überlebte das KZ – heute macht sie Hip-Hop

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Foto: Jörg Schimmel / WAZ FotoPool
Die Jüdin Esther Bejarano hat das Konzentrationslager überlebt – dank ihrer Musik. Sie ist einer der letzten Überlebenden des einstigen Mädchenorchesters des KZ Auschwitz. Heute macht die 89-Jährige Hip-Hop gegen Rechtsextremismus. In Essen erzählte sie aus ihrer bewegenden Lebensgeschichte.

Essen. 

„Sie haben mich immer Krümel genannt“, sagt die 89-Jährige mit der warmen Stimme, wenn sie aus ihrer Vergangenheit erzählt. „Weil ich so klein war.“ Klein ist Esther Bejarano wirklich. Doch sie ist vor allem stark. Als eine der letzten Überlebenden des einstigen Mädchenorchesters des Konzentrationslagers Auschwitz setzt sie sich heute für eins ein: Aufklärung. Das tut sie mit ihrer eigenen Geschichte. Und mit ihrer Musik.

Seit fünf Jahren ist Esther Bejarano mit der antirassistischen Hip-Hop-Formation „Microphone Mafia“ aus Köln unterwegs, gibt Konzerte und Lesungen, so wie am Freitag im Falkenzentrum in Essen. Dabei konnte die Wahl-Hamburgerin mit dem Genre erst einmal nicht viel anfangen. „Ich wusste gar nicht was das ist – Rap.“ Und dann dieser Name. „Als sie anriefen, habe ich gesagt: Mit der Mafia will ich nichts zu tun haben“, erzählt sie lachend. Doch das hat sich schnell geändert. Über 200 Konzerte hat sie gespielt, ihre Bandkollegen nennen sie „Mutti“.

Mit 18 Jahren kam Esther Bejarano nach Auschwitz-Birkenau

Was Musik für sie bedeutet? „Alles“, sagt sie ohne Zögern. „Ohne Musik kann ich mir mein Leben nicht vorstellen.“ Schließlich habe die Musik sie schon ihr Leben lang begleitet. Und sie gerettet.

Geboren wurde Bejarano 1924 im Saarland in einer deutsch-jüdischen Familie. Der Vater war Musiker und Opernsänger und schon früh lernte sie Klavierspielen. Als sie 16 war, wurde sie in ein Zwangsarbeiterlager deportiert, mit 18 Jahren kam sie nach Auschwitz-Birkenau. „Wir haben unsinnig Steine geschleppt. Von der einen Seite des Feldes zur anderen“, erzählt sie. „Hätte ich weiter dort arbeiten müssen, würde ich heute nicht hier sitzen.“ Ihre Rettung war die Musik, genauer: das Häftlingsorchester. Hier spielte sie Akkordeon, ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben: „Ich wusste nur, dass man ziehen muss.“

Orchester musste spielen, wenn neue Transporte ankamen, die „direkt ins Gas gingen“

Sie lernte schnell, es ging ums Überleben. Das Orchester musste beim Marsch der Arbeitskolonnen spielen und wenn neue Transporte ankamen, die „direkt ins Gas gingen“. Für Bejarano und ihre Kameradinnen eine enorme Belastung: „Wir hatten ein schlechtes Gewissen, den Nazis zu helfen, weil die Arbeitskolonnen im Takt unserer Musik marschierten.“

Von Auschwitz kam sie in das Frauen-KZ Ravensbrück. Als Vorarbeiterin für eine Gruppe russischer Frauen hat sie dort – ganz gezielt – die Arbeit sabotiert. „Wenn die Produkte kaputt zurückkamen, haben wir getanzt und gesungen. Das war das einzige, was mir Spaß gemacht hat“, sagt die fast 90-Jährige.

Flucht auf einem der Todesmärsche 1945

Fliehen konnte sie schließlich auf einem der Todesmärsche 1945. „Wir waren schon mindestens fünf Tage unterwegs, irgendwo in Mecklenburg.“ Zusammen mit sechs Freundinnen versteckte sie sich unbemerkt im Wald, legte die Häftlingskleidung ab und entkam so dem Todesmarsch. Hier erlebte sie auch das Kriegsende am 8. Mai.

Nach dem Krieg wollte Bejarano nur eins: weg aus Deutschland. Sie wanderte nach Israel aus, studierte Gesang, doch hat nie wirklich von der Musik gelebt. „Es ist ein brotloser Beruf. Deshalb musste ich wieder anfangen zu kellnern.“

Esther Bejarano kämpft gegen das Vergessen

1960 kehrte die Künstlerin mit Mann und Kindern nach Deutschland zurück und leistet seitdem Aufklärungsarbeit, kämpft gegen das Vergessen und die Intoleranz. Besonders wichtig ist ihr der Kontakt zu Jugendlichen. „Ich sage immer: Ihr seid nicht Schuld an dieser schrecklichen Zeit, aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über die Geschichte wissen wollt.“

Noch heute hat sie Kontakt zu anderen Überlebenden, sogar zu einer Kameradin aus dem Mädchenorchester. Sie nennen sie noch immer Krümel.