Kriminelle Libanesen-Clans: „Gefängnis ist keine Strafe, sondern eine Ehre“ – deshalb setzt die Polizei jetzt auf eine andere Form der Abschreckung
Die Sicherheitsbehörden gehen in Essen jetzt massiv gegen kriminelle Mitglieder arabischer Clans vor
Zwei Staatsanwälte sollen die Clans gezielt bekämpfen
Allerdings gibt es vier große Probleme
Essen.
Die Entschlossenheit ist groß: Sie wollen kriminelle Libanesen-Clans in Essen und Gelsenkirchen das Fürchten lehren.
Das verkündeten NRW-Justizminister Peter Biesenbach, Essens Polizeipräsident Frank Richter und Oberstaatsanwalt Walther Müggenburg am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Essen.
Libanesen-Clans: Kriminelle Mitglieder machen ihr Geld mit Betrug im großen Stil
Nach dem Modell von Duisburg werden künftig auch in Essen zwei Staatsanwälte ausschließlich kriminelle Familienclans bekämpfen. Die sogenannten Libanesen-Clans oder Araber-Clans sind den Sicherheitsbehörden seit Jahren ein Dorn im Auge.
Ihr Geld machen sie mit Drogenhandel, Diebstahl und Schutzgelderpressung, vor allem aber mit Betrügereien und Urkundenfälschung im großen Stil.
Essen, Duisburg und auch Gelsenkirchen gelten neben Berlin und Bremen als Hotspots arabischer Clankriminalität. „Familien oder Clans sollen dabei nicht stigmatisiert, sondern kriminelle Clanmitglieder konsequent verfolgt werden“, so NRW-Justizminister Peter Biesenbach.
Angst im Essener Norden
Denn es gehe um die Sicherheit der Essener. „Es darf nicht passieren, dass die Bevölkerung in den Medien um Hilfe ruft, weil im Essener Norden Angst herrscht.“
Essen: Sicherheitsgefühl ist gesunken
Dabei gilt Essen als eine der sichersten Städte Deutschland – so jedenfalls sagt es die Statistik. „Obwohl das so ist, haben viele Bürger Angst vor steigender Kriminalität. Für diese Schieflage spielt das Auftreten einiger Clans aus dem Essener Norden eine nicht unwesentliche Rolle“, so Oberstaatsanwalt Walther Müggenburg.
Denn die kriminellen Mitglieder arabischer Clans agieren nicht im Verborgenen, sondern treten offensiv auf, protzen regelrecht machohaft mit Straftaten. Sie tragen Gewalt auch auf die Straße: In Essen gab es in den letzten Jahren immer wieder Massenschlägereien und sogar Schießereien auf offener Straße am helllichten Tag.
Vier Probleme bei Ermittlungen gegen Clans
Die beiden Staatsanwälte, deren Namen auch zu ihrem Schutz der Öffentlichkeit nicht genannt werden, arbeiten künftig im Essener Norden – eben „vor Ort“, so Biesenbach.
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Erschwert wurden die Ermittlungen der Behörden zuletzt vor allem durch vier Aspekte:
Erstens: Die Familie
Erstens verschleiern die Clans durch enge Familienbindungen kriminelle Taten – nie würde ein Clanmitglied gegen ein anderes aussagen. Verdeckte Ermittler können die Behörden auch kaum einsetzen, denn wer bei den Clans mitmischen will, muss zur Familie gehören: Man wird gewissermaßen in den Clan hineingeboren.
Die Ermittler verfolgen deshalb eine andere Strategie: Sie beobachten und sammeln gezielt Informationen, bis sie nach und nach Strukturen erkennen und durchbrechen können; so der Plan.
Selbst im Gerichtssaal werden immer wieder Drohungen ausgeprochen, mit Gewaltandrohungen sollen Zeugen mundtot gemacht werden.
Dieses Problem werde künftig auch durch die Arbeit der beiden „Staatsanwälte vor Ort“ kleiner werden, so Justizminister Biesenbach. „Die Staatsanwälte haben keinen zeitlichen Ermittlungsdruck und können Indizien von Zeugen sammeln und davon ausgehend Beweise ermitteln. Oft wird es dann gar nicht mehr nötig sein, dass die Zeugen noch einmal vor Gericht aussagen müssen, sie bleiben also unerkannt.“
Nicht nur Zeugen, auch Polizisten werden inzwischen immer öfter Ziel von Einschüchterungsversuchen. „Allen, die das versuchen, sei gesagt: Alle Kräfte bekommen den Schutz, den sie brauchen. Wir werden Drohungen und Einschüchterungen nicht zulassen“, machte Justizminister Peter Biesenbach klar.
Drittens: Gefängnis ist keine Strafe
Drittens lassen sich die Clanmitglieder durch konventionelle Methoden schlecht abschrecken. „Eine Gefängnisstrafe ist für die eine Beförderung“, so Frank Richter. Viel empfindlicher könne man die Clans treffen, indem man ihnen die Geldhähne zudreht – denn Geld und Prestige ist für die Clans das oberste Ziel.
Viertens: Lücken bei den Behörden
Das vierte Problem ist schwieriger: Was ist, wenn die kriminellen Libanesen-Clans Helfer oder Informanten in den Reihen der Behörden haben? In Duisburg etwa erstrecken sich die Anti-Mafia-Ermittlungen auch gegen fünf Beamte – sie sollen Dienstgeheimnisse weitergegeben haben. Ist so etwas bei den Anti-Clan-Ermittlungen nicht auch denkbar?
Die Brisanz der Frage zeigte sich in den Reaktionen der Beteiligten: Justizminister Peter Biesenbach wollte zum Thema nichts sagen, er kenne sich da zu wenig aus. Und Polizeipräsident Frank Richter ließ sich Zeit mit seiner Antwort. „Ja, nun, je größer solche Einsätze sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das ein oder andere durchgestochen wird.“
Tatsächlich habe es in der Vergangenheit Fälle gegeben, bei denen Razzien ins Leere liefen, weil irgendjemand Tipps gegeben hatte. „Da haben wir dann einen Laden durchsucht, und plötzlich hatte der Laden dann ausgerechnet an dem Tag einen Ruhetag“, so Richter.
Von konkreten Verbindungen zwischen Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden und kriminellen Libanesen-Clans sei ihm aber nichts bekannt, Hinweise gebe es keine. „Ich möchte betonen, dass ich bei so etwas extrem allergisch reagiere. Solche Leute sind sofort raus“, stellte er klar.
Projekt ist auf mehrere Jahre ausgelegt
Die Arbeit der beiden Staatsanwälte, die eng mit den anderen Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten, ist für mehrere Jahre geplant. „Das ist keine Geschichte, die man in ein paar Wochen löst.“ Das Beispiel Duisburg zeige, dass das Konzept erfolgreich sein kann: Die dort eingesetzten Staatsanwälte haben im ersten halben Jahr mehr als 210 Ermittlungsverfahren eingeleitet.
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Und in der Vergangenheit hatten ähnliche Maßnahmen bei der Bekämpfung der Rockerkriminalität im Ruhrgebiet immer wieder zu Ermittlungserfolgen geführt.
Woher kommen die Clans?
Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.0000 Menschen zu solchen Großfamilien.
Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
Sie leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.
Mhallami kamen aus der Türkei
Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus
Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländern verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.
Repression und Perspektiven
Auch deshalb wollen die Behörden neben den repressiven Aktionen der Polizei künftig auch Perspektivangebote all denen machen, die aus den kriminellen Geschäften der Clans aussteigen wollen, wie Justizminister Peter Biesenbach ankündigte.