Essen.
Sie handeln mit Drogen und erpressen Schutzgeld, ihre Geschäfte passieren in Hinterzimmern von Shisha-Bars.
Kriminelle arabische Clans werden zu einem ernsthaften Problem in NRW. Besonders in den Städten des Ruhrgebiets sind sie aktiv. Deutschlandweit gelten Essen und Duisburg neben Bremen und Berlin als Hotspots der Clankriminalität.
Libanesen-Clans: Druck auf kriminelle Mitglieder aufbauen
Die Ermittlungen gegen die Clans gestaltet sich schwierig, den Sicherheitsbehörden fehlt es auch an Erfahrung: Denn die Clans agieren völlig anders als andere Player im Bereich der Organisierten Kriminalität, etwa die italienische Mafia.
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„Ich gebe zu, wir mussten unsere Arbeit umstellen beim Kampf gegen kriminelle Mitglieder solcher Clans“, so Essens Polizeipräsident Frank Richter am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft, Polizei und NRW-Justizministerium. (Hier alle Infos zur Pressekonferenz)
„Wenn von den Clanmitgliedern Gefängnis nicht mehr als Strafe, sondern als Auszeichnung wahrgenommen wird, muss man eine andere Form der Abschreckung finden“, so Richter.
„Sie protzen mit ihren Straftaten“
In zwei Punkten unterscheiden sich die Clans von der italienischen Mafia. Anders als Mitglieder der ‚Ndrangheta oder anderer italienischer Mafia-Vereinigungen arbeiten die arabischen Clans nicht im Verborgenen. Ganz im Gegenteil: „Sie protzen regelrecht mit ihren Straftaten“, erklärt Frank Richter.
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Die kriminellen Mitglieder von Araber-Clans tragen Gewalt auch auf die Straßen: In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu Massenschlägereien und Schießereien auf offener Straße. Dramatischer Höhepunkt: Am 9. April 2016 fallen mitten in der Essener Innenstadt Schüsse. Am helllichten Tag.
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Mahmoud M. streckt den erst 21 Jahre alten Mohammed El-Kadi kaltblütig nieder. Das Ganze ist eine Vendetta-Aktion, wie sich im anschließenden Prozess herausstellt. Das Protzen, die Poser-Geste gehört für die kriminellen Araber dazu.
Clankriminalität: „Können keine verdeckten Ermittler einsetzen“
Der zweite Unterschied zwischen Clans und Mafia stellt die Polizei vor eine Herausforderung: „Verdeckte Ermittler können wir nicht einsetzen“, erklärte Oberstaatsanwalt Walther Müggenburg bei der Pressekonferenz in Essen. Denn bei den Clans kann nur mitmischen, wer wirklich zur Familie gehört – und Familie ist wörtlich gemeint. Von außen kommt niemand rein.
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Die Behörden konzentrieren sich darauf, den Clans die Geldhähne sukzessive zuzudrehen: Denn Geld und Prestige ist oberstes Ziel der kriminellen Libanesen-Clans. Schon seit Monaten übt die Polizei in Essen massiven Druck auf die Clans aus, fast wöchentlich gibt es Razzien. Jetzt sollen zwei eigens eingesetzte Staatsanwälte den Druck erhöhen: Sie werden sich im Essener Norden ausschließlich dem Kampf gegen Clankriminalität widmen.
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Vorbild des Projekts, das auf mehrere Jahre ausgelegt ist, sind die beiden Sonder-Staatsanwälte in Duisburg: Sie konnten im ersten halben Jahr ihrer Tätigkeit mehr als 210 Ermittlungsverfahren einleiten.
Womit machen die Clans ihr Geld?
Die Mitglieder der arabischen Clans sind gut darin, ihre kriminellen Machenschaften zu verdecken. Klar ist: Die kriminellen Araber-Clans sind in vielen Feldern aktiv: Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Diebstahl.
Haupteinnahmequelle: Bertrügereien durch Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung. Die Machenschaften der Clans seien deshalb auch wirtschaftlich ein Problem, so Justizminister Peter Biesenbach: Jährlich schleusen die Banden große Summen Schwarzgeld am Staat vorbei.
„Die phänomenologischen Schwerpunktsetzungen im Kontext der Clanfamilien orientieren sich weniger an einzelnen etablierten Kriminalitätsfelder als an kriminellen Märkten, die besonders lukrativ sind und dabei gut durch große, gleichwohl gut abgeschottete Personenstrukturen besetzt werden können“, heißt es beim Landeskriminalamt. Sprich: Die kriminellen Mitglieder von Libanesen-Clans streuen ihre Aktivitäten breit, suchen sich gezielt Märkte, in denen möglichst viel Geld zu machen ist.
Woher kommen die Clans?
Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei.
Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.0000 Menschen zu solchen Großfamilien.
Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
Sie leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.
Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft.
Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus
Als Flüchtlinge kamen viele der Mhallami über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländer verteilt – vor allem Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.
Behörden setzen auf Kombination aus Repression und Perspektive
Auch deshalb wollen die Behörden neben den repressiven Aktionen der Polizei künftig auch Perspektivangebote all denen machen, die aus den kriminellen Geschäften der Clans aussteigen wollen, wie Justizminister Peter Biesenbach ankündigte.