Der Kern bekommt allmählich Risse, sagt Frank Richter.
Die Formulierung, die der Essener Polizeipräsident wählt, fügt sich gut ein in die Sprache, die die Sicherheitsbehörden jetzt nutzen, wenn es um Clankriminalität geht. Da ist von „Austrocknen“ die Rede. Von „1000 Nadelstichen“. Man wolle den Clans zeigen, dass „denen nicht die Straße gehört“. Das alles klingt nach Kriegserklärung.
Kriminelle Libanesen-Clans: „Die Clans fühlen sich gestört“
Seit Monaten geht die Polizei massiv gegen die Clans vor, wöchentlich gibt es in Essen Razzien und Kontrollen. Man will die kriminellen Libanesen-Clans zermürben. Das Ruhrgebiet – und vor allem Essen – gilt neben Berlin und Bremen als Hochburg krimineller Clans.
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Die Aktionen tragen bereits erste Früchte – oder wie Frank Richter sagt: Der Kern bekommt Risse. „Wir merken, dass die Clans sich arg gestört fühlen“, erzählt er am Rand eines Symposiums zum Thema Clankriminalität in Essen.
560 Experten aus Wissenschaft und Politik sind gekommen, NRW-Innenminister Herbert Reul ist vor Ort, zig Fernsehteams drängen sich im Haus der Technik.
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Das Symbol ist eben auch Teil der neuen Strategie: Man inszeniert den Kampf gegen die kriminellen arabischen Clans. Auch, um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu erhöhen. Weil die Clans besonders aggressiv und offensiv auftreten, fühlen sich viele im Essener Norden nicht mehr sicher – obwohl Essen eine der sichersten Großstädte Deutschlands ist.
Razzia in Shishabar: Polizistin zusammengetreten
Abseits des Rampenlichts haben die Aktionen der Polizei aber auch eine andere Konsequenz: Die Clanmitglieder werden immer aggressiver gegenüber Polizisten. Als hätte man in ein Wespennest gestochen.
Dramatischer Höhepunkt: Bei einer Polizeiaktion in einer Shishabar am Kopstadtplatz wurde eine Polizistin regelrecht zusammengetreten. In jüngster Zeit werden Beamte ganz gezielt bedroht – auf gleichermaßen subtile wie perfide Weise. „Da stehen dann plötzlich drei Leute vor Ihrer Haustür und sagen: ‚Schönen Feierabend. Hoffentlich bleibst du gesund.‘ Das ist dann nicht besonders angenehm, auch gerade für jüngere Kolleginnen und Kollegen“, sagt Polizeipräsident Frank Richter.
Kampf gegen Clans: „Werden das Problem austrocknen“
Man habe ein Konzept für den Schutz der Kollegen entwickelt, Einschüchterungsversuche werde man nicht akzeptieren.
Frank Richter betont: Auch abseits der medienwirksamen Großrazzien sorgten seine Leute Tag für Tag für mehr Sicherheit in Essen. „Am Anfang haben die Clanmitglieder vielleicht gedacht: Ach, die machen jetzt ein halbes Jahr Kino und dann lassen die uns in Ruhe. Aber wir werden das Problem austrocknen.“
Es ist eine Kampfansage.
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Woher kommen die Clans?
- Wenn die Rede von kriminellen Araber-Clans ist, sind meist Mitglieder von Großfamilien mit türkisch-arabischen Wurzeln gemeint. In Deutschland gehören nach Schätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) rund 200.000 Menschen zu solchen Großfamilien.
- Die meisten von ihnen sind nicht kriminell. Manche aber haben sich zu mafiösen Gruppierungen zusammengeschlossen, nutzen familiäre Strukturen für kriminelle Geschäfte.
- Sie leben häufig in einer abgeschottenen Parallelwelt, erkennen staatliche Strukturen nicht an. Straftaten werden zu internen Probleme erklärt, die innerhalb der Familien von sogenannten Friedensrichtern geregelt werden.
- Die meisten haben eine türkische (15 Prozent) oder libanesische (31 Prozent) Staatsangehörigkeit, 36 Prozent haben eine deutsche Staatsangehörigkeit, fünf Prozent sind staatenlos.
- Ausweisungen von Intensivtätern sind entsprechend schwierig
- In NRW beobachtet das LKA etwa 100 Clans
Mhallami kamen aus der Türkei
- Das wesentlichste Kriterium der Zugehörigkeit des Einzelnen zum Clan ist die tatsächliche familiäre Verwandtschaft. Viele stammen ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, dem Irak oder der Türkei. Vor allem im Ruhrgebiet wird häufig von Libanesen-Clans gesprochen. Gemeint sind dann kriminelle Mitglieder von Familien, die ursprünglich aus der Türkei und aus Syrien stammen. Sie gehören zu den sogenannten Mhallami, einer arabischstämmigen Volksgruppe.
- Viele von ihnen wurden nach dem Ersten Weltkrieg aus der Türkei vertrieben und siedelten sich im Libanon an – oft fehlten ihnen die Mittel für Pässe und eine Einbürgerung. Hier lebten viele der Familien am Rand der Gesellschaft Als dort Bürgerkrieg ausbrach (1975 bis 1990), flohen viele der Familien nach Deutschland.
- Viele haben in ihrer Fluchtbiographie gelernt, sich auf sich selbst und den Familienclan zu verlassen, wenn es ums Überleben geht. Diese Einstellung haben sie gewissermaßen importiert.
- Die Polizei steht bei Ermittlungen gegen kriminelle Mitglieder der Clans vor einer besonderen Herausforderung: Verdeckte Ermittler kann sie nur schwer einsetzen. Denn bei den Clans kann nur mitmischen, wer wirklich zur Familie gehört – und Familie ist wörtlich gemeint. Von außen kommt niemand rein.
Clans in NRW: Viele Familienmitglieder haben nur einen Duldungsstatus
- Sie kamen über Ost-Berlin in den Westen, beantragten Asyl und wurden auf verschiedene Bundesländern verteilt – vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen. Hier gab es einen Abschiebestopp, sie erhielten als Staatenlose direkt eine Duldung und blieben im Land. Bei nicht wenigen blieb der Duldungsstatus bestehen, über Generationen.
- Menschen mit Duldungstatus haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer: Eine selbständige Tätigkeit ist ihnen untersagt, eine Beschäftigung als Arbeitnehmer ist nur auf Antrag und nach Zustimmung durch die Ausländerbehörde möglich. Manche Experten sehen hierin eine mögliche Ursache dafür, dass sich aus der Perspektivlosigkeit heraus kriminelle Netzwerke innerhalb der Familien gebildet haben.