Bochum.
Wenn ein junger Mensch stirbt, fragt man sich unweigerlich: Was wäre wohl aus ihm geworden? Was hätte er erreichen können? Hätte er vielleicht die Welt verändert?
Christopher W. hätte sicher noch vielen Menschen geholfen und viele Menschen zum Lachen gebracht – wenn Marcel Heße ihn nicht am 7. März mit zahlreichen Messerstichen getötet hätte. Nur 22 Jahre alt ist Christopher geworden.
Christopher kochte für einen Obdachlosen
Eine „kostbare Seele“ sei er gewesen – das hatte sein bester Freund Manuel vor einigen Tagen vor Gericht gesagt. Am Dienstag sitzt Christophers Mutter Michaela W. im Zeugenstand. Sie spricht leise. Wenn die Tränen kommen, muss sie sich unterbrechen. Es muss unendlich hart sein, über ihren toten Sohn zu sprechen – vor ihr die Richterbank, links der mutmaßliche Mörder ihres Sohnes, hinter ihr Dutzende Zuschauer. Dass sie dennoch tapfer durchhält, dafür gebührt ihr größter Respekt.
Behutsam stellt das Gericht ihr Fragen, auf allzu quälende Nachfragen verzichten die Beteiligten. Als sie erzählen soll, was für ein Mensch ihr Sohn gewesen sei, fällt ihr diese Anekdote ein: „Einmal hat Christopher einem Obdachlosen etwas zu Essen gekocht. Ein richtiges Menü. Das hat er ihm auf einem kleinen Tischtuch serviert.“
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Er habe das Wohl anderer immer vor sein eigenes gestellt. Auch deshalb habe er viele Freunde gehabt. „Wir hatten eine sehr besondere Beziehung, wegen seiner Behinderung“, erzählt Michaela W. und muss weinen.
„Er hatte einen anderen Blick auf die Welt“
Christopher hatte das Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Woran sich das bemerkbar gemacht habe, fragt Richter Stefan Culemann. „Er hatte einen anderen Blick auf die Welt als wir Normalos“, erzählt W.
Er habe in allen Menschen nur das Gute gesehen. Christopher, der breitgebaute 1,85-Meter-Mann, hatte Angst, anderen wehzutun. „Oft kam er als Kind weinend hochgelaufen und hat gesagt: ‚Die haben mich wieder verprügelt‘. Ich hab gesagt, dass er sich wehren soll, aber das wollte er nicht.“
„Er sollte lernen, sein Leben zu leben“
Bis 2014 hat Michaela W. gemeinsam mit ihrem Sohn in der Wohnung an der Sedanstraße gewohnt. „Ich bin dann zu meinem Lebensgefährten gezogen, weil ich fand, dass Christopher jetzt lernen muss, sein Leben zu leben. Er wollte ja auch unbedingt eine eigene Wohnung“, sagt die 50-Jährige.
Der 22-Jährige hatte noch viel vor im Leben, wollte sein Fachabi machen und Fremdsprachen studieren.
Fast täglich telefonierte Michaela W. mit ihrem Sohn oder hatte via Whatsapp Kontakt mit ihm. „Ich habe eigentlich immer dieselbe Frage gestellt: Ist alles gut, mein Kind?“.
Nur dieses eine Mal schrieb sie etwas anderes. Michaela W. kann es kaum aussprechen, die Stimme bricht ihr weg: „Christopher hatte sich ungewöhnlich lange nicht gemeldet, und da hab ich geschrieben: ‚Lebst du noch?’“. Das war am 9. März: Christopher war da bereits seit zwei Tagen tot.
„Was soll ich noch über mein Kind sagen? Er hat ja sogar den Täter noch um Entschuldigung gebeten, während er umgebracht wurde“, sagt Michaela W schluchzend.
Im Zuschauerraum fangen manche nun an zu weinen. Nur Marcel Heße verzieht wie immer keine Miene.