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Von der „Platte“ am Essener Hauptbahnhof zurück ins Leben

Von der „Platte“ am Essener Hauptbahnhof zurück ins Leben

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Foto: FUNKE Foto Services
Job futsch, Ehe kaputt, jäh abgestürzt. Ulli Heidelbach (49) war monatelang obdachlos und erlebt ein kleines Wunder: Er hat wieder eine eigene Wohnung.

Essen. 

Das Kerzenlicht flackert im Halbdunkel und es ist gemütlich warm. Ulli Heidelbach könnte sich jetzt eigentlich entspannt zurücklehnen. Doch seine flackernden Augen verraten, wie aufgeregt er in Wirklichkeit ist. Aufgeregt vor Freude. Fast wie ein kleiner Junge, dem sie gerade das erste Fahrrad geschenkt haben. „Unfassbar, endlich wieder eine eigene Wohnung“, sagt der 49-Jährige, über den diese Zeitung kurz vor Weihnachten schon einmal berichtet hat.

„Der Engel und der Penner“ lautet damals die Schlagzeile, die von einer herzerwärmenden Begebenheit in frostiger Zeit handelt. Vor allem auch von Kristina Malters, einer attraktiven Blondine, die gerne schicke Designer-Kleidung trägt und ein Herz für die Schwächsten in dieser Stadt hat: für die Obdachlosen vom Hauptbahnhof. Als die Vorstandsassistentin im Dezember voller Entsetzen bemerkt, wie Ulli Heidelbach, der Penner von der Platte, an einer tückischen Blutvergiftung leidet, bringt sie ihn, quasi um fünf vor zwölf, ins Kupferdreher St. Josef-Krankenhaus und bewahrt ihn so womöglich vor einer grauenvollen Amputation.

Seit gut vier Wochen hat Ulli Heidelbach eine Wohnung

Nachgelassen hat der „Engel“ seitdem nicht. „Man sollte niemanden abschreiben“, findet sie. Und fügt hinzu: „Jeder hat etwas, das ein anderer braucht.“

Dass Ulli Heidelbach der „Platte“ inzwischen Adieu gesagt hat und seit gut vier Wochen eine schmucke Zwei-Zimmerwohnung in der Koopmannshude in Altenessen-Süd bewohnt, auch dieses Glück hat er seinem Schutzengel zu verdanken. „Ohne sie“, sagt er, „hätte ich das nicht geschafft“.

Brutal abstürzen – das kann selbst im Wohlfahrtsstaat mit seinem soliden sozialen Netz schwindelerregend schnell gehen. Wie im Fall Ulli Heidelbach. Vor zehn Jahren verliert der Holzmechaniker zuerst seinen Job, dann geht die Ehe kaputt. Den Kummer versucht er im Suff zu ertränken und macht alles nur noch schlimmer. Irgendwann – nach Schwarzfahrten, Ladendiebstählen und Hausfriedensbruch – findet er sich zuerst im Knast wieder. Und seit letztem Sommer ganz unten auf der Platte.

17 Wochen Langzeittherapie stehen an

Den Weg zurück ins bürgerliche Leben zu strampeln, das ist für die Gescheiterten und Gestürzten fast genauso kraftraubend, wie wenn ein Bergsteiger einen Alpengipfel erklimmen will. Selbst nach der wundersamen Rettung im Kupferdreher Hospital droht Ulli zwischenzeitlich wieder jäh abzustürzen. Denn kaum entlassen hockt er nachts schon wieder sturzbetrunken mit seinen Kumpels auf dem wärmenden Lüftungsschacht. Und heute? Befindet sich Ulli Heidelbach offenbar auf dem bestem Weg, wieder aufzustehen. Derselbe, der an normalen Penner-Tagen mühelos 15 Pullen Billigbier und tetrapackweise Weißwein in sich hineinschüttet, hat im März im Kamillushaus eine qualifizierte Entgiftung hinter und nun 17 Wochen Langzeittherapie vor sich. „Mir geht’s gut und ich will das unbedingt durchziehen, habe sogar ein Job-Angebot“, sagt der Altenessener stolz.

Experten in der Essener „Suchthilfe direkt“ wissen, wie wichtig es ist, ihren Klienten zu einer festen Tagesstruktur und neuer Motivation zu verhelfen. Das Erfreuliche im Fall Ulli Heidelbach: Er packt selbst mit an, erledigt Behördengänge zum Meldeamt und füllt artig das 15 Seiten umfassende Antragsformular für die stationäre Therapie aus. Überhaupt gilt es noch so manchen Brocken aus dem Weg zu räumen: etwa das Hausverbot in Hauptbahnhof und Dom. Auch neulich im Gerichtssaal, wo sich Ulli Heidelbach für verschiedene Vergehen verantworten muss, weicht Kristina Malters als Zeugin nicht von seiner Seite. Mit Erfolg: Der Richter bleibt am unteren Limit, erkennt seine positive Entwicklung und will ihm keine Steine in den Weg legen.

Kristina und Ulli – die beiden (er-)leben eine ungewöhnliche Freundschaft. „Hol mich hier raus“, hatte er sie auf der Platte angefleht. Immer wieder lehnt „der Große“, wie sie ihn nennt, seinen Kopf gegen ihre Schulter. Es sind anrührende Momente voller Zärtlichkeit. Läuft da mehr? „Es ist nur freundschaftlich“, sagt sie.