Was die Trinker am Essener Bahnhof zum Umzug sagen
Blitzumfrage auf dem Willy-Brandt-Platz: Alternativstandort wird durchweg abgelehnt
Seit zwei Wochen zeigen Ordnungskräfte Präsenz vor Ort
Ordnungsdezernent Kromberg: „Wir drücken kein Auge zu.“
Essen.
Der Essener Stadtrat hat Christian Kromberg einen klaren Auftrag erteilt: Der Ordnungsdezernent soll die ungeliebte Trinkerszene vom Willy-Brandt-Platz dazu bewegen, ein paar Hundert Meter weiter zur Hollestraße umzuziehen. Seit dem 15. Februar zeigt die Ordnungsbehörde an einem der belebtesten Plätze der Stadt, der zugleich Entrée zur Einkaufsstadt ist, deshalb massiv Präsenz. Nur: Ein Umzug der Szene deutet sich nicht an.
„Ich habe mir das angesehen, das geht gar nicht“
Es ist Dienstagmittag kurz nach eins. Kay, einst Bergmann auf der Dinslakener Zeche Lohberg, steht schon seit gut zwei Stunden auf dem schmalen Rost am Aufzug. Mollig warme Abluft steigt durch das Gitter auf – ein angenehmer Effekt angesichts der klirrenden Kälte an diesem ersten Märztag. „Wir sind alle im Drogenersatzprogramm“, sagt der 47-Jährige und nimmt einen kräftigen Schluck Köpi aus der Halbliterflasche. „Es ist meine zweite.“
Auf der Platte herrscht ein ständiges Kommen und Gehen – mal halten sich dort eine Handvoll Leute auf, dann ein Dutzend, manchmal viel mehr. „Gestern waren wir sogar 15 bis 20“, ergänzt Sergei (40), ein Spätaussiedler aus Kasachstan, und fügt hinzu: „Wir wollen niemanden ärgern, sondern nur soziale Kontakte pflegen, miteinander quatschen.“ Wenn’s regnet, geht’s vom Willy-Brandt-Platz zum riesigen Vordach des Hauptbahnhofs.
Die Blitzumfrage in der Szene ist nicht repräsentativ, aber der Trend eindeutig. Keiner der Befragten denkt daran, dem Willy-Brandt-Platz den Rücken zu kehren und zur Hollestraße umzuziehen. „Den anderen Platz kenne ich gar nicht“, wirft Kay ein. Auch Daniel (33) aus Frohnhausen streckt den Daumen nach unten: „Ich habe mir das angesehen, das geht gar nicht.“
Polizei und Ordnungsamt zeigen Präsenz
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Keine Erfolgsgarantie
Hätte sich der Rat vor Monaten für ein Alkoholverbot auf dem Willy-Brandt-Platz ausgesprochen, hätte Christian Kromberg jetzt ganz klar bessere Karten im zähen Ringen mit der Trinkerszene.
Doch nun ergeht es dem Ordnungsdezernten wie einem Autofahrer, der mit angezogener Handbremse Gas geben will: Es will einfach nicht funktionieren. Was sich seit genau zwei Wochen tagtäglich auf dem Willy-Brandt-Platz abspielt, trägt deshalb fast schon theatralische Züge. Da wacht ein Streifenwagen der Stadt, unterstützt von den Beamten der Polizei, tagaus tagein mehrere Stunden lang darüber, dass sich die Szene korrekt verhält.
Hinter der Null-Toleranz-Strategie steckt die Absicht, die Szene zu zermürben. Eine aufwändige Variante, die auch sozial flankiert wird. Und das zu recht. Denn so schrecklich das Bild ist, das die Szene, die in Wirklichkeit mehr Junkie- als Trinkerszene ist, bisweilen abgibt: Es handelt sich um Menschen, zumeist um Gestrauchelte, und nicht um Abschaum.
Mag sein, dass das Kalkül der Stadt eines nicht allzu fernen Tages aufgeht und die ungeliebte Szene entnervt Leine zieht. Eine Erfolgsgarantie gibt’s dafür aber nicht. Denn wer sich unter den Augen des Gesetzes anständig benimmt, darf bleiben – auch mit einer Pulle Bier an der Lippe.
Gerd Niewerth
Die Stadt hat an der Hollestraße – auf halber Strecke zwischen Hauptbahnhof und Ibis-Hotel – ein Edelstahl-Pissoir aufstellen lassen. „Das ist für Männer, aber wo sollen die Frauen hin?“, fragt Daniel. Die Szenerie am Willy-Brandt-Platz wirkt auf den ersten Blick angespannt. Denn genau vor den Zechern hat sich ein Streifenwagen des Ordnungsamtes postiert, später rollt direkt daneben auch ein Streifenwagen der Polizei vor.
Die demonstrative Präsenz der Ordnungskräfte ist Teil des Operationsplanes von Ordnungsdezernent Christian Kromberg. „Die städtische Streife ist jetzt jeden Tag fünf bis sechs Stunden vor Ort“, sagt er, „wir drücken kein Auge zu“. Die doppelt besetzte Streife habe darüber zu wachen, dass sich die Szene an die ordnungsrechtlichen Vorgaben hält. Soll heißen: Zigarettenkippen und Kronkorken dürfen nicht auf den Boden geworfen und Bierflaschen nicht stehen gelassen werden. Erst recht untersagt ist die Benutzung des „Open-Air-Klos“ vor dem Handelshof. Verstöße werden wie eine Ordnungswidrigkeit behandelt. „Ich habe schon 35 Euro an Strafen bezahlt“, sagt die Borbeckerin Nico (40). Neue Leute treffen ein, und Kay kündigt seinen Abschied für heute an. „Ich werde meiner Frau zuhause gleich einen leckeren Kaffee kochen.“