Bei der Familienschicht auf Zeche Zollverein gibt es allerhand Bergmanns-Atmosphäre zu bestaunen. Auch das sogenannte „Arschleder“ wird vorgestellt.
Essen.
Es heißt, im Bergbau werde eine klare und ungeschönte Sprache gesprochen. So gesehen handelt Sarah Krasa völlig richtig, als sie auf eines der Exponate auf Zeche Zollverein zeigt und unverblümt ruft: „Das ist ein Arschleder.“ Mit so einer unverblümten Antwort hatte Museumsmitarbeiterin Alrun Jahn offensichtlich nicht gerechnet. Einen kurzen Moment schaut sie zu Opa Alfred Krasa, dann zu Mutter Annika Krasa und wieder zu der Sechsjährigen, am Ende lachen die Erwachsenen und wandern passenderweise zur Bergmannstoilette. „Der Opa hat uns viel erzählt“, berichtet Sarah stolz, während sie den leicht verbeulten Blecheimer untersucht und ihren Kopf darüber beugt.
Das viel zu lange Bergmannshemd, das das Mädchen während der „Familienschicht“ trägt, reicht bis über die Knie. Beim Laufen muss sie aufpassen, dass sie nicht darüber stolpert. Dazu kommen die vielen kleinen Stufen im ehemaligen Bergwerk, die schwache Beleuchtung und die vielen Schienen, die sich fast über das gesamte Areal erstrecken. Auch mit dem Helm wollte es anfangs nicht so richtig klappen. Ihr 13-jähriger Bruder Dominik musste beim Anziehen in der Kinderkaue helfen. Er selbst hat sich nur eine Jacke übergestreift. Mit Bergmanns-Romantik ist man bei ihm wohl an der falschen Adresse. Mit seinem Smartphone knipst er lieber die alte elektrische Anlage und den dicken Pressluftbohrer. „Das ist hier nicht so mein Ding“, urteilt Dominik über die Arbeit unter Tage. „Ich interessiere mich eher fürs Internet.“
Schwerhörig nach ein paar Jahren Arbeit
Alrun Jahn führt bereits seit vielen Jahren durch Museen. Architektur und Technik sind ihre Steckenpferde. In ihrer dunklen Umhängetasche trägt sie allerlei Gegenstände mit sich herum, die den Besuchern die Arbeit auf Zollverein näher bringen sollen. Mal holt sie Fotografien hervor, die in die richtige Reihenfolge gebracht werden sollen.
Dann greift sie zu einem Schallpegelmessgerät und hält es der Besuchergruppe unter die Nase. „Rufen sie alle mal so laut sie können ,Glück auf’“, sagt sie. Kurz darauf ertönt ein lauter Schrei, der in den riesigen Werkshallen noch einen Moment nachhallt. „Das waren nur 83 Dezibel“, erklärt sie wenig beeindruckt. Zweiter Versuch. „Nur 85“. Dritter Versuch. 97 Dezibel liest Jahn von ihrem Messgerät ab. „In dieser Halle wurden früher 118 Dezibel erreicht. Das ist so laut wie eine Trillerpfeife in einem Meter Entfernung. Die meisten Arbeiter waren nach ein paar Jahren schwerhörig.“ Sarah und Dominik machen große Augen.
Kohleöfen und Erbsensuppe
Um die Besucher gleich von Anfang an auf ihre Seite zu ziehen, hat die Kunsthistorikerin zu Beginn der Tour über das Gedinge, also über die Entlohnung verhandelt. Für jede richtige Antwort verspricht sie ein Stückchen Kohle, dass später gegen eine mit Fruchtgummi gefüllte Lohntüte getauscht werden soll. Familie Krasa unterschrieb daher schnell eine entsprechende Vereinbarung und kreuzte an, „viel“ Gestein fördern zu wollen. Bei den meisten Fragen ist man sich einig. „Nimmt ein Bergmann eine Wasserflasche mit unter Tage?“, will Jahn von den vier Gästen wissen. „Nein, weil das Glas kaputt gehen kann“, schießt es aus Sarah heraus.
Allerdings gibt es auch Momente, in denen die Unterschiede zwischen den drei anwesenden Generationen deutlich werden. „Das ist hier der Mutterklotz“, berichtet die Museumsmitarbeiterin. „Wofür ist der denn da?“ Es entsteht eine Pause. Im Hintergrund ist ganz leise Steiger Peter Thiemann zu hören, der einer anderen Gruppe etwas über Kohleöfen und Erbsensuppe erzählt. Alle hören gespannt zu, dann ergreift Alfred Krasa, der Opa, das Wort: „Mein alter Herr hat sowas früher auch heimlich mitgebracht. Alle paar Tage brauchte meine Mutter so einen Klotz, um das Feuer anzuheizen.“ Dann schaut er Sarah an und erklärt. „Sonst gab es nichts Warmes zu essen.“
Den Kohlestaub im Gesicht
32 Jahre lang hat „Opa Alfred“ in einem Gefängnis gearbeitet. „Auch kein einfacher Job“ sagt er heute. Bergmann wollte der gelernte Kfz-Mechaniker nie werden. Zu negativ waren die Geschichten, die sein Vater damals in der Zechensiedlung in Bottrop-Boy erzählte. „Ich weiß aber schon, was ich werden will“, ruft Sarah strahlend. „Polizistin.“ Die Kinder klettern durch einen nachgebauten Bergstollen, stemmen den zwölf Kilogramm schweren Bohrer und ziehen sich gegenseitig Schienbeinschoner an. Damit es echt aussieht, reiben sich die Kinder das Gesicht mit Kohlestaub ein.
Zwölf Gesteinsstückchen haben die Krasas am Ende der rund zweistündigen Tour erspielt. „Du zählst falsch“, sagt Sarah zu Museumspädagogin Alrun Jahn, die in ihrer Kiste insgesamt 15 Steinchen aufbewahrt. Die klare und ungeschönte Kritik an den Regeln der Erwachsenen ist angekommen. „Also gut, dann sind es 15 Punkte“, lautet ihre Antwort. Dann überreicht sie die braunen Lohntüten. Bergleute wollen eben bezahlt werden.