Schiebt die Arbeitsverwaltung ältere Arbeitslose allzu schnell auf Abstellgleis? Mit Blick auf das Ruhrgebiet beklagt die Caritas, dass die Ü50-Generation zu wenig Arbeitsmarktförderung erhält. Mülheim sei da jedoch eine positive Ausnahme.
Mülheim.
Mit der Veröffentlichung des aktuellen „Arbeitslosenreports NRW“ der Wohlfahrtsverbände schlug die Caritas im Ruhrbistum dieser Tage Alarm: Nicht nur kritisierte die Organisation die „geschönte Arbeitslosenstatistik“, aus der ruhrgebietsweit gut 12.000 ältere Arbeitslose herausgerechnet würden. „Skandalös“ sei, dass ältere Hartz-IV-Empfänger kaum gefördert würden. Die WAZ hakte für Mülheim nach – und die Caritas revidierte ihr Pauschalurteil: „Mülheim“, hieß es, „bildet, wie immer, eine Ausnahme. . .“
In den Städten und Kreisen des Ruhrbistums, so die Caritas, waren im März dieses Jahres 53 755 Langzeitleistungsbezieher über 50 registriert. „Nur jeder 20. erwerbsfähige Leistungsberechtigte über 50 Jahre im Ruhrgebiet erhält im Schnitt die Möglichkeit, an einer arbeitsfördernden Maßnahme teilzunehmen“, kritisierte Caritas-Direktor Andreas Meiwes. „Die in unzähligen Sonntagsreden hoch geschätzte berufliche Kompetenz und Erfahrung gerade bei älteren erwerbsfähigen Arbeitslosen wird durch die Ergebnisse des Arbeitslosenreports ad absurdum geführt.“
Jeder Dritte über 50 ist ohne Job
Tatsächlich hat die Generation Ü 50 auch in Mülheim einen hohen Anteil an den Arbeitslosen. Von den 8771 Mülheimern, die Ende Juni ohne regulären Job am ersten Arbeitsmarkt dastanden, waren 2959 älter als 50 Jahre alt, sprich: jeder Dritte.
3,57 Prozent – das ist die Steigerungsrate für die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Mülheim im Betrachtungszeitraum März 2013 bis März 2014 (NRW-Schnitt: 1,16 %). Demnach registriert der Arbeitslosenreport für März 2014 in der Ruhrstadt 2785 erwerbsfähige Frauen und Männer, die schon länger als ein Jahr ohne Job waren.
15 Prozent betrug im August die so genannte SGB II-Hilfequote in Mülheim, ein Plus von 0,6 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Die Quote misst den Anteil der Hartz-IV-Empfänger an der Mülheimer Wohnbevölkerung unter 65 Jahren. Heißt: Mehr als jeder siebte Mülheimer unter 65 ist angewiesen auf staatliche Grundsicherung des Lebensunterhalts.
17 882 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Alter von 50 bis 65 Jahren waren Ende März in Mülheim registriert. Das waren 31,3 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Stadt. Diese Quote liegt nur knapp unter dem Anteil der Altersgruppe an den Mülheimern ohne regulären Job am ersten Arbeitsmarkt (33,7 %).
Dass die Arbeits- beziehungsweise die Sozialagentur in Mülheim aber wenig für die Reintegration der älteren Arbeitslosen in die Arbeitswelt unternimmt, findet nicht in der Statistik seinen Ausdruck. So kann die Caritas ihr pauschales Urteil zur Vernachlässigung der Ü50-Generation mit Blick auf Mülheim nicht halten. Beispiel Aktivierungsquote im Bereich der Mülheimer Sozialagentur. Sie misst den Anteil derjenigen unter den erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen, die von der Agentur mit einer arbeitsmarktpolitischen Förderung bedacht werden. Die Quote lag im April 2014 in Mülheim bei überdurchschnittlichen 8,5 % (NRW: 5,9 %).
Heike Gnilka, Bereichsleiterin im Fallmanagement der Sozialagentur, weist von sich, nichts für ältere Arbeitslose zu tun. Seit 2009 habe die Agentur extra ein Ü50-Team eingerichtet; über den Job-Club (Programm „Best Ager“) werde über das Jahr verteilt rund ein Drittel aller älteren Arbeitslosen mit speziellen Qualifizierungen und Trainings versorgt – vom Bewerbungstraining bis zu PC-, Englisch- oder Gesundheitskursen (Stressbewältigung, Rückenschule).
Keine Chance in den Betrieben
Verdi-Chefin Henrike Greven stellt auch keine Inaktivität der Arbeitsverwaltungen fest. Das Problem der älteren Arbeitslosen sei ein anderes: „Sie bekommen keine Chance in den Betrieben. Da frage ich mich manchmal, ob wir tatsächlich den beklagten Fachkräftemangel haben, wenn die Leute mit langjährigen Berufserfahrungen doch keine Chance erhalten.“
Das sieht auch Rainer Hanisch vom Mülheimer Arbeitslosenzentrum so. „Die Sozialagentur ist verstärkt bemüht um die Leute, hat aber keine Stellen für sie.“ Für Hanisch ist die hohe Arbeitslosigkeit von Älteren ein gesellschaftliches Problem: „Ich mache den Job hier seit 15 Jahren. Früher hat sich bei den Arbeitgebern bei 50-jährigen Bewerbern die Nase gekräust, heute schon bei 40-jährigen.“