Im Centro steht ein Hofbräuhaus. Zumindest wenn die Arena zur Wiesn bittet. Trachten und Schmachten: 4000 huldigen beim Oktoberfest der Gemütlichkeit.
Oberhausen.
Sie knarzen, wackeln, aber bleiben standhaft: Am Freitag und Samstag müssen partyübliche Sitzbänke in der König-Pilsener-Arena eine außergewöhnliche Belastungsprobe über sich ergehen lassen. Beim Oktoberfest werden sie mit Füßen getreten, auf ihnen wird herumgehüft, von einer Tischseite rücken Feierwütige sie zur nächsten. Verrückt! Die Bierzeltgarnitur, das viel belastete Wesen.
Wer denkt, dass die Rituale aus den bayrischen Bierzelten bei der Überlieferung irgendwo zwischen Isar und Rhein-Herne-Kanal versickert sind, der ist falsch gewickelt. Ruhrgebiets-Madel mit geflochtenen Zöpfen und hochgesteckten Frisuren setzen sich schon am frühen Abend wie beim Bobfahren aufgereiht hintereinander und rudern mit den Armen vor und zurück, als wäre Kardio-Happy-Hour im Fitnessstudio. „Achim Reichel“, denkt, wer sich noch an die heimische Plattensammlung erinnern kann. Alle anderen stimmen längst ein lautes „Aloha Hejaaaaa He“ — und rudern erst mal.
Nautisch normal. Das Oktoberfest ist längst nicht nur für Bayern, in Bayern, über Bayern, sondern ein Feier-Export, der den Traditionalisten im Süden wahrscheinlich den Schnurrbart erstarren lassen würde. Die Tracht kauft man hier im Supermarkt, die Tischdecke ist aus Plastik und in den Krügen landet, joar Herr-Schoafts-Zoiten, auch noch ein eigentümliches Gebräu aus Duisburg-Beeck.
Ungereimtheiten weggesungen
Ist das noch Oktoberfest? Die meisten Gäste unter den rund 2000 Teilzeit-Bajuwaren pro Abend haben jedenfalls eine eindeutige Meinung. „Die Stimmung ist super. Die Leute nett, und meine Tracht möchte ich nicht nur einmal im Jahr anziehen“, sagt Katja Beck (30), die ihre karierte Bluse eigentlich für den Karneval gekauft hat.
Kleinere Ungereimtheiten werden hier weggesungen. „Völlig losgelöst, von der Erde“, schallt es von einer Lederhosen-Combo herüber. Die Burschn stehen längst wieder auf den Tischbänken, diese wackeln schon seit vier Schunkelliedern bedenklich. Aber sie lassen sich nicht reinreden. Mir san mir!
Die Maß kostet 9,50 Euro
Eine Maß Weißbier kostet 9,50 Euro. Der Schweinebraten ebenfalls. Das Hendl 7,50 Euro. Vorne auf der Bühne spielt die Münchner Zwietracht „a la Card“ ihr Wiesnprogramm. Normalerweise tritt die Kapelle im Marstall-Zelt auf, geht aber nach den Wiesn auf Tournee, seit das Oktoberfest nicht nur ein Volksfest, sondern ein exportfähiges Produkt geworden ist.
Ihre Musik wird sowieso überall verstanden. DJ Ötzi, Höhner, AC/DC, Guns N‘ Roses. „Welcome to the jungle“, willkommen im Dschungel der zünftigen Melange, irgendwo zwischen Brauchtum, Rocker-Lederjacke und Discokugel.
An den Tischen haben sich längst Madel und Buarn zum Tratschen gemischt. Verliebte Blicke wandern zu Nachbargarnituren. Trachten und Schmachten. Manche einer nimmt schon Maß. Und sollte das Liebesspiel einmal nicht funktionieren, bleibt ja immer noch das abledern. „Paaaah! Karomuster machen doch eh dick!“ Ein Prosit der Gemütlichkeit.