Dortmund.
Der Dortmunder Oliver Sassen stellt in stundenlanger Arbeit Maßschuhe her. Ein Handwerk, das beinahe ausgestorben ist.
Der Geruch von Leder und Klebstoff liegt in der Luft. Vor einem Regal stapeln sich Kuhhäute. Die Werkbank, auf der Messer, Scheren, Hammer und Holznägel liegen, sieht antiquiert aus. 1948 wurden in dieser Stube die ersten Schuhe repariert – und seitdem, sagt der heutige Geschäftsinhaber Oliver Sassen, habe sich kaum etwas verändert. „Wir arbeiten, wie man auch vor 50 Jahren gearbeitet hat“, erzählt er.
Die Werkstatt im Dortmunder Kreuzviertel wirkt wie das Gegenmodell zu einer Wirtschaft, die geprägt ist von ebenso abstrakten wie globalen Finanzspekulationen und milliardenschweren Rettungspaketen. Was das Tagewerk von Oliver Sassen ist, kann man riechen, sehen und anfassen. Immerhin gibt es mittlerweile sechs Steckdosen im Arbeitsraum – als Sassen den Betrieb übernahm, waren es noch zwei.
Sassen hat sein Handwerk vom Vater gelernt. Er ist im elterlichen Geschäft groß geworden und bei seinem Vater in die Lehre gegangen. Er hat gelernt, wie man Leder schneidet, Absätze anbringt und Schuhe besohlt.
Es gibt Kunden, die 1500 Euro für ein Paar Schuhe bezahlen
Das Geschäft mit Reparaturen prägt den Alltag des 37-Jährigen. Sassen tauscht für kleines Geld morsche Gummisohlen oder bröckliges Fersenfutter aus. Er arbeitet mit der Schleifmaschine und der Klebpresse, doch besonders wichtig ist Sassen die Werkbank. Hier fertigt er Schuhe nach Maß. Bis zu 40 Arbeitsstunden benötige er für ein solches handgenähtes Einzelstück. 15 bis 20 Exemplare verkaufe er pro Jahr. Seine Abnehmer sind Kunden, die bereit sind, 1500 Euro für ein paar Schuhe zu zahlen. „Das ist Business-Klasse“, sagt der Schuhmacher. „Wer einen Phaeton fährt, muss eben nicht mehr aufs Kleingeld achten.“
Sassen, der gemeinsam mit seinem Gesellen Nori Bilal auch kleine Reparaturen für fünf oder sieben Euro erledigt, weiß, dass seine Maßschuhe Luxus sind, den sich nur wenige Menschen leisten können. Allerdings stelle er grundsätzlich fest, dass sich der Blick auf das Handwerk verändert habe. „Das Gefühl dafür, was Arbeit wert ist, haben viele Leute lange schon verloren“, meint Sassen – und sagt wenig später doch: „Gute Arbeit zahlt sich immer noch aus. Egal in welchem Handwerk. Wenn ich gutes Brot backe, kommen die Leute.“
Sassen will keinen Hochglanzbetrieb führen. Seine Werkstatt sei „kein Reinraum“, betont er. Er beschönigt auch nichts, wenn er über die Finanzkrise spricht. Er kenne einige Handwerker, die durch Druck von Banken in die Pleite getrieben wurden. „Dreimal den Kredit nicht bezahlt, dann schreibt die Bank den Antrag fürs Gericht. Ruck, zuck ist der Ofen aus“, sagt Sassen. „Unter dem Druck leidet die Arbeit. Dann macht man die Arbeit nur noch, um den Kredit abzubezahlen.“
Die Zahl der Schuhmacher in der Region kann man längst an einer Hand abzählen. Durch die Billigangebote großer Schuhketten ist eine Reparatur mittlerweile oft teurer als eine Neuanschaffung. Vorbei sind die Zeiten, in denen viele Menschen nur zwei Paar Schuhe besaßen – eines für Werktage und eines für den Sonntag. „Die Reparaturfreudigkeit der Leute hat abgenommen“, konstatiert Sassen.
Neben dem Betrieb in Dortmund besitzt die Familie Sassen auch ein Geschäft in Schwerte. Vier Beschäftigte zähle das Unternehmen. „Man muss ein bisschen irre sein“, sagt der Schuhmacher über seine Arbeit. „Es muss Idealismus dabei sein.“ Gummiabsätze zum Beispiel gebe es für 35 Cent oder für 3,50 Euro. Er jedenfalls entscheide sich in der Regel für die teurere Variante. „Wenn ich mein Steuerberater wäre, müsste ich sagen: Kauf den anderen.“
Er glaube im Übrigen nicht daran, dass sein Handwerk irgendwann aussterben wird, weil alle Menschen nur noch Billigschuhe kaufen. „Schuhmacher wird es immer geben“, vermutet Sassen. Er rüstet sich für die Zukunft. Ein wachsendes Geschäftsfeld sind Aufträge von Kunden, die ihre Schuhe per Post zur Reparatur schicken. Sassens Werkstatt mag zwar aussehen wie im Jahr 1948 – seine Internetseite aber wurde vor wenigen Tagen renoviert.