Autobahnnetz im Ruhrgebiet ist besser als sein Ruf
Das Straßennetz im Großraum Ruhrgebiet ist mit über 600 Autobahnkilometern einzigartig in Europa und zusammen mit den anderen Verkehrswegen unschlagbar. Daran ändern auch die Pendlerstaus nichts. Eine Analyse.
Essen.
Mit der gefühlten Straßenverkehrslage ist es wie mit dem Wetter. Nie scheint sie gut genug zu sein, immer gibt es was zu meckern. Und ein baldigst drohender Verkehrskollaps gehört zur Folklore in der Dauerdiskussion über die Situation auf unseren Straßen. Aber wie schlimm ist es wirklich um das Verbindungsnetz im Großraum Ruhrgebiet bestellt?
1, 2, 3, 40, 42, 43, 44, 45, 46, 52, 57, 59, 516, 524, 535 – das ist die erschlagende Aufzählung der Nummern aller Bundesautobahnen im Revier. Insgesamt sind es laut RVR im „klassischen“ Ruhrgebiet über 600 Kilometer BAB, plus 715 Kilometer teils autobahnähnlich ausgebauter Bundesstraßen. Nur wenige der fünf Millionen Revierbürger leben mehr als fünf Kilometer weit von einem blauen Auffahrt-Schild entfernt.
Diese Autobahn-Dichte gibt es sonst nirgendwo in Europa, geschweige denn in Deutschland. Am ehesten findet man eine ernstzunehmende Konkurrenz um den Titel Infrastruktur-Meister vor der Haustür, nämlich auf der Rheinschiene zwischen Düsseldorf und Köln. Berliner, Münchener, Hamburger, Stuttgarter und Frankfurter würden ihr rechtes Rad dafür geben, ein nur halbwegs so tragfähiges Straßennetz wie an Ruhr und Rhein nutzen zu können.
Sperrung der A40Das hilft dem Pendler auf der A40 natürlich wenig, der beispielsweise an 200 von 225 Arbeitstagen im Jahr morgens um halb acht vor Essen im quälenden Stop & Go-Verkehr hängt, vorzugsweise an den Stellen, an denen sich die viel zitierte Lebensader des Reviers auf zwei Spuren verengt.
Straßenausbau zieht immer mehr Verkehr an
Allerdings muss die Bemerkung erlaubt sein, dass es nirgendwo ein Straßensystem gibt, das den Pendlerstrom in die Metropolen hinein anstandslos verkraftet. In der Welt-Autohauptstadt Los Angeles reichen die üblichen sechs Spuren in jede Richtung nicht aus, den täglichen Stillstand in der Rushhour zu vermeiden. Im Gegenteil: Es scheint ein Grundgesetz zu sein, dass auch noch so tragfähige Straßen so lange Verkehr anziehen, bis dieser zum Erliegen kommt.
Optimal ist es natürlich nicht, dass die A40 in Essen abschnittsweise als vierspurige Schmalspurautobahn ohne Standstreifen in einem Trog liegt. Und dass sich daran so schnell nichts ändern wird, so lange man nicht Zehntausende von direkten Anwohnern umsiedeln will und kann.
WirtschaftsmagazinDer Grund für den Essener Engpass ist ein historischer: Als der Ruhrschnellweg Mitte der Fünfziger Jahre vierspurig mit Mittelstreifen durch die Stadt gepflügt wurde, Straßen zerriss und Stadtteile voneinander trennte, da gab es auch Widerstand der Menschen, den kurz nach dem Krieg ihr Heim genommen wurde. Da wollte man die Schäden möglichst gering halten. An Pendlerströme im eigenen Auto dachte damals noch niemand, an die spätere Autobahn A430, die zur A40 umbenannt wurde, oder an Lkw-Kolonnen aus dem „Ostblock“ erst recht nicht.
Das A52-Problem ist hausgemacht
Gegen den Anwohner-Willen ließe sich heute kein Ruhrschnellweg mehr durch die Stadt bauen. Selbst ein dringend nötiger Lückenschluss wie zwischen A40 und A52 Richtung Norden ist vor Ort politisch nicht durchsetzbar. Und das Berliner Bundesverkehrsministerium setzt im Verkehrswegeplan ungern so umstrittene Projekte auf höchste Priorität.
Das A52-Problem ist also hausgemacht. Allerdings gibt es keinen belegten Fall, dass deshalb ein Unternehmen seinen Sitz verlagert hätte. Belege für das Funktionieren des Ruhr-Straßennetzes gibt es sehr wohl. Als die A40 für die Renovierung mit Flüsterasphalt in beide Richtungen für mehr als eine Woche gesperrt wurde, blieb das viel beschworene Chaos aus. Die Autofahrer wichen auf eine der vielen Alternativrouten aus. Im Stau landeten nur uninformierte Fernreisende. Die große Bewährungsprobe steht dem Straßenverkehrsnetz im Revier bevor, wenn jetzt im Sommer die A40 mitten in Essen in beide Richtungen für drei Monate gesperrt werden muss.
Letzte Ausfahrt Friedrichstraße vor dem Essener Tunnel heißt es dann für den Teil der täglich 137.000 Einpendler nach Essen, der mit dem Auto von Westen zur Arbeit fährt. Ganz ohne Fluchen dürfte die alternativlose Sanierung nicht abgehen können. An den Vorzügen der Infrastruktur im Ruhrgebiet ändert sich aber nichts. Eher kann man Sorgen haben, dass eine ständige Kritik an der Leistungsfähigkeit des Straßennetzes im Ruhrgebiet den starken Logistik-Standort in seinem Ansehen schwächt, ohne dabei echte Verbesserungen zu erreichen. Wie beim Gemecker über das Wetter eben.