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Betriebsräte fühlen sich von Steilmann-Nachfolgern ausgetrickst

Betriebsräte fühlen sich von Steilmann-Eignern ausgetrickst

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Treffen mit den ehemaligen Betriebsräten der Firma Steilmann in Wattenscheid.Fotos auf dem werksgelände waren aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Immer noch mit Wut im Bauch: Jürgen Bolz, ehemaliger kaufmännischer Mitarbeiter. Foto:Ralf Rottmann / Foto: Ralf Rottmann
Seit Oktober ist die traditionsreiche Modefirma Steilmann endgültig aus Bochum-Wattenscheid verschwunden. Die Betriebsräte erheben schwere Vorwürfe gegen die Geschäftsführung und klagen weiter gegen die Massenkündigung vor dem Arbeitsgericht.

Wattenscheid/Bergkamen. 

„Denen geht es nur um den guten Namen, um das Label Steilmann. Der Rest interessiert die gar nicht,“ empört sich Wolfgang Theisen. Theisen und seine Kollegen Jürgen Bolz und Wolfgang Kelch stehen vor dem alten Werkstor von Steilmann in der Burgstraße im Gewerbegebiet Wattenscheid-West. „Die“, das sind die, die sich Steilmann nennen, obwohl über den Namen hinaus praktisch keine Verbindung mehr zu der traditionsreichen Wattenscheider Modefirma Steilmann besteht: die ehemalige Radici-Gruppe unter Leitung von Michele Puller und Massimo Giazzi, vergangenes Jahr umbenannt in „Steilmann Holding AG“, ist spätestens seit dem 1. Oktober 2011 endgültig aus Wattenscheid verschwunden.

Bolz, Kelch und Theisen erheben schwere Vorwürfe gegen Puller und Giazzi. Die drei sind ehemalige Betriebsräte der Solutions Modelogistik, wie die Wattenscheider Steilmanntochter offiziell heißt. Mit voller Absicht habe das Duo das Wattenscheider Werk in die Insolvenz laufen lassen und die Mitarbeiter so um Lohnzahlungen und Abfindungen gebracht.

Abfindungssumme von 500.000 Euro angeboten

„Die wollten uns einfach billig loswerden“, vermutet Jürgen Bolz. Im Februar kaufte die Steilmann Holding die zwischenzeitlich an ein anderes Unternehmen ausgegliederte Wattenscheider Logistikfirma zurück – und verkündete umgehend die Schließung. Der Dienstleistungsvertrag, der bis 2015 datiert war, wurde einfach an ein anderes Logistikunternehmen vergeben, an Motex im thüringischen Hörselgau.

In den Verhandlungen mit dem Betriebsrat bot die Geschäftsführung eine Abfindungssumme von 500.000 Euro für die 74 Mitarbeiter an – für den Betriebsrat „auf keinen Fall annehmbar“, empört sich Theisen. „Die Verhandlungen darüber wurden von der Geschäftsführung verzögert, teilweise lag über ein Monat Zeit zwischen zwei Verhandlungsterminen.“ Da eine Einigung nicht möglich gewesen sei, wurde eine Einigungsstelle eingerichtet.

Deren Vorsitzender stellte den Angestellten eine weitaus angenehmere Lösung in Aussicht: „75 Prozent eines Bruttomonatsgehalts mal die Anzahl der Betriebsjahre sollte laut Einigungsstelle an jeden Beschäftigten als Abfindung fließen“, erinnert sich der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Theisen. Das habe sich kurz vor Ende der Verhandlungen abgezeichnet – bis die Steilmann Holding mit einem Paukenschlag die Einigungsstelle überflüssig machte: Am 16. Juli 2012, drei Tage vor der Verkündung des Einigungsspruches, gab die Steilmann Holding bekannt, dass man die Wattenscheider Tochter verkauft habe. Käufer: eine Essener Investmentfirma. Kaufpreis: Ein einziger, symbolischer Euro.

Insolvenz im Oktober

Am 30. September lief der Mietvertrag des Werkes (die Immobilie gehört der Familie Steilmann) aus, am nächsten Arbeitstag standen Theisen und der Rest der Belegschaft vor einem verschlossenen Werkstor. Nicht einmal zwei Wochen später, am 14. Oktober, wurde Insolvenz angemeldet.

Da in der Insolvenzmasse kein Geld war, erhalten alle rund 65 Mitarbeiter seit der Insolvenz Arbeitslosengeld – nicht einmal für die Zahlung von Insolvenzgeld soll Kapital vorhanden gewesen sein. Dabei präsentiert sich die heutige Steilmann-Holding als Unternehmen auf Expansionskurs. Die Ausnahme, so die Betriebsräte, seien einige wenige Führungskräfte, die abgeworben wurden – von Motex. Das ist jene Firma, die seit Februar die Logistik für Steilmann übernommen hat. Motex-Geschäftsführer Markus Alexander Buckow verwehrt sich dagegen, man habe niemanden abgeworben: „Die bei uns beschäftigten Personen haben sich beworben und wurden eingestellt. Da wird wiederholt versucht Dinge zu unterstellen, die bei näherer Betrachtung jeglicher Grundlage entbehren.“

Der Betriebsrat klagt vor verschiedenen Gerichten (Bochum, Düsseldorf, Eisenach) mit dem Vorwurf, die Kündigungen seien nicht rechtmäßig gewesen. Es habe ein Betriebsübergang stattgefunden. Schließlich sei Fachwissen und Personal aus Wattenscheid von der Motex übernommen worden, argumentieren die Betriebsräte. Dort werde sogar das selbe IT-System verwendet wie in Wattenscheid. Auch das bestreitet Buckow. Mit dem Auftragssystem von Steilmann könne man nichts anfangen: „Wir haben ein eigenes, scannergestütztes Lagerverwaltungssystem und eine eigene Reporting Plattform, bis hin zur digitalen Warenverfolgung – auch für die Steilmann Abnehmer.“

Die Steilmann Holding AG streitet den Vorwurf ab. Zu dem schwebenden Verfahren will sich das Unternehmen nicht weiter äußern. „Die hatten schon immer ein Problem mit der Familie Steilmann,“ meint Theisen. „Die wollten nicht mal mehr Miete für das Werk an die Steilmanns zahlen. Nur das Label, damit wollen sie sich schmücken. Der alte Boss Klaus Steilmann würde sich im Grabe umdrehen.“

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurde behauptet, Motex sei eine Tochtergesellschaaft der Adler Modemärkte. Das stimmt nicht. Die MOTEX ist einehundertprozentige Tochter der MOTEX Management Holding GmbH, bei dieser ist Markus Alexander Buckow geschäftsführender Gesellschafter.