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Billiger Kohlestrom gegen teure Sonnenenergie

Billiger Kohlestrom gegen teure Sonnenenergie

NRW-Umweltminister Johannes Remmel, IRWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz
NRW-Umweltminister Johannes Remmel, IRWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz Foto: Foto: WAZ Fotopool

Essen. 

Der grüne Umweltminister Johannes Remmel gilt bei seinen Gegnern als „Öko-Fundamentalist“, der Stromkonzern RWE bei Umweltschützern als Klimakiller. Remmel und RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz trafen sich bei uns zum Streitgespräch.

THEMA ENERGIE

Der angebliche Widerspruch zwischen Wirtschaft und Umwelt schien in Deutschland längst überwunden. Im Energieland NRW hat man derzeit den Eindruck, dass neue Gräben aufgerissen werden. Stimmt der Eindruck?

Remmel: Ich sehe das überhaupt nicht. Wir sind ein Industrieland, das habe ich immer gesagt. Dass wir eine ökologisch-industrielle Revolution brauchen, hat schon Alt-Bundespräsident Horst Köhler gesagt. Der Konflikt ergibt sich aus dem Weg dorthin. Entweder setzen wir auf eine dezentrale Energieversorgung durch örtliche Anbieter wie die Stadtwerke und Erneuerbare Energien. Oder wir setzen auf monopolistische Strukturen und Großkraftwerke. Ich bin für den ersten Weg.

Schmitz: Ökonomie und Ökologie sind keine Gegensätze. Problematisch wird es nur, wenn der Klimaschutz allein das Maß aller Dinge wird und damit über alle anderen Ziele gestellt wird. Das führt zu Verwerfungen – nicht nur für die Erzeuger, sondern auch für die energieintensiven Industrien. Wer Klimaschutz verabsolutiert, schwächt im europäischen Energiemarkt den Standort NRW.

Weniger diplomatisch formuliert wirft RWE Ihnen, Herr Remmel, vor, mit dem Klimaschutzgesetz NRW zu deindustrialisieren.

Remmel: Wir brauchen eine Reindustrialisierung. Und wir brauchen auch die energieintensive Industrie für den Klimaschutz. Wir brauchen Aluhütten, um leichte Autos zu bauen, die Stahlindustrie für die Windenergieanlagen und die Chemie für Dämmstoffe zur Gebäudesanierung. Was mich stört, ist, dass in Sonntagsreden immer nur Klimaschutz-Ziele benannt werden. Wir müssen verbindliche Politik machen, um sie auch zu erreichen.

Schmitz: Unsere Industriekunden brauchen verlässlich Strom für rund fünf Cent pro Kilowattstunde, sonst sind sie international nicht wettbewerbsfähig. Das schafft man mit Öko-Energie nicht. Effizient ist es, die Braunkohle dort zu nutzen, wo sie liegt, und das ist nun mal in NRW. Dagegen ist Windkraft an der Nordsee doppelt so ergiebig wie hier, also bauen wir lieber an der Nordsee Windräder. Warum sollten wir das umdrehen? Marktmechanismen können Sie nur durch planwirtschaftliche Subventionierung außer Kraft setzen.

Remmel: Also gut, vielleicht verstehe ich das ja einfach nicht. Aber dann muss mir mal bitte irgendjemand erklären, wie wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Nicht nur ich, sondern Vereinte Nationen, Europäische Union und schwarz-gelbe Bundesregierung sagen, dass wir bis 2050 den Kohlendioxid-(CO2)-Ausstoß um 80 Prozent verringern wollen. NRW sorgt für mehr als ein Drittel der CO2-Emissionen in Deutschland. Also können wir unsere nationalen Klimaziele nicht erreichen, wenn wir uns in NRW nicht auf den Weg machen.

Schmitz: Was nützt es dem deutschen Klimaziel, wenn Kraftwerke und energieintensive Industrien aus NRW in andere Bundesländer ziehen?

Remmel: Wir wollen uns ja um die energieintensive Industrie kümmern. Die Vorgaben aus Brüssel können wir nicht ändern und manche davon sind tatsächlich nicht erreichbar. Deshalb tun wir alles dafür, dass von den vielen Milliarden, die durch den Emissionshandel ab 2013 aus NRW abfließen, auch Geld nach NRW zurückkommt, um es hier zu investieren. Ich denke dabei neben Energiesparmaßnahmen und Erneuerbaren Energien vor allem an Energieeffizienz, insbesondere durch neue Kraft-Wärme-gekoppelte Gaskraftwerke. Ab einem bestimmten Wirkungsgrad könnte man hier auch auf die EEG-Umlage verzichten.

Schmitz: Die energieintensive Industrie ist doch sowieso von der EEG-Umlage befreit.

Remmel: Ich meine die Kraftwerke, aus denen die Industrie den Strom bezieht. Der würde dann billiger.

Schmitz: Die Industrie macht Kraft-Wärme-Kopplung längst dort, wo sie sinnvoll ist. Da rechnet sie sich auch und muss nicht subventioniert werden. Und selbst wenn wir in NRW Milliarden an Fördergeldern für Windräder bekommen, weht nicht mehr Wind. In NRW wäre dagegen ein neues Braunkohlekraftwerk am wirksamsten, es würde ein Drittel weniger CO2 ausstoßen.

Remmel: Wenn Sie dafür Altkraftwerke abschalten, könnte man darüber reden.

Schmitz: Ja, sicher.

Remmel: Das haben Sie schon dreimal versprochen und nicht gehalten.

Schmitz: Wir machen keine Versprechungen, die wir nicht halten. Bis Ende 2012 werden die alten 150 MW Blöcke abgeschaltet.

Remmel: Sogar SPD und CDU sehen RWE hier in einer Bringschuld.

Schmitz: Ein modernes Braunkohlekraftwerk bringt uns im windarmen NRW in Punkto CO2 Einsparung jedenfalls weiter als die Windkraft.

Remmel: Das ist doch eine Horrorvorstellung, die Sie da an die Wand malen.

Schmitz: Nein, Windräder ohne Wind sind wirtschaftlicher Unsinn.

Remmel: Es ist gutachterlich belegt, dass wir die Leistung aus Windenergie in NRW bis 2020 verfünffachen können.

Schmitz: Aber das reicht doch nicht. Wir haben Klimaziele als Bundesrepublik Deutschland. Es gibt Wind im Norden, Sonne im Süden und Braunkohle in NRW. Es wäre Unsinn, ohne Rücksicht auf die natürlichen Gegebenheiten alles überall zu machen.

Remmel: Bis 2020 können erneuerbare Energien 38,6 Prozent des Stroms ins Netz speisen. Das sagt Bundesumweltminister Röttgen – und der ist kein Grüner. Fakt ist, dass wir für den Ökostrom neue Netze brauchen. Und um den Netzausbau in Grenzen zu halten, sind dezentrale Lösungen besser als Großkraftwerke.

Schmitz: Ganz im Gegenteil: Wir brauchen Großkraftwerke, um die Grundlast zu sichern, wenn Wind und Sonne mal weniger Strom erzeugen. Das erreichen Sie nicht mit dezentralen Mini-Kraftwerken. Das Netz bleibt nur stabil, wenn neben den dezentralen Einheiten auch große, verlässliche Stromquellen da sind. Durch den Vorrang der Erneuerbaren können die alten Kraftwerke mit geringerer Leistung laufen, wenn der Wind weht. Genau das spart doch CO2.

THEMA KOHLE

Herr Remmel, Deutschland will nach Fukushima schneller aus der Brückentechnologie Atomkraft aussteigen. Brauchen wir dafür nicht die Kohle als Ausweich-Brücke? Konkret: Brauchen wir nicht jetzt erst recht moderne Kohlekraftwerke wie das in Datteln?

Remmel: Ich verstehe nicht, warum es immer um Datteln geht. Dort haben rechtliche Probleme zum Baustopp geführt.

Geschenkt, aber die Frage bleibt, ob man energiepolitisch neue Kohlekraftwerke braucht, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden?

Remmel: Nein, wir brauchen keine neuen Kohlekraftwerke. Sie müssten sich auf 40 Jahre rechnen, das wird nicht funktionieren.

Schmitz: Noch weitere zusätzliche neue Steinkohlekraftwerke rechnen sich heute tatsächlich nicht mehr. Ein neues Braunkohlekraftwerk im Rheinland vielleicht schon. Wenn zusätzlich später das CO2 mittels CCS-Technik abgeschieden und unterirdisch verpresst werden kann, produzieren wir Strom, der nahezu CO2-frei ist wie beim Wind, im Gegensatz dazu aber jederzeit verfügbar.

Remmel: CCS ist für NRW keine reale Option. Die Leitungen müssten über weite Strecken bis nach Niedersachsen verlegt werden und würden dadurch so überdimensioniert, dass sie nicht durchsetzbar wären. Auch bei vielen CDU-Bürgermeistern nicht.

Schmitz: Die CCS-Technik ist zwingend für den Betrieb von Kohlekraftwerken bis 2050. Daran führt kein Weg vorbei.

Remmel: Aber dafür brauchen wir geeignete Lager. Und die gibt es in NRW nicht.

Schmitz: Also, man kann nicht alles ablehnen. Irgendwas wird man tun müssen, um die Energieversorgung zu sichern. Wenn CO2 einen Preis bekommt, wird sich der Markt die günstigste Technologie aussuchen. China und Indien werden weiter auf fossile Energie setzen. Wenn wir clever genug sind, können wir mit deutscher Anlagentechnik attraktive Märkte erschließen. Wenn wir das nicht hinkriegen, haben wir das Nachsehen.

Remmel: Diese Argumentation erinnert mich daran, wie wir Grünen früher belächelt wurden für unsere paar Windenergieanlagen. Heute wissen wir: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist eine Erfolgsgeschichte. Nur wenn wir sie fortsetzen, werden wir den Umstieg schaffen. Mich elektrisiert die Nutzung vorhandener Gasnetze, um Erneuerbare Energie zu speichern. Das geht mit Hilfe von Wasserstoff und Methan.

Schmitz: Diese Technik gibt es als Modellprojekt in Bayern seit 20 Jahren. Sie ist nicht nur teuer, sondern auch ineffizient durch die hohen Umwandlungsverluste. Und: Ihre These „weg von Großkraftwerken“ trifft ja nicht nur RWE sondern auch Stadtwerke. Die haben in NRW mit Billigung der Landesregierung ja gerade erst die Steag gekauft.

Remmel: Das Interessante an der Steag ist, einerseits ein Nah- und Fernwärmenetz für die gesamte Rhein-Ruhr-Region aufzubauen und gleichzeitig in neue Technologien zu investieren. Der Vorteil sind die planungsrechtlich gesicherten Kraftwerks-Standorte, auf denen wir etwa neue Gaskraftwerke bauen können, die Strom und Wärme gleichzeitig produzieren.

Schmitz: Wo soll diese ganze Wärme hin? Den Bedarf sparen wir durch Häuserdämmung doch gerade weg.

Remmel: Gerade im Ruhrgebiet haben wir noch einen sehr alten Häuserbestand. Da wird Dämmung nicht reichen.

THEMA SOLARENERGIE:

Wären wir heute weiter, wenn wir die 40 Milliarden, mit denen wir die Solartechnik über den Strompreis gefördert haben, in Gebäudesanierung gesteckt hätten?

Remmel: Wir sind bei der Photovoltaik heute bei einer Vergütung von 28 bis 30 Cent, Tendenz sinkend. Wir kommen in den Bereich von 25 Cent, ab dem sich Photovoltaik für Privathaushalte lohnt.

Schmitz: Die Rechnung geht nicht auf, irgendjemand muss schließlich das Netz bezahlen. In den 25 Cent stecken 40 Prozent staatliche Abgaben, das Netz kostet zehn Cent. Wenn Sie das berücksichtigen, muss Solarenergie für sieben, acht Cent produziert werden, um sich zu rechnen. Davon ist man meilenweit entfernt.

Remmel: Die Investitionen in die Photovoltaik haben sich gelohnt. Hier ist eine neue Industrie entstanden. Beim Wind haben sie sich auch gelohnt . . .

Schmitz: . . . beim Wind ja, bei der Photovoltaik nein . . .

Remmel: . . . Wir setzen auf eine dynamische Entwicklung, die auch Photovoltaik marktfähig machen kann.

Schmitz: Natürlich entwickelt sich die Technik weiter. Nur pflastern wir derzeit mit den alten Anlagen die Dächer zu. Und genau wie bei den Windrädern baut keiner die alten Anlagen ab, solange er Geld damit verdient. Man müsste die Photovoltaik deckeln, sonst fehlen später die Dächer für die neuen, besseren Anlagen.

Remmel: Ich denke, wir haben noch genügend Flächen in NRW, etwa auf Dächern von Gewerbehallen oder entlang der Autobahnen. Dort könnte man Lärmschutz mit Photovoltaik verknüpfen.

Schmitz: Dann muss nur noch zufällig der Winkel stimmen.

Remmel: Das kriegen wir schon hin. Technologiefindung braucht Perspektive.

Atomkraft / Preise

Wie teuer wird der Atomausstieg?

Schmitz: Der Strompreis ist an der Börse bereits deutlich gestiegen. Die Gesellschaft muss sich fragen, welchen Preis sie tolerieren will. Wenn man meint, auf Kernkraft verzichten zu können, wird das gemacht, aber es wird teuer.

Remmel: Ja, Strom wird teurer. Je schneller wir umsteigen, desto eher kommt der Energiemarkt wieder in eine stabile Lage, allerdings auf einem höheren Preisniveau. Dazu muss man aber wissen: Die Preise für fossile Energieträger steigen ständig. Der Preis lebt heute von abgeschriebenen Altanlagen. In diese Lage werden auch die Erneuerbaren Energien in fünf, sechs Jahren kommen und damit ebenfalls günstiger.

RWE klagt gegen die Abschaltung von Biblis A. Können Sie das verstehen, Herr Remmel?

Remmel: Das Moratorium hat keine klare rechtliche Grundlage. Deshalb kann ich bedingt verstehen, dass RWE Schadenersatz fordert. Mir täte es aber leid um das schöne Geld, das wir besser in Erneuerbare Energien investieren könnten.

Herr Schmitz, von der rechtlichen Bewertung mal abgesehen: Die Mehrheit der Deutschen will raus aus der Atomkraft. Was halten Ihre Kunden von ihrer Klage? Eon geht ja einen anderen Weg, nämlich auf die Regierung zu.

Schmitz: Wir machen bis auf die Klage nichts anders als Eon. Wir sind der Meinung, dass wir die Interessen unserer Aktionäre und Mitarbeiter schützen zu müssen. Wir sind deshalb keine verbohrten Kernenergie-Fetischisten.

Remmel: Ich bin kein Unternehmensberater, aber RWE steht in der öffentlichen Meinung und an der Börse derzeit nicht sehr positiv da. Die Frage ist, ob die Perspektive noch stimmt.

Schmitz: Also, wir investieren mehr in Erneuerbare Energien als in KernkraftTHEMA SUBVENTIONEN

THEMA SUBVENTIONEN

Herr Schmitz, wundern Sie sich über den aktuellen Höhenflug der Grünen?

Schmitz: Das müssen die Meinungsforscher beantworten. Für mich ist wichtig, dass wir uns weiter am Markt orientieren und verzeihen Sie mir, Herr Remmel, aber die Grünen sollten nicht zur Planwirtschaftspartei werden.

Remmel: Ich habe nicht einmal das Wort Plan in den Mund genommen, sondern Investitionen in die Zukunft gefordert.

Schmitz: Aber wo soll das Geld für diese Investitionen herkommen, wenn Unternehmen wie zum Beispiel die energieintensive Industrie künftig immer noch stärker belastet werden?

Remmel: Wollen Sie die etwa aus NRW vertreiben? Ich will sie hier halten.

Schmitz: Wenn Sie Industrie nur mit immer neuen Subventionen halten können, ist das Planwirtschaft.

Remmel: Nein, wir wollen mit den Einnahmen aus dem Emissionshandel den Umstieg so fördern, dass er gelingt.

SCHLUSSFRAGE

Gestatten Sie eine holzschnittartige Zusammenfassung: Sie, Herr Remmel, wollen die Energiewende gerade im Industrieland NRW schaffen. Sie, Herr Schmitz, glauben, dass die Energiewende woanders eher kommt als im Industrieland NRW. Haben wir Sie richtig verstanden?

Schmitz: Nicht ganz. Die Energiewende wird es auch in NRW geben. Aber eben nur da, wo es für einen gesunden Industriestandort ökologisch sinnvoll und bezahlbar ist.

Remmel: Einsparungen, mehr Effizienz und Erneuerbare Energien sind der Weg, den wir gehen müssen. Und die industrielle Basis in NRW wird uns dabei helfen.