Deutschland kann und sollte nicht nur aus der Atomenergie aussteigen, sondern auch aus der Energieproduktion mit Erdöl und Kohle. Diese Botschaft überbringt am Donnerstag der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Ökonomen zweifeln daran nicht, warnen aber vor den Kosten.
Berlin.
Deutschland kann und sollte nicht nur aus der Atomenergie aussteigen, sondern auch aus der Energieproduktion mit Erdöl und Kohle. Diese Botschaft überbringt heute der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU). Er überreicht seinen „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ an Forschungsministerin Annette Schavan und Umweltminister Norbert Röttgen (beide CDU).
„Wir können bis 2020 ohne Probleme vollständig auf Atomenergie verzichten“, sagt Jürgen Schmid vom Fraunhofer-Institut für Energiesysteme in Kassel. Die Abkehr vom gesamten nuklear-fossilen Energiesystem hält der Forscher, der im WBGU mitarbeitet, bis 2050 für möglich.
„Selbst wenn wir alle Atomkraftwerke in den kommenden 10 bis 15 Jahren abschalteten, entstünde keine Stromlücke“, bestätigt Manuel Frondel vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Denn Deutschland kann heute weit mehr Strom herstellen, als Haushalte und Unternehmen verbrauchen. Benötigt werden maximal 80 Gigawatt, sicher zur Verfügung stehen 96 Gigawatt. Theoretisch könnte man fast alle AKW bereits heute vom Netz trennen, ohne die Nachfrage zu unterschreiten.
Doch es gibt mehrere Haken
Doch es gibt mehrere Haken. Atomkraftwerke laufen rund um die Uhr. Sie liefern die Grundlast der Stromversorgung – die Energie, die permanent gebraucht wird. Will man die AKW ersetzen, müssten Kohlekraftwerke mehr produzieren. Wind und Sonne sind für die Grundlast kein voller Ersatz, weil sie wetterbedingt unregelmäßig Strom erzeugen. Der Rückgriff auf Kohle kostet laut Frondel aber „bis zu zwei Cent pro Kilowattstunde zusätzlich“. Zudem würden mehr Treibhausgase freigesetzt.
Das ließe sich durch mehr Erdgaskraftwerke abmildern. Allerdings würde auch das den Strom verteuern – um „bis zu drei Cent pro Kilowattstunde“, schätzt Frondel. Seine These: Der Ausstieg ist machbar, aber der Verbraucher wird ihn bezahlen müssen.
Bleibt das Speicherproblem
Bleibt das Speicherproblem: Wie soll man Strom aus Wind und Sonne so speichern, dass immer genug Spannung im Netz ist? Schmid und seine Kollegen sehen die besten Möglichkeiten in „erneuerbarem Gas“. Mit Strom aus Wasser lässt sich Wasserstoff gewinnen und in Salzkavernen unter der Erde lagern. Eine Reaktion von Wasserstoff mit Kohlendioxid könnte später Methan erzeugen und in die Gasnetze einspeisen, die dezentrale Blockheizkraftwerke für Industrie und Wohnhäuser antreiben. Mit VW-Motoren liefert die Ökostrom-Firma Lichtblick solche Kraftwerke bereits heute ab 5000 Euro pro Wohnhaus.
Doch auch das ist teuer, warnt Frondel. Wenn man Strom in Wasserstoff speichere, gehe durch die Umwandlungen die Hälfte der Energie verloren. Die Kosten für den so jederzeit verfügbaren Strom müssten also mindestens „das Doppelte der ohnehin hohen Kosten der erneuerbaren Energien betragen“.