Was hält junge Menschen in der Region? Ein Gespräch zwischen einer Hochschulabsolventin und einem Personalreferent.
Hagen.
Das Image ist verstaubt. Und vor allem ist es: falsch. Südwestfalen ist mehr als Tannenbäume, Talsperren und Täler. Mehr als 150 Weltmarktführer produzieren in der Region; Südwestfalen ist, gemessen an den Arbeitsplätzen, die drittgrößte Industrieregion Deutschlands. Die unter dem demografischen Wandel leidet. Entsprechend wächst der Hunger der Unternehmen auf Nachwuchs- und Fachkräfte.
#MehralsnurWP„Wie muss unsere Heimat Südwestfalen sein, damit junge Menschen auch künftig hier leben und arbeiten wollen?“, hieß die Frage der Aktion „Mehr als nur WP“. Jetzt haben wir mit Jessica Vieler, einer jungen Hochschulabsolventin aus Iserlohn, und Niclas von Seidlitz, Referent für strategisches Personal-Management (Human Ressources) aus Hagen, darüber gesprochen – Theorie trifft auf Praxis.
Berufseinstieg/Karriere
Jessica Vieler: Ich möchte einen sinnhaften Job – und nicht für den Papierkorb arbeiten. Dabei will ich gerne Verantwortung übernehmen und Konsequenzen abwägen. Das geht in einem mittelständischen Unternehmen sicher am besten. Ich möchte gerne in der Region bleiben und würde dafür auch eine Fahrtzeit von einer Stunde zu einem Arbeitsplatz in Kauf nehmen.
Niclas von Seidlitz: Wir brauchen Menschen, die in ihrer Aufgabe unternehmerisch denken, also den Blick fürs Ganze bewahren, die flexibel bleiben, weil sich Berufsbilder und Aufgabenbereiche derzeit rasant verändern, und die diese Veränderung akzeptieren und mitgestalten. Dazu gehört natürlich auch die Bereitschaft zur Weiterbildung. Neue Techniken gilt es zu integrieren – auch für uns als Arbeitgeber: Wenn junge Menschen kaum noch per E-Mail kommunizieren, sondern etwa mit Whats-App, warum sollen wir als Unternehmen als Antwort auf Bewerbungen nicht auch diese Kanäle nutzen?
Arbeitszeiten
Jessica Vieler: Ich bin gerne bereit, mehr zu arbeiten als üblich oder vereinbart, auch über 40 Wochenstunden hinaus – wenn es dafür anschließend einen Ausgleich, entweder als Freizeit oder als Entgelt, gibt. Ich bin reisebereit, wenn ein Einsatz an Firmenstandorten im Ausland ansteht.
Niclas von Seidlitz: Bei uns gilt Gleitzeit und wir versuchen darüber hinaus immer, familiäre Anlässe im Dienstplan zu berücksichtigen und auch spontane Anfragen der Mitarbeiter für freie Tage oder Urlaub zu ermöglichen. Wir stellen inzwischen fest, dass die Nachfrage von Vätern nach Elternzeit zunimmt, was wir ihnen auch ermöglichen. Diese Wünsche gab es in dieser Zahl vor fünf Jahren noch nicht.
Bezahlung
Jessica Vieler: Die Bezahlung sollte fair sein; das bedeutet für mich, dass die Leistung, die ich erbringe, gerecht bezahlt wird. Dazu gehören bezahlte Mehrarbeit oder Erfolgsprämien.
Niclas von Seidlitz: Für die meisten Branchen innerhalb der Unternehmens-Gruppe gelten Tarifverträge, nach denen wir bezahlen. Natürlich gibt es auch außertariflich bezahlte Mitarbeiter, mit denen wir dann auch Zielvereinbarungen geschlossen haben. Außerdem veranstalten wir Events und Aktionen für die Mitarbeiter: etwa einen Tag am Sorpesee mit Bau eines Floßes. Übrigens: In einem repräsentativen Ranking taucht die Bezahlung bei Bewerbern nicht unter den Top 10 der wichtigsten Themen auf.
Aufstiegschancen
Jessica Vieler: Ich strebe eine leitende Position an, mit Mitspracherecht und Handlungsspielraum – und Wertschätzung. Die Funktion als Führungskraft würde ich dabei als Moderator ausüben, und erwarte dabei auch Widerspruch aus dem Team: Das sorgt für einen Perspektivwechsel und daraus können sogar Ideen entstehen.
Niclas von Seidlitz: Wir ordnen Bewerber und Beschäftigte nach der Personaldiagnostik ein und schauen, wer eher einen strukturierten Ablauf braucht, oder bei wem sich Potenzial entwickeln lässt. Verantwortung zu übernehmen heißt bei uns immer, Entscheidungen auch zu vertreten – auch, wenn es ab und an unangenehm ist. Wir schauen auch, ob jemand eine interkulturelle Komponente mitbringt: Die Holding ist in 24 Ländern vertreten, das erfordert die Zusammenarbeit mit Menschen, die eine andere Sprache sprechen und eine andere Mentalität haben. Das zu berücksichtigen, kann schon beim Formulieren einer E-Mail anfangen.
Heimat
Jessica Vieler: Ich bin nicht der Großstadtmensch, sondern wohne gerne ländlich, auch weil ich einen Hund habe. Außerdem wohnt meine Familie und mein Freundeskreis hier, und wenn ich will, bin ich auch in 30 Minuten in Dortmund. Es gibt so viele Hidden Champions, meist mittelständische Unternehmen, in Südwestfalen. Die Arbeit dort ist vielseitiger als in einem Konzern.
Niclas von Seidlitz: Südwestfalen ist nicht Berlin oder Düsseldorf, aber die Aktion Homebase Sauerland mit ihren Videos im Internet zeigt, dass hier eine neue Dynamik entsteht. Es gibt eine große Verbundenheit und hohe Loyalität der Mitarbeiter mit den Unternehmen: Die Firma wird häufig als Teil der Heimat empfunden. Dennoch rate ich jedem Schulabgänger, sich Zeit zu nehmen: etwa, um ein Jahr ins Ausland zu gehen, oder ein freiwilliges, soziales Jahr zu machen, um Erfahrungen zu sammeln, um seine persönliche Belastungsgrenze auszutesten. Dadurch reift Persönlichkeit und entwickelt sich Selbstständigkeit!