Mehreren Kraftwerken des kommunalen Energiekonzerns Steag droht das Aus. Bis zu 1000 Arbeitsplätze fallen weg. Städtische Eigentümer gehen leer aus.
Essen.
Der Energiekonzern Steag steht seit einiger Zeit unter besonderer Beobachtung. Oft schon haben sich Kommunalparlamente aus dem Ruhrgebiet mit der Frage befasst, ob der Einstieg ihrer Stadtwerke bei dem Essener Kraftwerksbetreiber richtig war. Vor fünf Jahren hatten Kommunalversorger aus Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Oberhausen und Dinslaken dem Essener Chemiekonzern Evonik die Steag-Mehrheit abgekauft. Die millionenschwere Übernahme aus den finanzschwachen Städten war von Anfang an umstritten. Mittlerweile befindet sich die Steag vollständig in den Händen der Stadtwerke.
Nun gibt es neuen Diskussionsbedarf. Denn die Steag steht vor einem drastischen Stellenabbau. Etwa jeder sechste Arbeitsplatz im Unternehmen soll wegfallen, kündigte Steag-Chef Joachim Rumstadt im Gespräch mit unserer Redaktion an. „Wir stehen vor schmerzhaften Einschnitten“, sagte er. Die „derzeitigen Planungen“ des Managements sehen einen Abbau von 800 bis 1000 Arbeitsplätzen vor. Die Steag beschäftigt derzeit etwa 5900 Mitarbeiter, davon etwa 3500 in Deutschland.
Steag kämpft mit den Folgen der Energiewende
Ähnlich wie die großen Stromkonzerne Eon und RWE bekommt auch die Steag die Folgen der Energiewende zu spüren. Rumstadt zeichnete ein düsteres Bild von der Lage. „Unser Umfeld hat sich verschlechtert“, berichtete er. „Die Entwicklung bei der Kohlebeschaffung belastet unser Geschäft. Beim Börsenstrompreis zeichnet sich keine dauerhafte Entspannung ab. Wir müssen Konsequenzen ziehen.“ Da zunehmend Ökostrom ins Netz gelangt, geraten die Steinkohlekraftwerke der Steag unter Druck. „Wir reagieren auch auf politisch vorgegebene Rahmenbedingungen“, betonte Rumstadt.
Für die gefährdeten Standorte prüft die Steag nun drei Szenarien: eine Stilllegung mit Abriss, ein Einmotten mit möglicher Wiederinbetriebnahme und einen Auslaufbetrieb. In NRW verfügt der Stromkonzern über Kraftwerke in Bergkamen, Duisburg-Walsum, Herne, Lünen und Voerde, hinzu kommen Standorte im Saarland. „Die Situation an unseren Standorten ist unterschiedlich“, erklärte Rumstadt. So seien die Kraftwerksblöcke mit Kraft-Wärme-Kopplung oder Bahnstrom wirtschaftlicher als reine Strommaschinen.
Offizielle Beschlüsse für Schließungen gibt es nicht – und so bleibt Rumstadt vage: „In der Tendenz lässt sich sagen: Duisburg-Walsum läuft sehr gut, Bergkamen ziemlich gut, in Herne ist die Situation differenziert zu betrachten.“ Mit Blick auf den Steag-Standort in Lünen bleibe abzuwarten, wie sich eine Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks der Eon-Tochter Uniper in Datteln auswirkt. „Unser Kraftwerk Walsum 10 ist eines der wenigen Neu-Großkraftwerke in Deutschland, das Geld verdient“, betonte Rumstadt. Für den Standort Voerde, wo die Steag gemeinsam mit RWE aktiv ist, zeichnet sich wohl eine Stilllegung der beiden Blöcke ab.
Einschnitte drohen vor allem im deutschen Kraftwerksgeschäft
Einschnitte drohen insbesondere im deutschen Kraftwerksgeschäft der Steag, die auch in der Türkei und auf den Philippinen Strom erzeugt. „Unsere ausländischen Kraftwerke bringen gute Ergebnisse“, sagte Rumstadt. Voranbringen will die Steag auch das Dienstleistungsgeschäft mit Technikern und Ingenieuren im In- und Ausland.
Da an Rhein und Ruhr zunehmend unwirtschaftlich gewordene Kraftwerke vom Netz gehen, stellt sich nach Einschätzung von Rumstadt die Frage, ob einzelne Standorte in NRW für eine verlässliche Stromversorgung systemrelevant werden. „Sollte dies der Fall sein, müsste die Bundesnetzagentur einschreiten, eine Stilllegung verhindern und den Betreiber dafür entschädigen“, sagte der Steag-Chef.
Ab 2020 wieder eine Dividende?
Der anstehende Stellenabbau sei nicht allein über Altersteilzeit und Vorruhestand möglich. „Wir werden alle Register ziehen“, betonte Rumstadt. Planungen gebe es auch für Qualifizierungsprogramme und die Vermittlung von Beschäftigten an andere Arbeitgeber. „Der Abbau der Arbeitsplätze erfolgt mit Anstand. Betriebsbedingte Kündigungen möchten wir möglichst vermeiden“, sagte Rumstadt. Mit IGBCE-Chef Michael Vassiliadis ist ein einflussreicher Gewerkschafter der wichtigste Arbeitnehmervertreter bei der Steag.
Die kommunalen Eigentümer rechnen damit, in den nächsten Jahren leer auszugehen. Dortmunds Stadtwerke-Chef Guntram Pehlke, der an der Spitze des Steag-Aufsichtsrats steht, warb um Geduld: „Wir gehen mittel- bis langfristig davon aus, dass sich das Investment wieder lohnen wird.“ Voraussichtlich ab dem Jahr 2020 erwarte er wieder „eine ordentliche“ Dividende. „Wir sind kommunale Aktionäre und keine Heuschrecken“, fügte Pehlke hinzu. „Wir denken eher in Zeiträumen von 100 Jahren als von zehn Jahren.“