Der Abschied von Eon aus der „alten Energie“ rüttelt die ganze Branche auf. Experten erwarten nun neue Debatten über Subventionen für Kohlekraftwerke.
Essen.
Egal, wen man auf den Eon-Coup anspricht – jeder holt erst einmal tief Luft. Der radikale Schnitt des größten deutschen Stromkonzerns, von Eon verkauft als logischer Strategieschwenk, scheint doch mehr zu sein – eine Zäsur für das Energieland D, deren Tragweite noch gar nicht absehbar ist.
Zu viele Fragen sind offen: Wer soll Eon die Verantwortung für den Rückbau seiner Kernkraftwerke abnehmen? Muss am Ende doch der Steuerzahler herhalten? Wenn für Marktführer Eon die alte Energie aus Kohle und Gas keine Zukunft mehr hat, wie lange halten die anderen Konzerne an ihr fest? Muss am Ende der Staat einspringen, wenn irgendwann niemand mehr Kohle verstromen will oder etwa eine ausgelagerte, nennen wir sie „schwarze Eon“ pleite geht?
Gabriels Schmallippigkeit
Sehr beredt ist die Schmallippigkeit von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Obwohl Eon ihn in seine Pläne eingeweiht hatte, antwortete er knapp mit „Nein“ auf die Frage, ob sich Eon aus der Verantwortung für den Atom-Rückbau stehlen könne. Der Zusatz „Wir werden aufpassen“ wird nicht jeden Zweifler überzeugt haben.
Vielfach gelobt wurde der Mut von Eon, sich den Herausforderungen der Energiewende zu stellen. Ihren Gedanken zu Ende führten diese Politiker nicht: Wenn die Energiewende den größten Stromversorger des Landes zum Ausstieg aus der konventionellen Energie treibt, gilt es eine politisch gerissene Lücke zu füllen. Denn so lange sich Ökostrom zwar in enormen Mengen herstellen, aber nicht speichern lässt, braucht das Land genügend „alte Energie“.
Die Politik hat die Richtung der Energiewende vorgegeben, den Weg dahin überlässt sie den Konzernen. Der Atomausstieg ist Konsens, die Konsequenzen nicht. Wenn das letzte Kernkraftwerk 2022 vom Netz geht, bleiben als Garanten für die Versorgung nur fossile Träger wie Kohle und Gas. Da gerade Kohlekraftwerke aber besonders viel CO2 erzeugen, dessen Ausstoß Deutschland zurückfahren will, sollen auch Kohlemeiler nach und nach vom Netz gehen. Der rasante Ausbau der erneuerbaren Energien bringt zudem ein Überangebot an Strom mit sich, das die Großhandelspreise hat einbrechen lassen. Im Gegensatz zum Ökostrom, der mit festen Sätzen vergütet wird, hat das die konventionellen Kraftwerke an den Rande der Wirtschaftlichkeit gebracht.
Aus diesen politischen Vorgaben zieht Eon die Konsequenzen, konzentriert sich auf neue Energien und stößt die alten ab. Eon-Chef Johannes Teyssen müht sich nach Kräften, das alte Geschäft nicht schlecht zu reden. Es könne genauso gut Gewinne erwirtschaften wie der neue Eon-Konzern, betonte er. Das freilich bezweifeln Experten.
„Wer soll das kaufen?“
Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, hielte Aktien am konventionellen Eon-Teil für Risikopapiere. Zwar lasse sich mit Atomstrom noch Geld verdienen, aber nicht mehr lange, mit Kohle- und Gaskraftwerken schon heute nicht mehr. Auch die neuen Auflagen zur CO2-Einsparung würden Geld kosten. Roman Dudenhausen, Vorstand der Energie-Unternehmensberatung Conenergy, kann sich auch „nicht vorstellen, wer das kaufen soll“, bleibt aber gelassen: Wenn Eon keinen Käufer finde, ändere sich nichts.
Den harten Schnitt hält er unternehmerisch für „überfällig“. Was ihm besonders gefällt: „Eon spielt damit den Ball zurück zur Politik. Die hat nie gesagt, was der von allen, auch vom Verbraucher gewollte Atomausstieg für die Kohle bedeutet. Nun muss sie erklären, was sie will.“ Das könne zu neuen Belastungen für den Steuerzahler führen, etwa durch einen Kapazitätsmarkt. Der würde bereitgestellte und nicht nur produzierte Mengen Strom vergüten, was Kohle und Gas stützen würde. „Ich bin kein Freund des Kapazitätsmarktes, aber damit wäre ein Investment schon weit weniger riskant“, sagt Dudenhausen. Hechtfischer hielte staatliche Hilfen für gerechtfertigt. „Wenn ein Konzern gezwungen wird, Kraftwerke vorzuhalten, mit denen er kein Geld verdient, kann das auf Dauer nicht gut gehen.“
Und wenn das Experiment schief und Neu-Eon pleite geht? Muss der Konzern dann verstaatlicht werden, um Versorgung und Atom-Rückbau zu sichern? „Das sehe ich nicht“, sagt Hechtfischer, „man muss schauen, was systemrelevant ist.“ Doch gebe es dafür keinen Präzedenzfall, schränkt er ein. Nicht nur Eon betritt Neuland, sondern die gesamte Energiebranche.