Anonymisierte Bewerbungen sollen Frauen und Migranten bessere Chancen auf einen Job bringen. Doch ob sie sich durchsetzen, ist fraglich. NRW-Unternehmen, die an einem Pilotprojekt des Bundes teilnahmen, werden anonyme Bewerbungen nicht fortführen.
Essen.
Das Pilotprojekt anonymisierte Bewerbungen soll die Chancengleichheit von Frauen, Migranten oder älteren Arbeitnehmern verbessern. Über ein Jahr nach dem Start zieht die Bundesregierung nun ein positives Fazit: „Wir haben im anonymisierten Bewerbungsverfahren Chancengleichheit hergestellt“, so die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders. Vor allem Frauen hätten von dem Bewerbungsverfahren profitiert, bei dem weder Foto noch Name oder Geschlecht des Bewerbers zunächst eine Rolle spielen.
Das Fazit der teilnehmenden Unternehmen aus NRW fällt dagegen deutlich nüchterner aus.
Deutsche Telekom: Das Fazit des Bonner Telekommunikationsriese fällt eher nüchtern aus: „Es hat uns nicht geschadet, aber es hat uns auch keinen zusätzlichen positiven Effekt gebracht“, sagte ein Sprecher. Bewerberverfahren bei der Telekom liefen ohnehin diskriminierungsfrei. Die anonymisierte Bewerbung sorge im Gegenteil dafür, dass interessante Lebensläufe oder Personen nicht mehr auffallen. „Wir streichen das weg, was wir möglicherweise gezielt suchen“, heißt es. Die Telekom werde daher den Versuch der anonymisierten Bewerbung einstellen.
Deutsche Post: Die Deutsche Post in Bonn wird die anonymisierte Bewerbung ebenfalls nicht weiter anbieten. „Die Teilnahme an der Studie hat uns bestätigt, dass unser bisheriges Verfahren bereits alle Aspekte der Chancengleichheit gewährleistet“, sagte eine Sprecherin. Das anonymisierte Verfahren habe zudem kein zusätzliches Bewerberpotenzial erschlossen.
L’Oréal Deutschland: Gleiches Fazit beim Kosmetikkonzern L’Oréal: „Die eingegangenen Bewerbungen und Vorstellungsgespräche haben gezeigt, dass unsere Personalverantwortlichen durch unsere seit Jahren durchgeführten Diversity-Seminare bereits sehr offen und sensibilisiert für das Thema sind. Denn die Profile der ausgewählten Bewerber sind sehr ähnlich, unabhängig davon, ob sich die Person anonym beworben hat oder nicht“, erklärte Yvonne von de Finn, Diversity Managerin bei L’Oréal. Der Konzern hatte Führungsnachwuchskräfte im Vertrieb, im Außendienst sowie im Produktmanagement gesucht – bei einer Markensparte des Unternehmens anonymisiert und bei einer anderen nach dem herkömmlichen Verfahren. Das Ergebnis aus Konzernsicht: Der Anteil an Frauen bei beiden Bewerbungsverfahren sei gleich hoch gewesen, ebenso die Anzahl von Bewerbern nicht deutscher Nationalität. Die Qualität der Bewerber habe ebenfalls keine Unterschiede hervorgebracht. „Wir werden daher unser bewährtes Rekrutierungsverfahren fortführen“, so von de Finn.
Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in NRW: Die Arbeitsagentur suchte ihre Nachwuchs-Führungskräfte mit Hilfe des anonymisierten Verfahrens. Was auffällig war: Es gab fast 60 Prozent mehr Bewerber als im Jahr zuvor, darunter auch deutlich mehr Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund. „Offensichtlich wurden so die Hürden für eine Bewerbung gesenkt. Das anonymisierte Verfahren hat mehr Bewerber angesprochen“, so eine Sprecherin. Für die Personaler sei es leichter gewesen, sich für Bewerber zu entscheiden. „Die Schere im Kopf ist bei den Personalverantwortlichen gar nicht erst aufgegangen.“ Die Arbeitsagentur will daher anonyme Bewerbungen fortführen. Da das Verfahren durch das Schwärzen von Passagen jedoch sehr aufwendig war, sucht die Behörde nun nach einem digitalen Verfahren.
So funktioniert die anonymisierte Bewerbung: Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie sich Interessenten anonym bei einem Unternehmen bewerben können.
- standardisiertes Bewerbungsformular (zum Herunterladen aus dem Internet oder als Online-Maske)
- dem Blindschalten sensibler Daten (Geschlecht, Alter) durch ein Online-System
- der Übertragung von Bewerber-Daten in eine Tabelle
- Schwärzen der Bewerbungsunterlagen per Hand
Erst beim Versenden der Einladung erfahren die Personaler, für wen sie sich entschieden haben.
Vorteile: Personalverantwortliche entscheiden nur nach Qualifikation, wen sie zum Gespräch einladen. nicht nach Aussehen, Geschlecht oder nach der Herkunft des Bewerbers. So werden Frauen im „gebärfähigen Alter“ oder ein über 50-Jähriger aus dem Bewerberstapel nicht von vornherein aussortiert. Das alles ist natürlich noch keine Garantie für eine Stelle. Im Gespräch oder im weiteren Auswahlverfahren müssen sich die Bewerber natürlich dann dennoch beweisen. Ein weiterer Vorteil aus Sicht des Bewerbers kann es sein, dass der potenzielle Arbeitgeber sich nicht vorab im Netz über ihn Erkundigungen einholen kann.
Nachteile: Das Verfahren kann aufwendiger und damit langwieriger für die Unternehmen werden. Die Telekom, die Arbeitsagentur NRW, auch die Deutsche Post beispielweise schwärzten die eingereichten Bewerbungsunterlagen an Stellen, die auf persönliche Daten des Bewerbers hindeuteten. Je Bewerbung dauerte dieses Anonymisieren bei der Arbeitsagentur 15 bis 30 Minuten. Bei insgesamt 1100 Bewerbungen bedeutete das einen großen Zeitaufwand.
Die Praxis: In Deutschland ist das anonymisierte Bewerberverfahren selten, gerade im Mittelstand die „absolute Ausnahme“, weiß Wolfram Tröger, stellvertretender Chef im Fachverband Personalberatung im BdU. Denn für Unternehmen ergäben sich keine signifikanten Vorteile daraus – im Gegensatz zu den Bewerbern.
Kann man trotz Anonymisierung nicht trotzdem Schlüsse auf den Bewerber ziehen?
Geübte Personalverantwortliche könnten Stand heute dennoch die meisten Lebensläufe zu ordnen, meint Personalberater Tröger. Ein Bewerber, der im Lebenslauf bereits mehrere Arbeitgeber aufführt, ist wohl nicht erst Mitte/Ende 20. Auch der Stil des Anschreibens lasse häufig Rückschlüsse auf den Bewerber zu, so Tröger.