- NRW war 2015 das einzige Bundesland ohne Wirtschaftswachstum
- Energiewende und die Finanzschwäche vieler Kommunen wirken sich negativ aus
- Experte fordert mehr Investitionen und ein wirtschaftsfreundlicheres Klima in NRW
Essen.
In wenigen Tagen feiert Nordrhein-Westfalen seinen 70. Geburtstag. Wirtschaftlich stand Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland schon deutlich besser da. Während die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent gewachsen ist, verzeichnete NRW Stagnation und war mit einem Wert von 0,0 Prozent Schlusslicht im Ländervergleich. Die Ursachenforschung läuft.
Wie ernst ist die Lage?
„NRW war im vergangenen Jahr das einzige Bundesland ohne Wirtschaftswachstum. Das ist ein sehr problematischer Befund“, sagt Hanno Kempermann vom Kölner Beratungsinstitut IW Consult. „Große Teile von NRW haben den Anschluss verloren. Ich denke dabei insbesondere an das Ruhrgebiet, aber auch die Eifel oder den Nordwesten von NRW. Dagegen gibt es an der Rheinschiene, in Ostwestfalen-Lippe und im Siegerland durchaus eine positive Dynamik.“ Schon seit einigen Jahren sei das Wachstum in NRW oft schwächer gewesen als in Deutschland insgesamt, analysiert Roland Döhrn, der Konjunkturexperte des Essener Instituts RWI. „Der Abstand zwischen NRW und Gesamtdeutschland hat sich eklatant vergrößert.“
Warum ist NRW so schwach?
„Die schwache wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens hat viele Gründe“, erläutert Döhrn. „Der Rückzug des Bergbaus hinterlässt Spuren, ebenso die aktuelle Stahlkrise. Die Energiewende und die Finanzschwäche vieler Kommunen wirken sich negativ aus. Auch das Ende des Bochumer Opel-Werks Ende 2014 dürfte zu einem Effekt in der Statistik 2015 geführt haben.“ Während die Industrieproduktion bundesweit das Niveau vor der Rezession 2008/09 inzwischen annähernd erreicht hat, liegt sie nach Angaben des RWI in Nordrhein-Westfalen immer noch deutlich darunter. „Die Industrie in NRW verliert an Boden“, sagt Döhrn.
Welche Rolle spielt die Energiewende?
Der Energiesektor ist seit jeher ein wichtiger Wirtschaftszweig des Landes, doch die großen NRW-Energieversorger Eon und RWE stecken in der Krise. „NRW ist ein Verlierer der Energiewende“, konstatiert Döhrn. „Auffällig ist, dass die Schwäche der gesamtwirtschaftlichen Produktion in NRW zeitlich in etwa zusammenfällt mit dem Umbruch in der Branche.“ Energie wird an Rhein und Ruhr vorwiegend auf konventionellem Wege erzeugt, insbesondere in Kohle- und Gaskraftwerken. Vom Ökostrom-Boom profitierten eher die nördlichen Bundesländern mit ihrem hohen Windkraftanteil.
Wie schlägt sich das Ruhrgebiet?
Das Ruhrgebiet hinkt hinterher. Während das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen in NRW zuletzt im Schnitt bei 69 400 Euro pro Jahr lag, standen Städte wie Herne (55 900 Euro) und Bottrop (48 900 Euro) am Ende der Statistik. „NRW ohne das Ruhrgebiet wäre im bundesweiten Vergleich ein überdurchschnittliches Land“, sagt IW-Experte Kempermann.
Wie entwickelt sich die Arbeitslosigkeit?
Die Arbeitslosigkeit in NRW ist 2015 zwar seit vier Jahren erstmals wieder gesunken. Mit einer Quote von rund acht Prozent hat NRW nach Angaben des RWI jedoch nach wie vor den höchsten Wert unter den westlichen Flächenländern. Im Jahresdurchschnitt 2015 sei NRW neben Bremen das Land mit dem höchsten Anteil von Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen (43 Prozent) geblieben. Besonders schwierig ist die Lage im Ruhrgebiet. In Städten wie Herne, Duisburg und Gelsenkirchen liegt die Arbeitslosenquote zwischen 13 und 15 Prozent. Bundesweit sind es lediglich sechs Prozent.
Wie steht es um Investitionen in die Zukunft?
Die Investitionsquote in NRW ist Analysen des RWI zufolge im Vergleich mit anderen Bundesländern gering. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung seien in Bayern fast doppelt so hoch wie in NRW, in Baden-Württemberg fast drei Mal so hoch. Auch IW-Experte Kempermann bemängelt: „Vielerorts in NRW fehlt es an Innovationskraft. Darauf weisen schwache Werte bei Themen wie Forschung und Entwicklung und Patentanmeldungen hin.“
Was kann die Politik tun?
„Es gibt Altlasten, an denen die Politik wenig ändern kann. Aber viele Probleme sind hausgemacht“, sagt Döhrn und verweist unter anderem auf hohe Grund- und Gewerbesteuersätze. „Das hemmt Investitionen, verhindert Ansiedlungen von Unternehmen oder führt gar zu Abwanderungen.“ Erstrebenswert seien eine Entlastung bei den kommunalen Steuersätzen, mehr Investitionen und ein wirtschaftsfreundlicheres Klima in NRW, betont Döhrn: „Um eine Trendwende zu erreichen, muss sich NRW regionale Standortvorteile verschaffen.“